Johanna Danneberg

Argots Schwert


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das Knacken der Kohle und das Knistern der Funken waren zu hören. Dann deutete Igor mit einer ruckartigen Bewegung hinter sich in die beginnende Abenddämmerung. Fragend sah Falk zu Alexander. Der erklärte:

      „Er war auf dem Forst, oben, bei der Raketenbrigade der Roten Armee. Das ganze Gelände ist seit dem Abzug der Russen komplett gesperrt gewesen. Aber jetzt soll alles abgerissen werden. Hat jemand gekauft. Und unser Igor hier hat dort sogar nen Job gefunden, bei den Abrissarbeiten. Ironie des Schicksals!“

      Hierbei fingen beide Männer unvermittelt an, laut und heiser zu lachen. Sie prosteten sich sogar mit ihrem Bier zu. Offenbar war hier eine äußerst erfreuliche Tatsache angesprochen worden.

      Später, als die Kohle weißlich glühte, legten sie das Fleisch auf den Grill. Während sie aßen wurde es langsam dunkel und als sie fertig waren, holte Micha aus dem Keller des Hauses eine Flasche selbstgemachten Obstschnaps vom letzten Jahr, und ein paar Kerzen, die er auf dem Tisch aufstellte und anzündete.

      Igor drehte eine dünne filterlose Zigarette, die er in der hohlen Hand rauchte. Alexander erzählte ein paar Geschichten aus seinem Heimatdorf in Weißrussland. Sie handelten von unglücklichen Liebschaften und fast immer waren es die Frauen, die ihre Männer betrogen, belogen oder gleich umgebracht hatten. Igor füllte ihre Gläser, die sie schweigend und schwermütig leerten.

      *

      Als Falk irgendwann, viel später, das nächste Mal auf sein Handy guckte, war es nach neun und er überlegte flüchtig, dass er sich besser noch mal unter die Dusche stellen sollte, bevor er sich in der Stadt wieder unter die Leute mischen würde. Zunächst kehrte er jedoch zurück zu der aufgeschütteten Baugrube neben dem Haus, wo sich die vier Männer schon seit einer ganzen Weile aufhielten.

      Michail und Falk standen Alexander gegenüber, alle drei waren bis auf die Boxershorts nackt und glänzten vor Schweiß. Abwechseln traten die beiden Jüngeren gegen Michas Vater an und mussten sich jedes Mal nach einem kurzen heftigen Gerangel von ihm in den Sand schleudern zu lassen. Igor stand daneben und schenkte sowohl dem Gewinner als auch dem Verlierer jeweils einen Schnaps ein, wobei ein Großteil daneben zu Boden pladderte. Es war mittlerweile dunkel geworden, die einzige Lichtquelle war eine starke Baustellenlampe, die von irgendwoher aufgetaucht war. Weithin hallten die Stimmen der Männer durch die Nacht.

      „Falki, Falki, du lernst nicht dazu! Ich wette mit dir um 20 Booby-Dollar, dass ich dich in 10 Sekunden auf dem Boden habe!“, grölte Alexander.

      Falk zögerte. Er wusste, dass er stark war, und früher hatte er durchaus den einen oder anderen Schulhofkampf gewonnen. Der ältere Mann jedoch, der einen kurzen Oberkörper und muskulöse lange Arme hatte wie ein Affe, war überraschend wendig und hatte ihn jetzt schon mehrfach mit wenigen Handgriffen unschädlich gemacht. Immer wenn Micha an der Reihe war, beobachtete Falk Alexanders Technik – er schien im Voraus jede Handbewegung seines Gegners zu ahnen, wehrte Angriffe ohne Hast mit erhobenen Unterarmen ab, um im nächsten Moment mit gezielten blitzschnellen Vorstößen eine eisenharte Pranke um alle möglichen Gliedmaßen zu legen, so dass er seinen Gegenüber mit einer einzigen ruckartigen Bewegung zu Fall bringen konnte. Einmal warf er Micha, der einen Kopf größer war als sein Vater, schwungvoll über seinen Rücken wie einen Sack mit Beinen und Armen, und ließ ihn krachend in den Sand fallen. Micha rappelte sich zwar sogleich auf, stolperte jedoch auf dem Weg zu Igor, der ihm schon seinen Schnaps hinhielt und fiel gleich noch mal.

