Bastian Litsek

Das Geschenk der Psychothriller-Parodie


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war, um ein Formular auszufüllen, vergaß er eine wichtige Information und wurde von dem Mann hinter dem Schalter angeschrien, er solle sich beeilen. Meistens verließ er peinlich berührt das zuständige Amt und kam nie wieder. Beim Dönerimbiss um die Ecke quengelte man hinter ihm in der Schlange, wenn er sich nicht entscheiden konnte, während Merlan versuchte, herauszufinden, warum er den Imbiss überhaupt aufgesucht hatte. Manchmal irrte er den ganzen Tag, von morgens früh bis abends spät durch den Feinkost Albrecht1 auf der Suche nach etwas, das er dringend brauchte, aber nicht beschreiben konnte. Immer wieder griff er nach fremden Einkaufswagen und wurde dafür verbal abgestraft, bis er sich nicht mal mehr traute, um Hilfe zu fragen. Er suchte und suchte so lange, bis man ihn am Abend mit den nicht verkauften Backwaren neben die Mülltonne stellte, wo er oftmals die Nacht verbrachte.2

      Einmal hatte er sich getraut, einen Arzt aufzusuchen, um von seinem Leiden zu berichten. Der Stress würde seine

      Verfassung verschlimmern und ihn an den Rand des Wahnsinns treiben. Dieser nickte, machte sich Notizen und verschrieb Merlan Tal ein Heilmittel, das all seine Probleme lösen würde. Leider verlor Merlan den Zettel auf dem Weg zur Apotheke, wo er aus Scham nur einen teuren Erkältungstee kaufte.

      Danach war er nie wieder zum Arzt gegangen.

      Ja liebe Kinder, Merlan mogelte sich durchs Leben wie ein cleverer Mensch in einem dummen Körper. Überall an Unterarm und Innenfläche der Finger hatte er sich Notizen mit dem Gröbsten gemacht. Seine Adresse und Name. Das Passwort zu seinem Android-Account. Die Pin seines Girokontos. Er ging sogar so weit, dass er sich ein kompliziertes System schuf, um sich an Eselsbrücken zu erinnern, die ihm im Alltag helfen sollten. Und dabei hielt er den Informationsaustausch mit seinen Mitmenschen immer so vage wie möglich. Er verwende oft keine Namen, sondern nannte jeden und alle „Du“ oder „Sie“. Wenn er einkaufen geschickt wurde, brachte er einfach das mit, was seiner Meinung nach ein gutes Abendessen ergeben würde.

      Auch seine berufliche Laufbahn war von seiner Behinderung maßgeblich beeinträchtigt worden. Den Job als Qualitätstester in der Kondomfabrik war er losgeworden. Aufgrund seiner Kondition und mangelnder sexueller Erfahrung ging er lange davon aus, es handele sich um eine Wasserballon-Fabrik und er wäre dafür zuständig, dass die Ballons beim Aufprall platzten.

      Im Hotelwesen war er gefeuert worden, da er nicht dazu taugte, Weckrufe durchzuführen, und auch als Taxifahrer entpuppte er sich als komplett unfähig, da er immer nach halber Strecke vergaß, wohin der Gast wollte, und ihn einfach irgendwo absetzte.

      „Hey“, sagte Hermes und klatschte in die Hände. „Bist du irgendwohin abdriftet?“

      „Bitte entschuldigt“, sagte Merlan und nahm den letzten Happen der Seife in den Mund.

      „Wenn du so vergesslich bist“, fragte Winky, „warum hast du nie dein Gedächtnis trainiert?“

      „Na ja, ich war von Anfang an nie ein geistiger Schwarzenegger“, erklärte Meran. „Mein Hirnmuskel ist, was er ist. Dazu wurde bei mir im Kindesalter ADHS diagnostiziert. Jahrzehntelang war ich auf Ritalin, bis ich endlich den Absprung geschafft habe. Ich habe Angststörungen. Mein Gehirn versucht zwar, sich zu erinnern, aber irgendetwas in meiner Seele verhindert das. Dazu kommen noch die mehrfachen Schädelbrüche in meiner Jugend, die zweifelsohne die Durchblutung meines Gehirns erschwert haben.“

      „Na das ist mal eine Ausrede, die mehr Leute benutzen könnten“, sagte Hermes sarkastisch.

