Bastian Litsek

Das Geschenk der Psychothriller-Parodie


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du irgendwo in einer Socke verendet.

      „Na Mahlzeit.“

      „Hast du eine Ahnung. Deine Mutter, Gott hab sie selig, mag seit einer Weile nicht mehr bei uns sein, aber jedes Mal wenn ich irgendwo ‚Lisa ist da‘ oder ‚Deine Spuren im Sand‘ höre, macht mein kleiner Mann Klimmzüge und bereitet sich auf die Schlacht vor.“

      Merlan versuchte, das Thema zu wechseln. „Wie läufts denn bei dir im Beruf?“

      „Gut. Die Mädels haben ihren Spaß und arbeiten fleißig von zu Hause aus. Es ist das perfekte Unternehmen. Keine Mietkosten, keine Verwaltung. Ich verbringe lediglich Zeit damit, neue Damen zu finden und sie ihn die Geheimnisse der Webcamnutzung einzuführen.“

      „Lässt du dir dein Geld noch immer in Lohntüten auszahlen?“

      „Nein, zufrieden? Ich habe meine Lektion gelernt. Es wird alles digital verbucht. Und mir ist auch klar, dass ich die Sache mit den Meerschweinchen irgendwann in den Griff bekommen muss. Aber die Tierchen bereiten mir einfach so viel Freude.“

      „Achtzig Stück sind zu viele.“

      „Wenigstens ist jemand zu Hause, wenn ich komme, du besuchst mich kaum.“

      „Stimmt doch gar nicht“, sagte Merlan und bemerkte, wie der Skoda Fabia sich von hinten anschlich. Er hielt gerade an einer roten Ampel. Das Auto fuhr dicht neben ihn, sodass er durch die Scheibe auf den Rücksitz sehen konnte. Was er aber nicht wollte. Die Fahrradampel schlug zuerst auf Grün um, und er zog an einer lahmarschigen Studentin auf ihrer Alugurke vorbei. Er genoss es, die albernen Fahrradfahrer hinter sich zu lassen. Auf dem E-Roller kam er sich vor wie etwas Besseres. Jemand, der es verdient hatte, vor allen anderen aus dem Gurkenglas essen zu dürfen.

      Auch wenn er nicht wirklich wusste, wo er gerade hinfuhr. Solange das Ding jedoch noch Strom hatte, machte ihm das aber auch nichts aus.

      „Warum kommst du mich nicht heute Abend besuchen?“, schlug Merlans Vater vor. „Ich koche uns ein paar Rinderrouladen. Wir füttern die Schweinchen. Vergraben die toten, die wir in den Käfigen finden. Machen uns einen spaßigen Abend.“

      „Ne du, danke. Dann hältst du wieder eine Stunde eine Grabrede und sprichst diese toten Meersäue heilig.“

      „Siehst du, siehst du“, sagte sein Vater vorwurfsvoll und Merlan hörte, wie ein Lappen in Wasser getaucht wurde. „Und da soll man sich noch fragen, wieso man ist, wie man ist. Wenn der eigene Sohn nicht mehr zu Besuch kommt.“

      „Ich war erst letzten Freitag bei dir.“

      „Das ist eine Ewigkeit her!“

      „Es ist Montag.“

      Merlan erreichte die nächste rote Ampel und blieb stehen. Von hinten kam der Skoda Fabia angerollt und hielt so dicht neben Merlan, dass dieser fast von seinem E-Roller gedrängt wurde.

      „Papa, ich muss auflegen, so ein Idiot versucht, mich zu überfahren.“

      „Das putz ich aber nicht weg“, war das Letzte, was er seinen Vater sagen hörte.

      Merlan rollte einen Meter vor, sodass er an die Beifahrerscheibe klopfen konnte. Der Fabia hielt Schritt und wieder konnte er nur die Rückfahrerscheibe erkennen.

      „Gott verdammte Autofahrer …“, murmelte Merlan.

