G. T. Selzer

Volle Deckung


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      „Na ja, die Lkws werden natürlich nicht durchsucht, wenn sie durchs Tor kommen. Die kommen ja jeden Tag, und die Fahrer kennt man.“

      „Was ist mit den Aushilfen?“

      Steiner schnaubte. „Aushilfen! Das sind feste Arbeitskräfte, die einfach nur kurz gehalten werden. Die Arbeitsverträge sind befristet, werden verlängert – oder auch nicht – und die Leute wissen nie, woran sie sind, damit sie auch schön die Schnauze halten ...“ Er holte tief Luft.

      Langer wedelte ungeduldig mit der Hand. „Ja, ja, schon gut! Uns interessiert nur, ob Ihnen da was aufgefallen ist. Sind Neue dabei? Irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen?“

      Erneutes Kopfschütteln.

      Die Tür ging auf, und mit dem Höllenlärm trat Dr. Eilers herein. Korp stand auf und redete leise mit ihm.

      „Schlag auf den Hinterkopf. Spitzer, eher dreieckiger Gegenstand. Kräftiger Schlag. Todeseintritt sofort.“ Er machte eine Kunstpause. „Ist aber schon fast vierundzwanzig Stunden her.“

      Korp nickte, er hatte ebenfalls beobachtet, dass sich die Totenstarre bereits wieder zu lösen begann. „Die Kollegen gehen jetzt ran.“ Dr. Eilers deutete hinter sich auf das Team der KTU. Dann sah er auf die Uhr. „Ich sehe zu, dass ich noch ein Mütze Schlaf kriege, dann nehme ich ihn gleich dran. – Haben Sie ihn sich angesehen?"

      Korp nickte.

      „Merkwürdig, oder? Ich meine, hier ...“ Eilers blickte kurz nachdenklich durch die Halle, dann zuckte er die Schultern und ging.

      Fast unmittelbar danach wurde wieder die Tür aufgerissen, und ein Mann, dessen auffälligstes Merkmal darin bestand, dass er keines hatte, stürmte in den Sozialraum. Mittelgroß, mittelalt, grau-braunes Haar, beige Blousonjacke, braune Hose. Er war derart unscheinbar, dass er sich offensichtlich schon vor längerer Zeit angewöhnt hatte, seine Belanglosigkeit mit Lautstärke zu überbrücken.

      „Herbert – was ist denn hier los!? Du hast am Telefon nur gesagt …“

      Währenddessen zog Korp seinen Vorgesetzten beiseite und flüsterte ihm ins Ohr: „Der liegt schon seit gestern Abend hier. Todeseintritt Samstag gegen dreiundzwanzig Uhr. Hat den denn keiner gesehen?“

      „Die Schicht fängt erst um achtzehn Uhr am Sonntag wieder an, seit Samstag früh war keiner mehr hier, wenn ich den Mann richtig verstanden habe.“

      „Immer noch vier Stunden ...“

      Langer nickte, wandte sich um und stellte sich – mit Ausweis – dem Neuankömmling vor. „Bitte setzen Sie sich. Herr Nagel, wie ich annehme?“

      Der Chef vom Dienst nickte.

      Langer hielt ihm sein Handy hin. „Kennen Sie diesen Mann?“

      Nagel stöhnte und sank auf einen Stuhl. „Ach du lieber Gott! Ist der tot?“

      „Sie kennen ihn also?“

      „Nein, natürlich nicht.“ Nagel schüttelte ärgerlich den Kopf und schob das Bild weg. Was interessiert mich der Typ, schien er sagen zu wollen. „Ein Toter in der Halle! Die Stadtausgabe muss raus! – Was mache ich denn jetzt?!“ – Sein Kopf fuhr zu Steiner herum. „Hast du das Band angehalten?!“

      Kopfschütteln. Schulterzucken. „Aber spät sind wir trotzdem, Werner.“ Zu den Polizisten gewandt, fragte Steiner: „Ich müsste mal wieder an meine Arbeit. Soll ich den José hereinschicken?“

      „Einen Moment noch. Wenn nicht gearbeitet wird, wie zum Beispiel samstags – wer kommt dann hier rein?“

      „Niemand. Nur, wer einen Schlüssel fürs Tor vorne am Hof hat.“

      „Ja? Und wer hat einen Schlüssel? Hören Sie, wir wären schneller fertig, wenn man Ihnen nicht alles aus der Nase ...“

      „Ich beantworte doch Ihre Fragen! Also, ich habe einen Schlüssel. Und wer von den hohen Herren alles einen Schlüssel hat, weiß ich wirklich nicht.“

      Gegen vier Uhr hatten die Beamten die Halle geräumt, war auch die letzte, die Stadtausgabe der FNZ – wenn auch verspätet – verladen und unterwegs zu den Kiosken und Verteilern. Und Werner Nagel dem Herzinfarkt nahe. Die Arbeiter der Nachtschicht, inklusive des Chefs vom Dienst, hatten nichts ausgesagt, was den Beamten hätte weiterhelfen können. Nur, dass Nagel dazu mehr Worte, Gesten, Ausbrüche und Beschimpfungen brauchte als die anderen.

