Bastian Litsek

Das Geschenk der Psychothriller-Parodie


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      Welch eine in höchstem Maße sonderbare Botschaft! Und was für detaillierte Schriftzeichen das Tier erstellt hatte, gänzlich ohne Daumen nur mithilfe seiner Pfoten. Er musste Stunden, wenn nicht Tage an dieser Botschaft gesessen haben.

      Die Bedeutung jedoch blieb ihm ein Rätsel. Auch deswegen, weil er seine Lesebrille nicht dabei hatte.

      Dann wieder, was erwartete er von einem Hund, der etwas auf ein Stück Papier geschrieben hatte? Das waren alles Dinge, die sie noch klären konnten, wenn er das Tier in seinen Besitz gebracht hatte.

      Ohne weiter nachzudenken, legte er die Hand an den Türgriff und riss ihn auf.

      Der Motor des Skoda Fabia schrie mit seinen 105 PS auf wie ein Katzenbaby und brauste über die rote Ampel hinweg, auf und davon. Vollgas. Die Tür wurde vom Fahrtwind wieder zugeschlagen.

      Merlan aktivierte die Turbotaste seines E-Rollers, ließ den Hinterreifen durchdrehen und beschleunigte innerhalb von zwei Sekunden auf siebzig Stundenkilometer. Mit einem Affenzahn brauste er dem Kleinwagen hinterher.

      Er war fest entschlossen, den Wuffer nicht entkommen zu lassen. Ein Foto des Nummernschilds wäre sicherlich sinnvoll, doch wie er sich kannte, hatte er, bis er es wieder brauchen konnte, längst vergessen, wofür es gut war.

      Es galt, den Moment auszuleben.

      Die dreckige Berliner Nachtluft strich ihm durch das Haar, und Lichter sausten an ihm vorbei.

      Eine wilde Verfolgungsjagd entbrannte.

      Nach mehreren Kapiteln des Erzählens befinden wir uns zurück im Wirtshaus. Die Ghule haben noch immer das Gebäude umstellt, der Königsmörder sitzt gebrechlich am Tisch und ist bereit, nach einer Unterbrechung in weiteren 128 Rückblenden von seinem Leben zu erzählen. Oh Moment falsches Buch …

      Zurück in der Gegenwart

      Wir befinden uns in der Gefängnisbibliothek

      Merlan hatte eine Erzählpause eingelegt, und so hatte Hermes angeboten, der Sache mit dessen Hintern und der Seife, die darin verborgen war, einen zweiten Versuch zu geben.

      Der Trickbetrüger hatte eingewilligt.

      Diesmal wollten sie es im Stehen versuchen, nachdem das Liegen weniger gut funktioniert hatte. Merlan zog die Latzhose aus, die er sich übergeworfen hatte, und war wieder komplett nackt. Er ging in die Hocke, als ziele er auf eine unsichtbare Kloschüssel. Winky umklammerte wieder seine Beine. Candy hielt ihm die Hände, damit er sich in dieser unangenehmen Situation irgendwie abstützen konnte.

      Hermes rutschte mit einer Taschenlampe im Mund wie ein Automechaniker unter die Problemstelle und rieb sich die Hand mit einem Riegel Butter ein. Das Beste, was sie für diese Situation bekommen konnten.

      „Ich wünschte wirklich, wir hätten ein bisschen Vaseline“, jammerte Merlan.

      „Ja, das sind so die Dinge, die man sich herbeisehnt in solchen Situationen“, sagte Winky.

      „Luft anhalten!“, ordnete Hermes an.

      Merlan atmete langsam aus, wieder ein und hielt die Luft an. Die Hand des Hermes verschwand in Merlans Hintertürchen. Der verzog die Augen und versuchte, an etwas Schönes zu denken. Irgendwie fiel ihm dabei aber der Song „Take it Easy“, von den Eagles ein. Was kein bisschen half.

      „HA!“, schrie Hermes.

      Merlan spürte, was er meinte. Die Hand war dabei, ihn zu verlassen, und sie zog etwas mit sich. Kurz vor dem männlichen Muttermund musste Hermes noch mal kräftig ziehen. Was nie dafür gemacht war, dehnte sich auf eine Breite von acht Zentimetern, um sich kurz darauf wieder zusammenzuziehen wie eine verängstigte Schnecke.

      „Auuuuuuu“, machte Merlan.

      Candy ließ ihn los. Er kippte nach vorne über.