      Dann blickte er durch die Scheibe ins Innere des Autos und erkannte etwas, das ihm das Pippi in der Blase gefrieren ließ. Seinem E-Roller ging vor Entsetzen der Saft aus und der Verkehr um ihn herum verlangsamte sich wie in Zeitlupe. Alle Geräusche verblassten und es wurde so still, als hätte jemand die Lautstärke auf Stumm gestellt. Merlan konnte seine eigenen Gedanken hören, wie sie von Simon Jäger vorgelesen wurden.

      Konnte das wirklich sein?

      War das etwa?

      Aber wie?

      Er blinzelte.

      Und schon hatte er vergessen, warum er mit einem E-Roller an einer Ampel stand und ihm aus einem Skoda Fabia hilfesuchend zwei Augen entgegenstarrten.

      Augen, die mit Tränen gefüllt waren.

      Es waren die Augen eines jungen Hundes.

      Nicht älter als elf Monate, praktisch noch ein Welpe. Ein Golden Retriever und der schaute ihn flehend mit großen Augen an, wässrig und verzweifelt.

      Er presste einen Zettel gegen die Windschutzscheibe. Doch den ignorierte Merlan erst mal. Neben dem Hund saß ein Junge. Er schien kaum älter als zwölf Jahre mit den typischen aufgeschürften Knien. Was nicht so typisch war, war dessen Gesichtsausdruck. Der Junge blickte drein wie ein Vierzigjähriger, der schon so viel erlebt hatte wie ein Siebzigjähriger, sich aber fühlte wie ein Zehnjähriger, obwohl er erst zwölf war.

      Merlan kannte diesen Blick.

      Er selbst hatte in dem Alter immer doof aus der Wäsche geguckt, wenn man ihn irgendwo hin verschleppt hatte. Zu den Großeltern oder sonst wo. Der Hund musste wohl dem Jungen gehören. Warum war das Tier derart traurig? Wurde es nicht gut behandelt? War der Junge in Wahrheit ein niederträchtiger Miesling, der den Golden Retriever irgendwo gekidnappt hatte? Was steckte hinter der ganzen Sache?

      Auf den Vordersitzen konnte er eine Frau am Steuer erkennen. War sie etwa blond, hatte einen Bauch und war in letzter Zeit sehr unsicher, was ihre bisherigen Lebensentscheidungen anging? Neben ihr saß ein Mann mit langen Haaren. Merlan spürte, dass er Angst vor der Frau hatte, ihr verfallen war, aber auch keinen Ausweg wusste. Er war ihr ausgeliefert. Das erkannte Merlan daran, wie der Kerl den Arm nicht auf die Mittelkonsole zwischen den Sitzen legte, die komplett vom Arm der Frau belegt war.

      In einer Fernsehdokumentation hatte Merlan einmal eine psychologische Theorie aufgeschnappt, die sich Korrespondenzverzerrung nannte. Dieser Begriff der Sozialpsychologie bezeichnete die Neigung, Persönlichkeitseigenschaften, Meinungen und das Verhalten anderer systematisch zu überschätzen und äußere Faktoren gleichzeitig zu unterschätzen.

      Merlan fühlte, dass er etwas mit dem Jungen gemeinsam hatte. Auch er hatte schon immer einen Hund gewollt. Hauptsächlich in der Hoffnung, das Tier würde ein paar der doofen Meerschweinchenweiber seines Vaters auffressen, und so die nächste Wurfwelle verhindern. Natürlich hatte er damals nicht genau gewusst, wie ein Hund funktionierte, sonst hätte er sich einen Waran oder eine Schlange gewünscht.

      Tief in seinem Inneren redete sich Merlan ein, dass der Junge wollte, dass er ihm den Hund abnahm. Warum sonst würde das Kind weinend und verheult mit seinen geschundenen Knien auf dem Rücksitz eines Autos sitzen, das nicht mal einen Kindersitz besaß? Der Golden Retriever drehte sich zu dem Knaben um und fletschte die Zähne.

      Ein eindeutiges Zeichen

      Der Hund wollte von Merlan gerettet werden!

      Merlan lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Zettel,