Carsten Wolff

Der Geist der Djukoffbrücke


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ihnen nachträglich meine Anerkennung aussprechen muss, und sitze hier bei Nagel bei Tee und Saft mit ihnen an einem Tisch zusammen, mitten in der Nacht!«

      »Und das gibt ihnen Rätsel auf?«

      »Ja, das gibt mir Rätsel über mein eigenes Verhalten auf. Und muss sagen, ich bin es nicht gewohnt, mit einem mir Unbekannten nachts in einer Kneipe zu sitzen! Was wollen sie von mir? Ich denke, es ist eine berechtigte Frage!«

      »Vielleicht über Giacometti diskutieren, weil sie es gerade angeregt haben? Hören sie: Giacometti stammt aus einem kleinen Gebirgstal Bergell, wenn ich mich nicht täusche…«

      »Tun sie nicht«, fahre ich genervt dazwischen.

      »Er liebte die Einsamkeit und auch Distanz zu „Allem und Jedem“ in dieser schroffen und groben Umgebung der Berglandschaft, die ihn offensichtlich sehr inspiriert haben muss. Seine Familie liebte er. Ich liebe auch die Einsamkeit und die große Familie, allerdings die der Nacht.«

      »Sehr schön, sehr schön, mein Herr. Es wäre mir allerdings lieber, eine Diskussion, meinetwegen auch über den sehr interessanten Giacometti, am Tage zu führen, und nicht eben am Ende des Tages beziehungsweise mitten in der Nacht! Also, bevor ich nach Hause aufbreche, frage ich sie zum letzten Mal: Was wollen sie von mir?«

      »Dass sie mich ihrer Freundin Lubow vorstellen!«

      »Was wollen sie von mir? Habe ich richtig gehört?«

      »Sie haben!«

      »Und warum sollte ich es ihrer Meinung nach tun?«

      »Die Antwort müssen sie sich selber geben. Ich kann sie nur fragen. So einfach verhält es sich damit!«

      »Und das konnten sie mich nicht bereits bei Helmut, oder als sie mich später abgepasst haben, fragen?«

      »Es gab keine Gelegenheit bislang dazu!«

      »Keine Gelegenheit. Hmmmm!«

      »Keine Gelegenheit, habe ich ihnen gerade gesagt!«

      »Ich mache ihnen einen Vorschlag. Ich werde mir Gedanken darüber machen und ihnen diese in den nächsten Tagen mitteilen«, kopfschüttelnd stehe ich auf und verlasse die Kneipe und gehe langsam zu meinem Auto, ohne mich noch einmal umzuwenden. Noch von hinterrücks höre ich seine Stimme.

      »Sie besitzen aber nicht meine Telefonnummer!«

      »Gute Nacht, mein Herr!«

      Kapitel 4 - Offenbarung Arik nach Johannes (Kap. 13 Vers 18)

       hic sapientia

       est qui habet intellectum conputet numerum bestiae

       numerus enim hominis est et numerus eius est sescenti

       sexaginta sex

      

       (Hier ist Weisheit!

       Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tiers;

       denn es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist

       sechshundertsechsundsechzig.)

      Dass ich todmüde ins Bett gefallen bin, könnte man mir abnehmen. Leider stimmt es ganz und gar nicht. Ich habe nach dieser merkwürdigen Zusammenkunft und anschließender Diskussion überhaupt kein Auge zugemacht und mich die restliche Nacht von einer Seite auf die andere gerollt. Erst als am Morgen die ersten Vogelstimmen den neuen Tag froh ankündigen, falle ich in einen angenehmen wie tiefen Schlaf zugleich. Durch einen langen Schnarrton, der mich aus der Gedankenschwere herauszieht, werde ich geweckt. Schlaftrunken und gerädert rufe ich zur Tür:

      »Ich komme schon!«

      Natürlich steht die liebe Luba bestgelaunt vor der Tür und guckt mich verdutzt an. Natürlich, wer will es ihr verdenken, ist sie von meinem desolaten, schläfrigen Zustand überrascht.

      »Was ist denn letzte Nacht mit dir passiert? Hast du etwa getrunken?«, und stellt sofort resolut weiter fest:

      »Dans cet état dérangé Je ne veux pas te voir! (In diesem derangierten Zustand möchte ich dich nicht sehen!). Bring dich in Ordnung und erst dann werde ich dich empfangen!«, sofort dreht sie sich beleidigt um und geht die Treppen in Richtung ihrer Wohnung hoch.