      „Hab das Ding!“, sagte Hermes und hielt die braun gesprenkelte weiße Seife hoch. „Das war vielleicht anstrengend.“

      „Es tut mir leid“, fiepte Merlan, „dass es für dich so unangenehm war.“

      Der massive Candy half Merlan auf die Beine und in seine Latzhose. „Setz dich auf den Stuhl da“, sagte er und zog einen vom großen Tisch, wo die Insassen normalerweise Platz nahmen, um zu lesen. „Das ist wie nach einem großen Stuhlgang. Wenn du dich auf deinen Hintern setzt, fühlst du dich bald wieder besser.“

      „Ich will aber nicht sitzen“, sagte Merlan und wurde von Candy hingesetzt. Das Gefühl, das er dabei verspürte, war gänzlich neu und konnte nur als unangenehm und nicht empfehlenswert beschrieben werden.

      Unterdessen verschwand Hermes, um seine Hand zu reinigen. Die Seife hatte er auf den Tisch neben Merlan gelegt.

      Candy und Winky hatten Platz genommen.

      Merlan warf einen Blick auf die Seife und schleckte sich die Lippen ab. Noch konnte er sich beherrschen, doch schon bald würde ein weiteres Geheimnis über ihn ans Tageslicht kommen. Selbstbeherrschung war keine seiner Stärken.

      Hermes kam zu ihnen, der sich gerade mit einem Spray alles von Ober- bis Unterarm nachträglich desinfizierte. „Sag mal, warum hast du Tabea nicht verheimlicht, dass du so vergesslich bist?“, fragte er.

      Das war eine gute Frage. Antworten gab es verschiedene. Sollte er gleich hier und jetzt eingestehen, dass er ein hundsmiserabler Lügner war?

      „Das war die bescheuertste Kennenlern-Geschichte aller Zeiten“, merkte Winky an.

      „Na, es gibt bestimmt noch blödere“, sagte Candy. „Urteile nicht gleich so hart, mein Freund.“

      „Aber genau so ist es gewesen“, bestätigte der Trickbetrüger. „Sicher zwischen dem Tag, an dem sie mich angeschossen hat, und der Therapie lagen einige Jährchen, aber Beziehungen sind immer gleich. Man lügt sich gegenseitig so lange an, bis man es nicht mehr aushält, scheißt drauf, ob man die Gefühle des anderen verletzt, und gesteht endlich, dass man chinesisches Essen und Fahrradtouren eigentlich scheiße findet und zackbum aus die Maus.“

      Merlan verlor die Beherrschung. Er griff nach der Seife und biss ein großes Stück ab.

      Candy wandte sich in Entsetzen ab.

      Hermes sprang auf, verengte die Augen zu Schlitzen und kreischte: „Igitt … was zum Henker …“

      Winky drehte sich zur Seite und übergab sich auf den Boden.

      Merlan schloss die Augen, hielt die Seife mit beiden Händen, und kaute genüsslich. „Ihr müsst entschuldigen. Nebst vielen Dingen leide ich unter dem Pica-Syndrom.“

      „Was soll denn das sein?“, fragte Winky und wischte sich den Mund ab. „Du hast doch nicht mehr alle Hummel-Figuren in einer Reihe!“

      „Das Pica-Syndrom verursacht einen spontanen Heißhunger auf Dinge, die allgemein als nicht genießbar oder ekelerregend gelten. Ich habe es mir nicht ausgesucht“, sagte er und nahm einen weiteren Bissen von der Seife.

      „Wäääää“, machte Hermes und drehte den Kopf weg.

      Zumindest eines Gutes hatte das Pica-Syndrom. Merlan war sich sicher, dass jemand, der eine verschissene Seife fraß, so sicher von sexuellen Übergriffen durch seine Mitinsassen war, wie man nur irgendwie sein konnte.

      Merlan hatte bis hierhin ein tragisches Leben geführt. Bis heute wusste er nicht richtig, was seine Vergesslichkeit auslöste. Mit Sicherheit hatte man es ihm schon mehrfach erklärt, aber er konnte es einfach nicht abrufen, wenn er die Information brauchte. Das Schlimmste aber war, wie der Stress in seinem Alltag seine Vergesslichkeit verschlimmerte.

      Ja richtig, Stress. Schlimmer als Krebs, das Finanzamt und die GEZ zusammen. Die Quelle von mehr Krankheit und Übel in unserer Zeit als alles andere.