Gabriele Beyerlein

Die Göttin im Stein


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Fackelschein führen die Drei uns zu den Fruchtbarkeit spendenden Bäumen am Bachrain: Birke und Erle, Hasel und Weide. Im Fackellicht schneiden wir Zweige. Im Fackellicht trinken wir Met. Im Fackellicht streichen wir einander leicht mit den Ruten: Fruchtbarkeit dringt ein durch unsere Haut.

      Dort schreitet die junge Priesterin mit der Fackel. Der Mann kommt zu ihr, der Auserwählte. Sie löschen die Fackel. Jetzt vollziehen sie die Heilige Hochzeit. Der Himmel neigt sich zur Erde und spendet ihr seinen Regen. Und die Erde öffnet sich und wird fruchtbar und lässt den Samen wachsen, der in ihr ruht.

      Unser Getreide wird wachsen, fruchtbar werden unsere Felder sein, wenn wir sie fruchtbar machen, wir alle mit unserer Kraft, die wir im Monat der Enthaltsamkeit gesammelt haben. Jetzt muss ich es tun, mit irgendeinem fremden Mann, und dann noch einem, noch einem. Ihr zu Ehren, in Ihrem Dienst. Damit meine Kraft Ihre Kraft erhöht. Damit Ihr Segen die Erde befruchtet.

      Da, im Dunkel, einer kommt auf mich zu, die Du Eins bist in Drei und Drei in Eins, ich muss mich würdig erweisen. Ich sehe nicht mehr als seinen Umriss, aber ich erkenne ihn, ehe er mich berührt. Er umarmt mich, zieht mich an sich. Seine schmalen Hände in meinem Haar. Seine weichen Lippen auf meinen Lidern. Es ist wie eine Musik von ungeahnter Herrlichkeit. Töne offenbaren sich in Farben, überfluten mich. Mein ganzer Körper verwandelt sich. In leuchtende Musik, in klingende Farben, in tönendes Licht.

      »Zirrkan«, flüstere ich, doch er verschließt meine Lippen mit seinem Mund. Wie sehr ich mich nach seinen Lippen gesehnt habe. Zart streicht sein Finger über meine Handfläche. Ich zerberste. Er und ich. Keine Zeit mehr, kein Raum. Am Himmel sind wir zwischen den Sternen.

      Wir drängen zueinander, wir zittern beide und finden Halt im andern. Er kniet vor mir nieder. Ich drücke seinen Kopf in meinen Schoß. Und fühle mich weit und schön und groß. Auf meinem Mantel, unter seinem Mantel, dringt er ein in mich. Zirrkan, Zirrkan. Geliebter.

      Ausgelöscht die Erinnerung an Taku, nichts ist so wie mit ihm. Zirrkan ist mein Mann, mein einziger. Wir verlieren uns im Glück und finden uns im andern. Wieder umfängt er mich. Ich bin geborgen in der Rundung, die sein Körper mir bereitet. Ich spüre mein Herz gegen seine Finger pochen.

      Alles, was ich bin, fließt in ihn. Alles, was er ist, durchdringt mich.

      Um uns herum bilden sich im Dunkel der Nacht immer neue Paare, vollziehen die Heilige Hochzeit nach – der Göttin zu Ehren. Doch wir, er und ich, wir lieben.

      Haibe wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann richtete sie sich auf. Was tat sie hier! Sie träumte der Vergangenheit nach und sollte sich doch lieber auf ihre Aufgabe vorbereiten! Statt sich nach Zirrkan zu sehnen, sollte sie versuchen die Steine zu erweichen.

      Es galt, die Verbindung zu den Müttern und Ahnen zu finden. Es galt, Regen herbeizuflehen. Es galt, eine Hungersnot abzuwenden.

      Sie begann zu beten, murmelte halblaut alle Anrufungen, die ihr in den Sinn kamen. Doch sie spürte die Nähe der Göttin nicht, und immer wieder glitten ihre Gedanken ab. Sie hatte es ja geahnt: Sie war nicht berufen.

      Schließlich – wie weit mochte der Tag inzwischen fortgeschritten sein? – tastete sie mit vorgestreckter Hand nach der Wand und bewegte sich auf Knien darauf zu. Sie stieß gegen etwas Hartes: ein Tonbecher. Sie hörte, wie er umfiel, in Scherben zerbarst. Ein Knochen kollerte davon, höhnisches Keckern.

