G. T. Selzer

Volle Deckung


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antworten konnte, und öffnete die Tür. „Lizzy, sei so nett und bring uns zwei Kaffee.“

      Das Foto, das der Fremde inzwischen aus seiner Jeanstasche gefummelt hatte, war zerknittert und auch nicht mehr ganz sauber. Er legte es behutsam auf die Schreibtischplatte, warf noch einen Blick darauf und schob es dann Robert hinüber.

      „Das ist Bianca von Hellgarten. Sie sollen sie finden und in Sicherheit bringen.“

      Robert nahm das Bild und betrachtete es. Es zeigte eine lachende, etwa sechzigjährige Frau vor einer großen Villa. Im Hintergrund sah man einen riesigen, parkähnlichen Garten.

      „Haben Sie in etwa eine Ahnung, wo sie sich aufhält?“

      Kopfschütteln. „Im Rhein-Main-Gebiet. Mehr weiß ich nicht.“

      Robert tippte auf das Foto. „Wo ist das aufgenommen?“

      „Das ist alt. Das Haus und alles kann Ihnen nicht weiterhelfen.“

      „In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihr?“

      Der Mann fixierte ihn stumm. „Das tut nichts zur Sache.“

      Robert seufzte. „Und Sie meinen, sie ist wirklich in Gefahr?“

      Der Andere nickte ernsthaft.

      „Warum gehen Sie dann nicht zur Polizei?“

      Verächtliches Schnauben. „Sicher. Die würden sich die Beine ausreißen, wenn jemand wie ich mit so einer Geschichte käme.“

      Nachdenklich musterte Robert den Mann. Nichts an ihm schien in den letzten drei Wochen gewaschen worden zu sein. Weder seine Kleidung noch er selbst. Höchstens seine Hände und sein Gesicht waren mit Wasser in Berührung gekommen. Und trotzdem bekam Robert das Gefühl nicht los, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte.

      Und der Fremde hatte natürlich Recht. Wegen ihm würde kein Polizist Überstunden machen.

      „Auch mir haben Sie die Geschichte noch nicht erzählt.“

      „Also. Bianca“ – er tippte auf das Foto – „kommt aus Essen, befindet sich jetzt aber hier in der Gegend. Wo, weiß ich nicht. Sie ist irgendwie lahmgelegt worden, ausgeschaltet, unschädlich – für die Anderen, meine ich. Ich weiß nicht, was sie mit ihr gemacht haben. Sie lebt, aber vielleicht nicht mehr lange.“

      „Wer sind sie?“

      „Wenn ich das wüsste, brauchte ich Sie nicht.“

      Der Mann lehnte sich in seinem Besuchersessel zurück und verschränkte die Arme über der Brust, während er ohne nennenswerten Erfolg den Kopf zurückwarf – die fettigen Haare fielen sofort wieder ins Gesicht. „Mehr kann ich nicht sagen.“

      Robert beugte sich in seinem Sessel vor und machte sich einige Notizen. „Das ist alles, was Sie haben? Wo um Himmels Willen soll ich denn da ansetzen?“

      „Ihr Job, oder?“ Der Andere starrte ihn an.

      Robert seufzte. „Und Sie wollen nur, dass ich sie finde?“

      „Und in Sicherheiten bringen.“

      „Wie finde ich Sie – ohne Namen, Adresse ...“

      Der Mann stand auf. „Ich melde mich bei Ihnen.“

      An der Tür hielt er inne und drehte sich um. „Danke“, sagte er.

      In diesem Moment ging die Tür auf und Lizzy kam mit der Thermoskanne und zwei Kaffeebechern herein. Robert schloss die Augen, doch wunderbarerweise blieb ein Zusammenstoß dieses Mal aus.

      Die Beiden hörten die Vordertür zuschlagen. Während Robert das Fenster öffnete, sagte er: „Bin gleich wieder da“, schnappte sich seine Jacke und eilte durchs Treppenhaus davon.

      Der Mann, der sich Hans Meier nannte, trat auf die Lorscher Straße hinaus, die eindeutig nicht für den Nachmittags-Durchgangsverkehr gemacht war. Doch er nahm den Lärm nicht wahr, trottete weiter, überquerte die Nidda-Brücke und bog in den Brentanopark ein. Bald war er umgeben von alten Bäumen, lief auf gepflegten Wegen durch frisch gemähtes Grün. Der Verkehrslärm wurde leiser, dafür durchdrang das Rauschen des Rödelheimer Wehrs am Petrihaus die Luft, und das Wasser der Nidda stob seine Gischt in den Mainachmittag.

