Bastian Litsek

Das Geschenk der Psychothriller-Parodie


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Brust brannte, als hätte man ihm Salzkugeln unter die Haut geschossen.

      Eine Frau zielte sie mit einer Schrotflinte auf ihn. Der linke Lauf der Waffe rauchte. Und als sie den Hahn des anderen Laufs spannte, verzog sie den Mundwinkel.

      „Gib mir einen guten Grund, dir nicht zwischen die Augen zu schießen“, sagte sie und legte an. Diesmal zielte sie auf Merlans Kopf.

      „Ich …“, sagte der und hob den Finger. Blut floss ihm die Brust hinunter. Das Nächste, was ihm einfiel, würde über sein Leben entscheiden.2

      Das Kapitel nach dem dritten Kapitel

      Oder

      Ein Haufen Exposition – wussten Sie schon?

      25 Monate später

      „Zuallererst“, sagte die Beziehungstherapeutin, „möchte ich mich bedanken, dass Sie sich für mich entschieden haben. Ich weiß, es gibt viele Therapeuten in den eBay-Kleinanzeigen, aber ich bin nun mal die günstigste. Wie in der Anzeige beschrieben, möchte ich Sie am Ende der Sitzung lediglich bitten, zwei Tabletten meiner Wahl zu nehmen und sich gegenseitig im Auge zu behalten, was die Symptome des anderen angeht. Sollte jemand sterben, gibt es natürlich das Geld zurück.“

      Tabea schaute Merlan verdutzt an. Der lächelte nur doof.

      „Aber wir bezahlen Sie ja gar nicht“, sagte Tabea. „Was für Geld bekommen wir dann zurück, wenn jemand stirbt?“

      „Also“, sagte die Therapeutin freudig und legte die Hände über ihr Klemmbrett. „Dann wäre alles geklärt. Lassen Sie uns beginnen. Mein Name ist Dr. Simonette Tulpenstein, ich behandele Beziehungsstörungen jeder Art und fahre einen komplett elektronischen Golf. Wenn Sie Freunde haben, die meine Hilfe benötigen, empfehlen Sie mich gerne weiter. Ich kann immer wieder neue Laborratten … ich meine natürlich Patienten gebrauchen.“

      Merlan hatte schon beim Betreten des Hauses das Gefühl gehabt, dass etwas nicht stimmte. Die meisten Arztpraxen waren in schicken Gebäuden und ordentlich eingerichtet. Das hier war eine heruntergekommene Wohnung in Berlin-Kreuzberg, deren Außenwand mit obszönen Graffitis besprüht war. Auch war das keine Praxis, sondern eine normale Wohnung. Frau Dr. Tulpenstein hatte sie gebeten, auf einem abgeschrammelten Sofa in ihrem Arbeitszimmer Platz zu nehmen, in dem es unangenehm nach einer Mischung aus Vanille-Zimt Raumduft und kalten Marihuana-Rauch stank. In der Ecke stand ein Computer. Ein Apple Mac II. Ein Computer so alt, dass die Maus die mit ihm verbunden war, damals als technische Revolution galt. Merlan düngte, die Frau hatte das Gerät nur aufgestellt, damit sie möglichst professionell wirkte.

      Es half aber nicht.

      „Wie genau haben Sie sich denn kennengelernt?“, fragte die Therapeutin.

      „Ach Sie wissen schon, eine dieser Geschichten“, sagte Tabea und gestikulierte, als würde sie vom Stau gestern auf dem Heimweg erzählen. „Er wollte das Restaurant überfallen, in dem ich gearbeitet habe, und ich hab ihm eine heiße Ladung Schrot in die Brust geschossen.“

      Die Therapeutin blinzelte irritiert. „Wie bitte?“

      „So war es“, sagte Merlan und drückte Tabeas Hand. Auch wenn sie beide noch jung waren, er mit 33 und sie mit 31, das Feuer ihrer idiotischen Liebe brannte lichterloh.