      Ich rufe ihr nur noch ein müdes: »A‘ vos ordres, Madame!« hinterher, bevor ich wieder sterbensmüde ins Bett falle. So eben noch bekomme ich einen Gedanken ins Gehirn: Derangiert hat sie gesagt. Wenn sie nur wüsste? Und sofort schlafe ich für ein paar Stunden weiter.

      Erst am Nachmittag finden meine Nerven wieder zu mir zurück, auch weil sich mein leerer Magen eben gemeldet hat. Derangiert fällt mir als erstes Wort wieder ein. Ja, verwirrt, das bin ich auch! Deinetwegen liebe Freundin!

      Wenn man wie betäubt ist, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten wieder herauszukommen. Das Duschwasser entweder auf kalt oder eben auf brühend heiß einstellen. Ich ziehe die letzte Variante vor und fange an zu leben, nachdem sich meine Haut bereits krebsrot gefärbt hat. Als ich wenig später vor ihrer Haustür stehe, bittet sie mich herein, beäugt mich nach wie vor sehr kritisch. Und nicht nur mich, sondern meine sämtlichen Bewegungen dazu.

      »Sei ehrlich zu mir, Torben. Weiber und Alkohol!«, poltert sie ungewohnt laut heraus und fügt noch an:

      »Männer sind doch alle gleich!«

      »Nein, nein, es ist nicht so, wie du jetzt denkst! Ihr Frauen seid nicht besser als wir Männer. Ihr träumt auch nur eure Schubladen mit Vorurteilen leer!«, entgegne ich ihr genauso resolut.

      »Weißt du, was ich letzte Nacht durchgemacht habe?«

      »Weiber und Alkohol!«

      »Nein, das stimmt doch gar nicht! Willst du meinen unverdächtigen Atem riechen?«

      »Untersteh dich, du Ekel. Ich überlege mir gerade, ob ich dich nicht wieder hinauswerfe. Pfui, du Ekel!«

      »Also, liebe Luba, mein liebes Lubotschka!«, und ich lächele sie herzzerreißend an.

      »Hör mit deiner Schmeichelei auf und erzählt endlich, was passiert ist. Kannst du dir eigentlich denken, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe? Du bist schließlich nicht mehr der Jüngste!«, behauptet meine Bekannte, geht in die Küche und stellt mir bereits ihren lecker duftenden Tee vor die Nase und selbst gebackenen Kuchen dazu. Freudestrahlend greife ich beherzt zu (immer noch in Gedanken über ihren Spruch: Du bist ja nicht mehr der Jüngste! Und sowas muss ich mir von einer 91 Jährigen sagen lassen? Naja, ihr biblisches Alter entschuldigt sie auch gleich wieder! Hoffentlich hat sie nicht meine Gedanken erraten?)

      »Ich möchte deine Gedanken nicht kommentieren!«, fährt sie mir bereits in die Seite: »Die waren unangemessen und respektlos! Nun ist aber auch gut. Und erzähl, was so furchterregendes passiert ist.«

      Und dann erzähle ich sinngemäß, fast wörtlich, den Hergang des gestrigen Abends und vor allem über den spindeldürren Arik zum Abschluss bei Nagel. Mir fällt sofort auf, wie sich ihre Hautfarbe zum Rötlichen hin verändert hat.

      »Und nach mir hat er gefragt?«, fügt sie zum Abschluss nochmals an.

      »Ja, nach dir! Und nicht nur gefragt, sondern er möchte, dass ich ihn dir vorstelle. Ich habe ihm geantwortet, dass ich mir dazu Gedanken machen und dann wieder auf ihn zurückkommen werde!«

      »Das war klug von dir!«

      »Aber, liebe Luba, bedenke, verhindern können wir sein Kommen nicht! Nur aufschieben!«

      »Ja, aufschieben. Da stimmt wohl!« Dann zögert sie mit ihrem Satz und fährt dann fort:

      »Es hat sich bewahrheitet. Der Mechanismus ist in Gang gesetzt.«

      »Luba, du machst mir Angst. Ich verstehe zwar kein Wort: Mechanismus? Was für