      Er lief, die Hände in den Jackentaschen, mit gesenktem Kopf durch die Anlage, als sähe und hörte er nichts. Der Alte muss noch mal ran. Das Geld wird knapp, murmelte er lautlos vor sich hin. Aber wenn ich diesem Möchtegern-Matula nicht genug gegeben hätte, hätte der doch gar nicht erst angefangen. Sind doch alle gleich. Eine fast weiße Labradorhündin kam ihm freundlich entgegen und schnüffelte neugierig an seinen Beinen, bevor ihre Besitzerin sie scharf zurückpfiff. Er merkte es kaum. Scheint aber ganz okay zu sein, der Typ, dachte er.

      Ebenso wenig hätte er Robert Stenger bemerkt, der kurz nach ihm aus dem Haus gegangen war, selbst wenn dieser in dem weitläufigen Park mit den vielen alten Bäumen ein weniger leichtes Spiel mit seiner Beschattung gehabt hätte. Sie umrundeten das Brentanobad, das in diesem Jahr ein paar Tage früher geöffnet hatte und in dem schon einige Unverzagte die Freibad-Saison eröffneten. Der warmen Luft zum Trotz war das Wasser im Becken noch kalt, die Schreie entsprechend spitz und schrill. Die Idylle währte nicht lange – sie näherten sich der Ludwig-Landmann-Straße. Der Fremde wartete, ließ den Verkehr vierspurig an sich vorbeirauschen, hechtete in eine Lücke hinein, blieb auf der Insel stehen und wiederholte den Vorgang auf der anderen Straßenhälfte. Vor der weißen Fassade der Russisch-Orthodoxen Kirche schließlich hockte er sich nieder, halb auf dem niedrigen Podest der Einzäunung, halb auf seinen Fersen sitzend. Er schien auf jemanden zu warten. Mit der gleichen todesverachtenden Entschlossenheit warf sich Robert auf die Straße. Doch überquerte er sie nur halb und blieb auf der Verkehrsinsel hinter einem Busch verborgen stehen.

      Es dauerte etwa zwanzig Minuten, da hielt ein schwarzer Mercedes S 320 neben der Kirche. Für einen Augenblick wurde der so genannte Hans Meier von dem Fahrzeug verdeckt; doch als es mit quietschenden Reifen wieder anfuhr, war er vom Straßenrand verschwunden.

      Robert Stenger sprintete zur Haltestelle gegenüber, in die gerade ein Bus einfuhr, und lächelte zufrieden. Er hatte das Kennzeichen.

      Das Schöne an Lizzy war – unter anderem –, dass sie keine unnötigen Fragen stellte. Wahrscheinlich hauptsächlich deshalb, weil lange Jahre der Zusammenarbeit mit Robert sie gelehrt hatte, dass sie keine Antwort bekommen würde, wenn er es nicht wollte. Als sei Robert gar nicht weg gewesen, stellte sie ihm eine frische Tasse Kaffee auf seinen Schreibtisch und setzte sich in den Besuchersessel davor.

      „Komischer Vogel.“

      Sie schürfte. Der Kaffee war immer noch heiß. Robert wartete.

      „Sieht aus, als hätte er sich verkleidet.“

      Neuerliches Schlürfen. Suchender Blick. „Wo sind eigentlich … Ach – danke!“ Robert hatte eine Schachtel Kekse aus der Schublade gezaubert, noch ehe sie den Satz zu Ende bringen konnte. Er nahm seine Tasse und sagte immer noch nichts.

      „Hattest du nicht auch das Gefühl, als ob da zwei Sachen nicht zusammengehören? Ich meine, das Äußere und das – das, wie soll ich sagen – das Gehabe. Auftreten. Die gebildete Sprache. Kein regionaler Akzent, gestochenes Hochdeutsch, gute Schule.“

      Sie nahm noch einen Keks und spülte mit Kaffee nach.

      „Weißt du, als ob sich ein feiner Pinkel als Penner verkleidet hätte, meinst du nicht?“

      Robert grinste und griff nach den Keksen. Er konnte sich auf Lizzys Urteil verlassen. Zumal, wenn sie zum gleichen Schluss kam wie er.

      „Und er weiß mehr, als er zugibt“, er zeigte auf die Schublade. „Hat bar bezahlt – also warum nicht. Morgen muss ich noch mal nach Bönstadt zu dem grundlos eifersüchtigen Ehemann mit der braven Frau. Abschlussbericht und hoffentlich auch Kohle cash. Danach mach ich mich gleich auf die Suche nach dieser Frau von Hellgarten.“

      Sonntag,