Bastian Litsek

Das Geschenk der Psychothriller-Parodie


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des Geplänkels. Erzählt mir mehr über euch, ich brauche Details. Wo seid ihr aufgewachsen? Welche Schuhgröße habt ihr? Was gibt es für Schmutz in eurer Vergangenheit, mit dem man euch erpressen könnte?“

      An gewisse Dinge würde sich Merlan für immer erinnern können, mit anderen war das so eine Sache. Er war in Island aufgewachsen und hatte schon immer darunter gelitten, dass seine Heimat ähnlich dem Lummerland langsam im Meer versank. In seiner Kindheit hatte er sich dreimal den Schädel, zweimal das Bein und einmal die linken Zehen gebrochen. Alles in allem nichts, was sich nicht mit etwas Krankenhaus, einer Tube Uhu Alleskleber und einer kühlen Packung Erbsen heilen ließ. Dennoch, irgendetwas in ihm wollte nicht vor dieser Frau seine privatesten Details auspacken. Es war nicht seine Idee gewesen, diese Therapie zu beginnen. Tabea hatte sich diesen Schritt gewünscht. Etwas musste er jedoch preisgeben, sonst könnte seine Geliebte ihm nachher vorwerfen, er würde die Sache nicht ernst nehmen.

      „Mein Elternhaus war schwierig“, fing Merlan an zu erzählen. „Mein Vater war nie sonderlich gut mit Geld, nur wenig davon hat er mit nach Hause gebracht. Ich habe mich immer um ihn gekümmert, und seine achtundzwanzig Meerschweinchen. Er war ein Tiermessie.“

      Frau. Dr. Simonette Tulpenstein machte sich eifrig Notizen. „War Ihr Vater spielsüchtig?“

      „Nein, nein, er hat das meiste des Geldes immer verloren. Löcher in den Hosentaschen, wissen Sie. Er fand die Idee einer Lohntüte immer so romantisch, war aber immer zu knausrig, um sich die Löcher in den Taschen stopfen zu lassen. Ein Teufelskreis müssen Sie wissen.“

      „Schlimm … Schlimm“, bestätigte Frau Dr. Tulpenstein und prüfte auf ihrem Smartphone das Wetter, ohne aufzusehen.

      „Leider habe ich nie gelernt“, fing Tabea an, „wie man sich anständig kleidet. Meine Mutter führte einen Secondhand-Store, und ich bekam immer die Ausschussware der letzten Session zu tragen.“

      Merlan betrachtete Tabeas Kleider. Heute trug sie einen Cord-Minirock, dazu türkisfarbene Strumpfhosen mit pinken Turnschuhen, die ihr eine Größe zu klein waren, und als Oberteil eine Seemannsuniform. Die gleiche, die sie am Tag getragen hatte, als sie auf ihn geschossen hatte. Er konnte sogar noch Rückstände seines eigenen Blutes erkennen. Er musste dringend mal wieder die Waschmaschine anwerfen.

      „Und ich habe eine Tochter, Linda“, sagte Tabea. „Ich bin damals mit vierzehn schwanger geworden. Das war vielleicht eine verrückte Sache! Es war Liebe auf den ersten Blick, aber ich will Sie nicht mit zu vielen Informationen überschütten. Man wird ja immer früh reif, wenn man auf sich selbst gestellt ist. Lindas Vater war bei ihrer Zeugung selber erst zwölf Jahre alt. Es war wirklich schwer, ihn auf Unterhalt zu verklagen, wir waren beide noch nicht volljährig. Es geschah aber alles einvernehmlich, Linda hat regelmäßigen Kontakt zu ihrem Vater, auch wenn der nichts davon weiß.“

      „Interessant, interessant“, murmelte die Therapeutin und schien dabei, eine Skizze anzufertigen.

      „Wirklich?“, fragte Merlan.

      „Ich möchte Ihnen nur ungern die Wahrheit sagen“, gab die Paartherapeutin zurück. „Aber sagen Sie doch. Was hat Sie hierher geführt?“

      In diesem Moment juckte Merlans Brust mal wieder. Dass Tabea damals die Schrotkugeln selber herausgezogen hatte, war zwar nett gewesen, doch rückblickend wäre ihm ein Arzt lieber gewesen. Er war sich sicher, dass bis heute ein paar der Kugeln in seiner Brust steckten. Er traute sich nur nicht, etwas zu sagen, weil die Diskussion sicher sofort in „Es hat keiner gesagt, dass du mich überfallen sollst“ umschlagen würde. Und wenn er ins Krankenhaus ging, müssten die die Schusswunde melden und Tabea würde vielleicht ins Gefängnis kommen. Das wollte er nicht.

      „Sagen Sie“, begann Frau Dr. Tulpenstein, „warum sind Sie heute hier? Wo liegt das Problem zwischen Ihnen beiden?“

      „Meine Frau ist chronisch unzufrieden mit mir“, äußerte sich Merlan mutig.

