Gabriele Beyerlein

Die Göttin im Stein


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so weich, und ihr Rücken, diese Rundung –

      Er würde ihr die Fesseln lösen, mit ihr zum Wassertrog gehen, ihre Füße baden, ihre Beine kühlen, mit beiden Händen Wasser schöpfen und ihr über das erhitzte Gesicht rinnen lassen, zwischen ihre –

      Er stöhnte. Schloss die Augen. Dann öffnete er sie wieder: Der Vater selbst hatte ihm befohlen, Kugeni zu beobachten.

      Mit ihren aneinandergebundenen Händen schöpfte Kugeni Getreidekörner aus dem Vorratsgefäß, streute sie auf den Mahlstein, nahm den kleinen Läuferstein und rieb ihn hin und her. Mit dem ganzen Körper führte sie die Bewegung aus: vor und zurück, vor und zurück. Ihre offenen Haare fielen nach vorn, sooft sie sich vorbeugte. Haare so hell wie Flachs. Die Sonne brannte unter dem Windschutz. Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn, auf ihrer Oberlippe. Sie hatte sehr rote Lippen, weich und voll und leicht geöffnet. Als kleine Rinnsale rann ihr der Schweiß den Hals hinunter, sammelte sich in dem Grübchen am Halsansatz, rann tiefer, rann in den Ausschnitt des Kleides. Wenn sie sich vorstreckte, gab dieser Ausschnitt den Blick frei auf den Ansatz der Brüste.

      Die Sonne brannte so heiß.

      Kugeni richtete sich auf, strich sich mit den gefesselten Händen die Haare aus dem Gesicht, den Schweiß von der Stirn. Ihr Blick fiel auf ihn. Sie hatte sehr helle, sehr blaue Augen.

      Gleichgültig, stumpf strich ihr Blick über ihn. Doch plötzlich kehrte er zu seinem Gesicht zurück, wurde lebhaft. Ein Funken blitzte in diesen hellen Augen auf. Dann senkte sie den Blick, neigte den Kopf, arbeitete weiter.

      Er stand auf, schnitzte an dem Pfeil herum, setzte sich wieder, nun näher zu ihr. Kugeni beugte sich beim Mahlen noch weiter vor. Jetzt konnte er ihre Brüste ganz sehen. Fest und voll, glänzend vor Feuchtigkeit. Ihre Bewegungen wurden langsamer, weicher.

      Sein Mund war ausgedörrt. Ihr Ausschnitt verrutschte. Nun sah er ihre weiße Schulter. Die sanfte Wölbung.

      Kugeni begann leise in ihrer Sprache zu singen. Eine Melodie, schmeichelnd, zärtlich, verlockend. Er kannte keines der seltsamen Worte. Dennoch verstand er dieses nie gehörte Lied, wusste, wovon es erzählte. Sein Atem ging schneller.

      Kugeni sah ihn an, sah ihm in die Augen. Ihre Zungenspitze fuhr über die Lippen. Dann warf sie mit einer geschmeidigen Kopfbewegung die Haare zurück, bog sich weit nach hinten, hob die zusammengebundenen Arme über den Kopf, presste sie in den Nacken. Ihre Brüste zeichneten sich unter dem Kleid ab. Wie Knospen standen ihre Brustwarzen hervor. Ein Gewuschel heller, lockiger Haare wuchs unter ihren Achseln.

      Ein erstickter Laut bildete sich in seiner Brust. Und plötzlich war er mit zwei Schritten vor ihr, kniete bei ihr nieder, presste seinen Kopf zwischen ihre Brüste, sog den Geruch ein: Sonne und Schweiß und Getreide und noch etwas, etwas, das ihn betäubte.

      Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre gefesselten Arme und zog ihn fester an sich. Er stöhnte. Sie grub ihre Finger in seine Haare, flüsterte heiße Laute in sein Ohr, bog seinen Kopf zurück, küsste seine Augenlider, seine Nasenwurzel, seine Wangen, seinen Mund, streichelte seine Zungenspitze mit der ihren, sog sich daran fest. Plötzlich hatte sie die Arme wieder vor seinem Kopf, nahm sein Gesicht in die Hände, fuhr mit den Fingern über seine Lippen, über seinen Hals, seine Brust, tiefer und tiefer.

