der Vogel nicht wiederkommt“, sagte er. Dann glitt er zu der weinenden Josi hin und blies ihr mit seiner Gedankenkraft viel Hoffnung ins Ohr.
Der Koboldiner zögerte nicht lange. „Ich werde ihn finden, wenn er die Zeit bisher gut überstanden hat und die andern Vögel ihm nichts getan haben. Hoffentlich ist er nicht zu weit weggeflogen, dann wird es schwierig werden, ihn zurückzubringen“, vermutete er und brummte davon.
Pontulux, der Zwicker, glitt derweil vorsichtig an Miriam heran. Er wusste noch nicht, was er machen könnte, damit die Schwestern sich besser verstehen. Zunächst einmal wollte er ergründen, wie weit er überhaupt an sie herankam, ob der Eisluchs ihn bald bedrohen würde. Doch noch hielt der sich abwartend zurück, verfolgte nur misstrauisch, was die Magihexer taten und fauchte warnend. Pontulux war sich aber sicher, es fehlten nur noch ein paar böse Taten oder Gedanken von Miriam und der Eisluchs würde so dicht an sie heranrücken, dass er es schwer hätte, noch an ihr Ohr zu gelangen, um sie zu beeinflussen.
„Was willst du tun?“, fragte Jojotu.
„Noch nichts! Erst einmal warte ich ab. Vielleicht fängt sich Miriam wieder und der Eisluchs muss sich verziehen“, antwortete Pontulux.
„Und wenn nicht?“, wollte Jojotu wissen.
„Dann wird es die Gelegenheit bringen. Das war bei allen Plänen bisher noch immer am besten, wenn man etwas erreichen wollte. Doch was hast du inzwischen Annika eingegeben, was macht sie da?“, fragte Pontulux, schwebte zu Annika und sah ihr neugierig über die Schulter.
Annika schrieb viele Zettel, die sie an Bäume anheften wollte, auf denen stand: „Gelber Kanarienvogel mit weißer Feder auf dem Kopf entflogen. Bitte, bringt ihn zurück! Adresse ...“
„Das wird bestimmt helfen!“, sagte Josi so hoffnungsfroh, wie Jojotu es ihr eingegeben hatte. Sie saß am offenen Fenster beim Vogelbauer. Die Tränen waren versiegt; sie wartete nur noch auf ihren Pepe. „Er kommt zurück, ich weiß es!“, flüsterte sie vor sich hin. Ihren Glauben daran konnte so leicht nichts mehr erschüttern. Bei jedem Vogel, der in den Zweigen des Baumes, der vor dem Haus stand, landete, hielt sie die Luft an. War es Pepe? Aber nein, es war nur ein Spatz, eine Meise oder eine Amsel.
*
Sie konnte nicht wissen, dass der Koboldiner den kleinen Pepe suchte. Er musste weit dahinbrummen durch Straßen und Parkanlagen, denn einmal in Freiheit fand Pepe es so herrlich ohne jede Wand vor sich durch die Luft gleiten zu können, dass er gar nicht aufhören konnte über Bäume, Büsche und Dächer hinweg immer weiter zu fliegen. Erst in einem weit entfernten Park, als er einen Fink sein Lied trällern hörte und glaubte, das könne ein anderer Kanarienvogel sein, flog er hinunter zu ihm in einen Baum und wollte sich zu ihm setzen. Der aber machte entsetzt einen Satz zur Seite, sah ihn mit gesträubtem Gefieder an und warnte seine Umgebung: „Taktaktak!“ Dann flog er auf und davon.
‚Nanu, was hatte er denn?’, wunderte sich Pepe. Jetzt merkte er erst, wie müde und erschöpft er vom ungewohnt weiten Flug war. ‚Na gut’, dachte er, ‚dann mache ich erstmal ein Nickerchen.’ Kaum war er eingeschlafen, weckte ihn gleich wieder ein aufgeregtes Gezwitscher. Ein Spatzenvolk war gekommen, hatte den Baum bevölkert und ihn sogleich entdeckt. Sie regten sich über den Fremdling furchtbar auf, umsprangen ihn laut schimpfend und flatterten über ihm, als wollten sie sich auf ihn stürzen.
Pepe war entsetzt! Was war das, konnte man hier nicht einmal am Tage ein Nickerchen machen? Hastig verließ er seinen Platz und segelte hinunter in einen Busch, dicht bei einem Springbrunnen. Hechelnd mit offenem Schnabel saß er da, jetzt erst merkte er, wie durstig und hungrig er inzwischen geworden war. Doch hier gab es keinen Napf mit Futterkörnern.