      Der Blick, den er dafür einstecken musste, ließ ihn seine Worte sofort bereuen. Er legte die Ohren an wie ein Hund, der wusste, dass er etwas Böses getan hatte.

      „Er verheimlicht mir etwas“, sagte Tabea.

      „Ach Liebes“, sagte die Therapeutin und winkte ab, „jeder Mann hat seine Geheimnisse. Wollen wir wirklich wissen, dass er sich um zwei Uhr morgens einen herunterholt und sich dabei Videos von nackten Frauen beim Wandern ansieht? Ich denke nicht.“

      „Nein, es ist etwas anderes. Da ist etwas in seinem Leben, etwas Unheimliches, Finsteres. Und ich fürchte, es wird uns beide einholen und verschlucken.“

      „Uuuuuuhhhh“, machte die Therapeutin und zappelte geheimnisvoll mit den Fingern, lachte und wurde wieder ernst. „Der größte Schreck im Leben eines Mannes sollte immer seine Frau sein. Es ist deine Aufgabe, alle Gräueltaten und verdorbenen Gedanken deines Mannes zu überschatten, Liebchen. Er ist dein Mann, er gehört dir. Nur weil du ihn gebraucht bekommen hast, sind die Probleme der Vorbesitzer nicht gleich deine, und was immer er an Ballast mit sich herumträgt, hat er gefälligst zu unterdrücken, nicht wahr“, sagte sie und grinste Merlan debil an. „Das ist nicht alles“, sagte die Paartherapeutin fordernd. „Kommt schon. Spuckt es aus. Je länger ihr hier sitzt, desto mehr Tabletten müsst ihr nachher nehmen.“

      „Also gut“, sagte Tabea. „Ich habe ihm damals angeboten, mit mir im Restaurant zu arbeiten. Welcher Depp überfällt Leute und verdient so seinen Lebensunterhalt?“

      „Es gibt viele ehrliche Kriminelle, die Mord und Totschlag ihre Brötchenarbeit schimpfen!“, wandte Merlan ein.

      „Sagen Sie, Merlan, können Sie zaubern?“, fragte die Therapeutin.

      „Ist das Ihr Ernst?“, fragte er eingeschnappt. Er hasste diese Frage.

      „Merlan hat den Job im Restaurant angenommen“, fuhr Tabea fort. „Ich konnte unseren Chef überzeugen, ihn einzustellen. Er ist jetzt der Koch.“

      „Wow“, sagte die Therapeutin und verzog die Lippen. „Hochachtung. Es braucht sicher einiges, die Dose mit dem Salat aufzumachen und die vorpanierten Schnitzel einer Frittenbude ins Fett zu werfen.“

      „Sie sind gemein …“, sagte Merlan.

      Frau Dr. Tulpenstein zog eine Sprühflasche mit Wasser hervor und sprühte Merlan zweimal ins Gesicht.

      „Hey, was soll das denn?“, fragte der und blinzelte wild.

      „Regeln, Grenzen, Konsequenzen, junger Mann. Ich lasse in so einem Tonfall nicht mit mir reden. Beschuldigen lasse ich mich von Ihnen gleich gar nicht.“

      „Wissen Sie“, sagte Tabea. „Merlan ist hochbegabt. Wie er mit dem Ketchup kleine Gesichter neben die Pommes malt oder die Rosen auf den Tischen so schneidet, dass sie aussehen wie Karotten, zauberhaft. Er ist außerdem ein Schwimmer von olympischen Qualitäten, im Bett ein begnadeter Liebhaber. Er fährt Auto wie Walter Röhrl. Er ist ein guter Zuhörer und er putzt immer fleißig die ganze Wohnung.“

      „Man sagt ja, die Liebe macht blind“, sagte die Therapeutin. „Und wo liegt dann das Problem?“

      „Er hat ein katastrophales Gedächtnis. Er vergisst alles und das ständig und überall. Es ist ein Wunder, dass er es schafft, sich das Müsli in den Mund und nicht in die Ohren zu löffeln.“

      „Ist das so“, sagte Frau Dr. Tulpenstein nachdenklich.

      Merlan erinnerte sich an die Unterhaltung, die er und Tabea damals im Restaurant geführt hatten. Sein Gedächtnis driftet des Öfteren auf merkwürdige Weise ab. Sobald Leute mehr als zwei Sätze wechselten, ohne ihn mit einzubeziehen, blickte er nur aufmerksam von Person A zu Person B und verschwand in der Welt in seinem Kopf.

      Damals, als sie ihm die Schrotkugeln mit einer Grillzange aus der Brust gezogen hatte, hatte Tabea ihn gefragt, warum ein charmanter Kleinkrimineller wie er nicht längst irgendwo fest angestellt war. Mit Aussicht auf Betriebsrente und Zahnersatz.

      Später hatte er nachgeschlagen, wie genau sich das Helfersyndrom definierte, unter dem Tabea zweifelsohne