      „Was wurde denn aus dem Hund?“, fragte Candy.

      „Ach der ja, also um euch ein halbgares Kapitel mit drögem Ende kurzzufassen: Es gab eine bombastische Verfolgungsjagd. Michael Bay hätte es nicht besser hinbekommen. Explosionen, attraktive Frauen in knappen Kleidern. Den ein oder anderen flotten Spruch. Dann hatte ich den Skoda Fabia eingeholt. Die blonde Frau, der Mann mit den grauen Haaren stiegen samt Junge und Hund aus und verschwanden in einem Haus.“

      „Und dann?“, fragte Hermes.

      Merlan zuckte mit den Schultern.

      Die drei Knasties schauten sich ratlos an.

      „Du kannst dich nicht erinnern?“, fragte Winky.

      Merlan nickte und zeigte mit dem Finger auf ihn.

      Alle drei stöhnten auf und warfen die Hände in die Luft.

      „Bist du sicher, dass du nicht vielleicht nur ein miserabler Arsch bist, mit dem man nicht mal mitfühlen kann?“, fragte Hermes. „Dein Bullshit häuft sich zu gerade unüberschaubaren Proportionen. Ganz ehrlich, wenn du die Seife nicht gefressen hättest, hätte ich jetzt Lust, sie dir wieder reinzuschieben. Verstehe diesen Akt der Nächstenliebe nicht falsch. Wir haben uns hier eigentlich getroffen, um dich zusammenzuschlagen und dich irgendwo blutend in der Ecke liegen zu lassen.“

      „Weißt du, was du gemacht hast, nachdem du den Hund und den Jungen eingeholt hast? Irgendetwas?“, fischte Winky nach Details.

      „Ich bin zur Arbeit. Ich war damals ja noch im Restaurant von Paulchen Panther angestellt, ihr wisst doch, das, welches ich versucht habe zu überfallen. Mit Tabea als Bedienung.“

      „Du bist zur Arbeit?“, fragte Candy ungläubig.

      „Sicher. Mein Pflichtbewusstsein war noch intakt. Außerdem wollte ich, nachdem ich meine Frau verloren hatte, nicht auch noch meine Arbeit verlieren.“

      „Tabea?“, fragte Hermes genervt, „die du mit der Ausrede vom Nutella-Monster hast sitzen lassen? In der Therapie?“

      „Pssst“, sagte Merlan und schaute sich nervös um. „Die Trademark-Anwälte von Ferrero sind überall. Bitte nenne es nicht so. Es heißt Nuss-Nugat-Monster oder aber Nathaniel Uterus Tella.“

      „N-Punkt-U-Tella?“, fragte Hermes. „Nutella?“

      „Schhhhttt“, machte Merlan und gestikulierte ihm wild, die Klappe zu halten.

      „Jetzt will ich aber eine Sache von dir wissen, bevor wir hier über irgendetwas Weiteres reden“, forderte Hermes. „Hast du den Jungen ermordet? Stimmt es, was man über dich sagt? Bist du ein Kindermörder?“

      „Tja äh also …“, setzte Merlan an. „Das erinnert mich an Folgendes …“

      „Ausgerechnet jetzt erinnert er sich …“, sagte Candy.

      Das Bild der Gefängnisbücherei verschwamm und anstelle dessen trat …

      Juhu Juhu!

       Noch ’ne Rückblende!

      Merlan war sich zwar nicht endgültig sicher, aber er könnte schwören, dass die Sache mit der Beziehungstherapie nicht so dolle gelaufen war, wie Tabea sich das erhofft hatte.

      Also war er wieder Single. Grad recht. Es war schon eine Weile her, dass er Weihnachten die Zeit gehabt