      „Sie“, sagte die Frau Dr. Tulpenstein und zeigte auf Merlan, „wollten Ihre Frau ausrauben und Sie haben Ihrem Mann mit einer Schrotflinte in die Brust geschossen?“ Ihr stand der Mund offen.

      „Ganz recht“, bestätigte Tabea.

      Die Therapeutin presste ihr Klemmbrett fester an sich. „Wie romantisch!“, schwärmte sie. „Da wollten Sie wahrscheinlich gerade Feierabend machen, da kam Ihr Zukünftiger vorbei, wollte Ihnen an die Kasse, aber Sie haben sich gesagt, nix da Freundchen und …“, sie formte eine Waffe mit der Hand. „BAM!“, schrie sie. „Haben Sie ihn über den Haufen geschossen. Sagen Sie, Tabea“, fragte sie und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, „haben Sie ihm die Schrotkugeln selber aus der Brust gezogen?“

      „Aber natürlich!“, bestätigte Tabea.

      Die beiden Frauen kicherten und klatschten ab. Merlan verstand nicht.

      „Hach, so sind sie, die Männer nicht wahr?“, sagte Frau Dr. Tulpenstein. „Man muss sie gleich von Anfang an in ihre Schranken weisen, damit sie wissen, wo sie hingehören.“

      „So habe ich es von meiner Mutter gelernt“, sagte Tabea. „Ich habe ihn ins Hinterzimmer gebracht und ihn vor die Wahl gestellt. Entweder er ist von jetzt ab anständig oder ich streue ihm Zitronenextrakt in die Wunden und blase ihm das Hirn mit der zweiten Schrotladung gegen den Kühlschrank.“

      „Ach“, sagte die Therapeutin verträumt. „Ich weiß noch, wie ich meinen Mann damals kennengelernt habe. Vor über zwanzig Jahren! Mensch, ist das schon lange her. Er wollte mich im Park überfallen, das Dummerchen. Es war Mitternacht und ich war auf dem Weg durch den Tiergarten zu einer Dinnerparty. Er hatte einen Kinderwagen dabei und war komplett vermummt. Albrik war alleinerziehend, müsst ihr wissen, und verzweifelt. Er konnte sich die Babynahrung und die neue Siedler-von-Catan-Erweiterung nicht leisten, daher wurde er wie so viele brettspielsüchtige alleinerziehende Väter kriminell. Es war Liebe auf den ersten versuchten Totschlag. Ich weigerte mich natürlich, und er stach mir mit dem Messer in die Brust. Ich zog es heraus und steckte es ihm in den Oberschenkel. Ich werde nie vergessen, wie der kleine Jöri in seinem Kinderwagen gekichert hat, als sein Papa vor Schmerzen geschrien hat.“

      „Haben Sie ihn auch verarztet, sich in ihn verliebt und nach spätestens einem halben Jahr mit ihm gevögelt?“

      „ZING!“, rief Merlan und schnipste mit dem Finger. Dafür boxte ihn Tabea liebevoll in den Bauch.

      „Iwo Kindchen“, sagte Frau Dr. Tulpenstein. „Das waren andere Zeiten, damals hat man die Männer nicht gleich wieder aufgepäppelt. Ich habe ihn in den Keller gesperrt, für Jahre. Seinen Sohn habe ich als den meinigen aufgezogen und Albrik erst wieder rausgelassen, als Jöri seinen zehnten Geburtstag hatte. Neun Jahre war er in meinem Keller, das hat ihn vielleicht hörig werden lassen, glauben Sie mir. Ein Mann ist wie eine gute Tasse Tee. Sie müssen ihn ziehen lassen, er muss eine Weile schmoren. Sonst werden diese Kerlchen nur vorlaut und glauben, ihre Meinung hätte mehr Gewicht als eine Briefmarke. Noch heute liest er mir jeden Wunsch von den Lippen ab, und ich schicke ihn regelmäßig in den Keller, um Getränke zu holen. Letzten April habe ich zum Spaß die Türe hinter ihm zugeschlagen, der ist vielleicht