Der Wassernapf allerdings war riesengroß, viel größer als sein Badehäuschen am Bauer. Nur gab es keine Stange davor, auf die man sich setzen konnte. In diesem Wassernapf konnte man ja ertrinken, befürchtete er. Wie sollte er das nur schaffen, dort Wasser zu trinken? Da sah er, wie andere Vögel sich vorsichtig auf den Rand setzten, vorreckten und tranken. Wenn sie dann abzurutschen drohten, flogen sie flink auf und begannen damit von Neuem. ‚Das kann nicht so schwer sein’, überlegte er, und schon flog er hinunter. Laut schimpfend wichen die andern Vögel vor ihm zurück. Er achtete nicht mehr darauf, er war zu durstig. Es war gar nicht so schwer, auf dem Rand zu sitzen, und er trank und trank. Was schmeckte das Wasser gut! Da huschte ein dunkler Schatten über das Wasser. „Krahkrah!“ erschallte ein Ruf über dem Springbrunnen. Wusch-wusch-wusch, in Panik flatterten die andern Vögel auf und davon. Pepe hob den Kopf, da schoss der schwarze Schatten herunter, fast hatte er Pepe erreicht. Pepe begriff: Gefahr! Er breitete die Flügel aus und ließ sich vom Rand des Springbrunnens hinabgleiten. Schon sah er die Krallen über sich: Hilfe! Blindlings schoss er von Panik getrieben davon, ab ins Gebüsch und immer tiefer hinein, bis er ermattet mit gesträubtem Gefieder auf einem Ast sitzen blieb.
„Herr des Lebens! War das die Freiheit? Sollte sie wirklich so aussehen, angefeindet und gejagt, immer in Gefahr?“, fragte sich Pepe und er begann sich nach seinem sicheren Vogelbauer und nach der schützenden Hand von Josi zu sehnen. Doch wohin müsste er fliegen, um dahin zurückzukehren? Wenn er nur wenigstens etwas zu fressen hätte! Der Hunger plagte ihn immer mehr. Da sah er, wie kleine Vögel an Blättern zupften, sollte man diese fressen können? Er versuchte es. Pfui Teufel! Bei allem Hunger, das schmeckte ja eklig, bäääh! In diesem Augenblick kam eine Frau den Weg im Park entlang und blieb genau vor dem Busch stehen, in dem Pepe saß. Sie griff in einen Beutel und – Pepe traute seinen Augen nicht – sie streute Körnerfutter, richtiges Körnerfutter auf den Weg. Hui! Da war er unten, an keine Gefahr mehr denkend, sofort pickte er und pickte. Doch schon war die freche Spatzenschar wieder da. Er hatte nicht Zeit, viel zu fressen, denn jetzt begnügten sie sich nicht damit, ihm zu drohen. Wütend gingen sie auf ihn los, „Zwitsch, zwitsch, zwitsch“, schimpfen sie dabei und hackten nach ihm, zogen ihn an den Federn, stießen unbarmherzig ihre Schnäbel auf seinen Kopf. Pepe wusste nicht, wie ihm geschah. Er flatterte hoch, sie flatterten auch hoch und hackten weiter nach ihm. Da setzte er sich abseits nieder; nun ließen sie ihn in Ruhe. Das schöne Futter! Ob sie davon etwas übrig ließen? Es tat ihm weh zuzusehen, wie es in ihren nimmersatten Schnäbeln verschwand.
Doch was war das, plötzlich stoben alle auseinander, flogen hoch und weg. Sie ließen das schöne Futter liegen. Pepe überlegte nicht lange. Nun pickte er so schnell er konnte Korn um Korn in sein Kröpfchen. Er war so vertieft darin, dass er nicht die Katze bemerkte, die sich im Gebüsch anschlich. Darum waren die Spatzen davongeflogen.
Fast hatte die Katze ihn erreicht, fuhr schon ihre Krallen aus, da endlich hatte der Koboldiner Pepe gefunden. Im letzten Moment ging er dazwischen. Die Katze sprang hoch und wollte sich auf Pepe stürzen. Sie sprang aber gegen eine unsichtbare Wand, stieß sich den Kopf, fiel auf den Rücken und saß verdattert am Boden. Was war das? Kopfschüttelnd ließ sie den kleinen Kanarienvogel in Ruhe und trottete davon.
Pepe hatte von alldem nichts gemerkt. Nun kamen die Spatzen zurück. Doch was staunten sie, auch sie konnten nicht mehr an Pepe herankommen, um nach ihm zu hacken. Der Koboldiner hatte einen undurchdringlichen Kreis um ihn gezogen. So konnte Pepe sich endlich satt fressen.
Danach war es für den Koboldiner nicht schwer, ihm einzugeben, den Park zu verlassen, ehe es dunkel wurde. Als er ihn bei den Häusern hatte, lenkte er ihn auf ein offenes Fenster zu. Pepe sah es, es war ihm vertraut, und schon flog er hinein. Er war in Sicherheit. Sogar ein Vogelbauer mit einem anderen Kanarienvogel gab es dort. Als die Menschen ihn fanden setzten sie ihn dazu. Diesem Vogel erzählte Pepe nun, wie es ihm in der Freiheit ergangen war und dass er sich danach nie mehr sehnen werde. Dabei quälte ihn ein bisschen Sehnsucht nach Josi und seinem Zuhause.
Der Koboldiner aber machte sich auf den Weg zurück zu Pontulux und Jojotu. „Ich habe ihn, er ist in Sicherheit. Doch es ist sehr weit weg von hier. Wie wollen wir ihn hierher zurückbekommen?“, fragte er.
„Das ist nicht schwer, das mache ich. Komm, zeig mir, wo Pepe jetzt ist“, antwortete Jojotu. Er schwebte zu den Bäumen, an denen die Suchzettel hingen, nahm ein paar davon ab und ließ sie über Dächer, Straßen und Bäume schweben, bis dahin, wo der Koboldiner ihm zeigte, dass Pepe war. Ganz zufällig ließ er auch einen Zettel davon auf den Balkon fallen, hinter