      Sein Glied, steif wie noch nie, brannte in ungeahnter Hitze, fieberte der Berührung entgegen, die er nicht zu denken wagte. Erst vor kurzem hatte er begonnen, heimlich im Wald die Lust zu erkunden, die seine Hände an diesem geheimnisvollen Ding erregen konnten. Und immer hatte er dabei an sie gedacht, an ihre Haare, ihre Brüste, ihren Körper, hatte ihren Namen gestöhnt im Schauer der Erlösung. Doch auf einmal war ihm klar, dass dies alles nichts war gegen den Feuersturm, den sie selbst mit ihrer Berührung entfachen konnte.

       Näher kamen ihre Hände, näher, jetzt, gleich …

      Da richtete sie sich auf, streckte ihm die gefesselten Handgelenke entgegen, sie sagte etwas, ihre Stimme war dunkel vor Verheißung, ihre Augen baten und versprachen zugleich, natürlich, die Fesseln, sie störten, mit gefesselten Händen konnte sie es nicht tun, schon zerrten seine Finger an dem festen Knoten im Strick, begannen ihn zu lockern – da hörte er Hufschlag, der rasch näher kam.

      Er fuhr hoch, stieß Kugeni zurück, sprang auf, rannte zur Tränke, tauchte den Kopf ins Wasser. Das Blut dröhnte in seinen Ohren. Er hörte den Vater rufen. Langsam ging er dem Vater entgegen, kaum wagte er zu Kugeni zu blicken, streifte sie mit einem raschen Blick, sie kniete und mahlte wie eh und je, hob nicht den Kopf, die Hände noch immer gefesselt, nicht auszudenken, wenn der Vater später gekommen wäre, nur einen kurzen Augenblick später …

      Der Vater warf ihm die Zügel des Pferdes zu, wollte sich schon ins Haus wenden, doch plötzlich stockte er, sah ihn, den verbrecherischen Sohn, scharf an, baute sich vor ihm auf, die Hände in den Waffengürtel gehakt. »Was ist?«, fragte er streng. »Hast du mir etwas zu sagen?«

      Er senkte den Kopf, der Vater war der Stellvertreter des Himmelsvaters, wie hatte er sich gegen den Vater auflehnen können, den Vater betrügen, der Vater sah es ihm an, schon immer war das so gewesen, er konnte den Vater nie belügen, es gelang nicht, der Vater würde es merken und ihn totschlagen, der Speicher, nicht der Speicher –

      »Ja, Herr«, sagte er, seine Stimme brach, er rang nach Luft, Mutter, was soll ich tun. »Ja, Vater, verzeiht, ich …«, er stockte, doch dann, auf einmal, waren die Worte da, die Rettung: »Ich wollte Euch bitten, mich zu den Wölfen ziehen zu lassen. Ich möchte die Prüfungen ablegen!«

      Lykos drehte sich zu Temos um. »Hat Vater eigentlich diese Nebenfrau noch, diese Fremde, wie hieß sie doch gleich, Kugeni?«

      Temos schüttelte den Kopf. »Nein. Vater hat überhaupt keine Nebenfrauen mehr. Seit deine Mutter tot ist, hat er nur noch meine Mutter. Fast, als wär‘ jetzt sie seine rechtmäßige Ehefrau.« Stolz klang in seiner Stimme.

      Als sei sie durch ihre Erwähnung herbeigerufen, trat Noedia, Temos‘ Mutter, auf sie zu.

      »Lykos, willkommen in deinem Vaterhaus!« Sie reichte ihm einen Becher Bier und führte ihn ins Haus.

      In der Tür blieb er stehen, gewöhnte die Augen an das Dämmerlicht, dann trat er ein, verneigte sich vor dem Vater auf der Bank. »Ich grüße Euch, Herr. Ihr habt mich rufen lassen?«

      »Setz dich zu mir, mein Sohn!« Der Vater wies auf die zweite Bank, die mit Bärenfell bedeckte Gastbank.

      Lykos lächelte. »Es ist mir eine Ehre, Vater.« Früher hatte er diese Bank ehrfurchtsvoll bewundert. Nun lud der Vater ihn ein, darauf Platz zu nehmen.

      Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Vater. Herrisch und unbeugsam