      Dann kniete Haibe dicht an einem großen Trägerstein. Sie breitete die Arme aus: Mit Mühe konnte sie seine Vorderseite umfangen, von Fuge zu Fuge. Sie drückte sich an ihn, umschloss seine leichte Rundung mit ihrem Körper, streichelte die glatte Fläche und legte ihre Wange an den kalten Stein. »Mutter«, flüsterte sie. »Mutter, hörst du mich? Mutter, wende dich mir zu! Hilf mir!«

      Da war nichts, keine Zuwendung, keine Hilfe. Nur Härte. So wie damals, vor vielen Jahren …

       »Mutter«, flüsterte Haibe und umarmte ihre Mutter, »bitte hilf mir! Ich kann nicht leben ohne ihn!«

      Der Körper der Mutter verhärtete sich. »Nicht leben ohne ihn?«, wiederholte die Mutter. »Du kannst nicht leben mit ihm!«

      Haibe ließ die Arme sinken, zuckte zurück. Warum verstand die Mutter es nicht, da sie doch sonst alles verstanden hatte? Am Morgen nach dem Heiligen Fest hatte das Entsetzen Haibe die Kehle zugeschnürt: Was habe ich getan, ich habe das Fest entweiht, statt die Heilige Hochzeit zu feiern, habe ich mich in der Liebe verloren, die Göttin wird uns alle dafür strafen! Sie hatte darüber sprechen müssen, unmöglich, diese Schuld allein zu ertragen, weinend hatte sie alles der Mutter erzählt. Und die Mutter hatte sie in die Arme genommen: Die Liebe ist eine Gabe der Göttin. Wenn es der Göttin gefallen hat, dich an ihrem Heiligen Fest die Liebe erfahren zu lassen, weshalb sollte sie dir deshalb zürnen? Hab keine Angst, meine Tochter. Freu dich daran. Und da es nun einmal so gekommen ist – genieße diese Feiertage mit deinem Zirrkan. Aber vergiss nicht, dass du bald Taku zum Mann nehmen musst!

      Wie hätte sie an Taku denken sollen, da sie doch Zirrkan liebte! »Ohne Zirrkan bin ich nur ein zerbrochenes Gefäß«, sagte sie, »ein Scherbenhaufen!«

      »Ach, Haibe!«, erwiderte die Mutter. »Du bist verliebt. Jede von uns versteht das! Aber Verliebtheit ist eine Sache und Heirat eine andere. Du hast die Freuden der Liebe kennengelernt, nun lernst du den Schmerz. Nur für kleine Kinder hält das Leben Geschenke bereit – umsonst. Du aber bist kein kleines Kind mehr. Für alles, was du bekommst, musst du etwas geben. Was ist eine von uns gegen das Ganze! Was sind deine Wünsche gegen das Wohl unserer Sippen! Also tu deine Pflicht!«

      »Ich weiß es ja, Mutter, ich wollte meine Pflicht tun! Ich habe darum gekämpft. Aber ich kann es nicht!«

      »O doch, du kannst! Deine Ehe mit Taku ist seit langem beschlossen. Zum nächsten Vollmond musst du Taku zum Mann nehmen. Zum nächsten Vollmond wird durch deine Heirat einmal mehr die Verbindung zwischen den Dala und den Koa gefestigt, für deine Generation neu der Bund der wechselseitigen Heiraten begründet. So haben unsere Mütter den Bund geschlossen und vor ihnen deren Mütter. So habe auch ich einst deinen Muga geheiratet, damit die Dala und die Koa einander beistehen in jeder Not, damit unsere Kinder im Leben vereint sind wie unsere Mütter und Ahnen im Tod.«

      »Ich kann das nicht, begreif doch! Warum bist du auf einmal so hart?«

      »Weil du es bist, die nicht begreifen will, Haibe! Du meinst, du könntest dich gegen die ewige Ordnung stellen, du ganz allein. Hast du die heilige Geschichte von den Urfrauen Ba und Ra vergessen?«

       Wie könnte sie.

      Die ganze Kindheit hatte diese Geschichte sie begleitet:

      Vor den alten Zeiten und vor der heiligen Ordnung lebte einst jede Sippe für sich allein, jede Frau bestellte das eigene Feld, und jeder Mann hütete das eigene Vieh. Wenn aber ein Feuer ihr Haus verbrannte, so gingen sie zugrunde, und wenn eine Missernte kam, so