      In der Halle war es inzwischen still, die Lastwagen verschwunden. Die Spurensicherung hatte ihre Untersuchung noch nicht abgeschlossen. Langer und Korp traten hinaus, wo sie von einem lautstarken Konzert aus Zwitschern, Piepen, Trällern und Zirpen empfangen wurden. Im Osten war der Himmel schon hell. Ein neuer Morgen, der einen schönen Tag ankündigte, war über Sachsenhausen angebrochen.

      „Und nachher“, meinte Langer zu seinem Kollegen, der sich gähnend streckte, „nachher werden Sie mal einen ganz armen Mann am Taunus besuchen.“

      Montag, 11. Mai

       5

      „Wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit für eine Durchsage. Die Polizei bittet um Ihre Mithilfe. Seit heute in den frühen Morgenstunden wird Frau Bianca von Hellgarten aus Königstein vermisst. Frau von Hellgarten ist 65 Jahre alt, hat dunkelblondes, kurz geschnittenes Haar und trägt helle Hosen, einen dunklen Blazer und helle Schuhe. Frau von Hellgarten ist orientierungslos und braucht dringend ärztliche Hilfe. Hinweise bitte an die Polizei in Königstein oder an jede andere Polizeidienststelle.“

      Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Robert Stenger zu lange auf das Autoradio gestarrt. Als er wieder auf die Fahrbahn schaute, war es zu spät. Seine Bremsen quietschten, und er hörte das abscheuliche Geräusch, das Metall verursacht, wenn es mit seinesgleichen in ungewollte, schlagartige Verbindung kommt. Er wurde ans Lenkrad geschleudert, der Sicherheitsgurt brannte auf seiner Brust, dann stand der Wagen. Für einen Moment war Stille. Nichts bewegte sich. Robert saß immer noch benommen hinter dem Steuer, als ein junger Mann, der Fahrer des weißen Golf vor ihm, bereits die Fahrertür geöffnet hatte und besorgt auf ihn einredete.

      „Ist Ihnen was passiert?“

      Robert sah in ein vorwiegend von Akne beherrschtes Gesicht, das ein schüchterner Kinnbart auch nicht mehr retten konnte, und in ein Paar erschrockene Augen. Vorsichtig versuchte er, den Gurt zu lösen und aus dem Auto zu steigen.

      Der junge Mann half ihm. „Mann, ich glaube, wir haben irgendwie noch mal echt Glück gehabt, was?“ Er grinste schon wieder zaghaft.

      „Es war wohl meine Schuld“, murmelte Robert, während er sich an die Fahrertür lehnte. „Am besten, wir tauschen unsere Adressen aus, um den Rest soll sich die Versicherung kümmern.“ Der Aufprall war – im Vergleich zu den fürchterlichen Phantasien, die ihm eben noch durch den Kopf geschossen waren – harmlos.

      „Ja, also, ich weiß jetzt nicht.“ Der Jüngling kraulte gedankenverloren sein Kinn. „Ehrlich, ich weiß jetzt echt nicht – Sollen wir nicht lieber die Polizei irgendwie ...?“

      „Ach was!“ Robert bewegte vorsichtig seinen Kopf hin und her und tastete seinen Brustkorb ab. Es tat noch weh, der Gurt hatte sich festgezurrt, doch es würde gehen. „Bis die da ist! Da können wir hier Stunden warten!“ Er sah sich um. Auf der Landstraße, die sich zwischen den Hügeln der Wetterau wand, war kein Auto zu sehen. „Und außerdem – ich bin aufgefahren; das sieht man ja wohl.“ Er zeigte auf die verbeulte Stoßstange des alten Golfs und begutachtete dann den Schaden an seinem Peugeot. Die Lampe vorne links war hin, ein Teil des Kotflügels war eingedellt. „Hier, ich schreibe Ihnen meine Kfz-Nummer auf die Karte. Und das ist meine Versicherung.“

      Der junge Mann zögerte noch. „Ich denk halt nur, weil, unser Fahrlehrer hat immer gesagt ...“

      „Nein, glauben Sie mir. Das ist schon in Ordnung. Und wenn Sie“, jetzt grinste Robert, „wenn Sie