      So besoffen bin ich noch nicht, dachte Falk.

      „10 Sekunden?! Da halt ich gegen.“, rief er entschlossen. „Ich hab aber keine Booby-Dollar.“

      „Macht nix. Kannst du ja dann dort eintauschen!“

      „Jetzt kämpft ihr schon um Booby-Dollar?“, meinte Michail. „Warum nicht gleich um nen Lap-Dance?“

      Falk dachte an seinen letzten und bisher auch einzigen Besuch im Booby Booster, der Stripteasebar in der Johannisstraße. Robs hatte damals irgendeine Liebschaft, die gerade zuende gegangen war, angemessen betrauern wollen und ihn und Micha überredet, mitzukommen. Falk hatte die Frauen beobachtet, die auf der erhöhten Bühne im flackernden Licht um die Stangen tänzelten, und die Männer, die auf den Barhockern davor saßen und ab und zu der einen oder anderen einen „Booby-Dollar“ - Scheine, die man für einen Euro am Einlass kaufen konnte - in den Tanga steckten. Die elektronischen Bässe hatten so laut gedröhnt, dass keine Unterhaltung möglich gewesen war und Falk hatte seine beiden Freunde nach einem Bier dort sitzen gelassen und sich beim Rausgehen über den Eintritt geärgert, den er am Einlass hatte bezahlen müssen. Jetzt sagte er:

      „Quatsch keinen Mist, Micha! Ich will keinen gottverdammten Lap-Dance. Mit 20 Dollar kann man wenigstens was anfangen. Bier kaufen zum Beispiel. Ist eh schon teuer genug im Booby Booster.“

      „Hast recht Falk.“, war Alexanders Meinung. „Außerdem, ich glaub, der Chef dort veranstaltet diese privaten Tänze gar nicht mehr. Gab wohl ein paar Mal Ärger und die Mädels hatten auch keinen Bock mehr drauf, stimmt’s Igor?“

      „Na das kann ich verstehen“, meinte Falk. „Ich würd auch nicht vor irgendnem sabbernden alten Kerl, der keinen mehr hochkriegt, in ner kleinen Kammer hintem Vorhang mit dem nackten Arsch rumwackeln wollen!“

      Alexander und Michail fingen beide schallend an zu lachen; erst nach einer ganzen Weile prustete Alexander:

      „Unser Igor hier, der arbeitet hin und wieder für den Chef vom Booby Booster. Und hat sich früher öfter mal eine solche extra Belohnung gegönnt.“

      Micha fügte hinzu:

      „Du hast sozusagen grad eine schöne Beschreibung von Igor abgeliefert, Falki.“

      Glücklicherweise war Igor nicht nachtragend gewesen. Falk, der von Alexander nach genau 9 Sekunden zu Boden geschleudert worden war, wo er keuchend liegen geblieben war, während Alexander nicht einmal schwerer zu atmen schien, hatte den schweigsamen Russen gleich mit ins Booby Booster eingeladen. Dort würde er seine Wettschuld gegenüber Alexander begleichen müssen. Sie machten keinen Termin aus, es würde sich schon ergeben.

      Es war nach zehn, als sich Falk und Micha schließlich aufmachten; beide wollten kurz bei Falk zu Hause unter die Dusche steigen; um elf war der Treffpunkt mit Caro am Markt ausgemacht. Die beiden älteren Männer ließen sie im Garten zurück. Als sie schon auf der Treppe vor dem Eingangstor zum Garten standen, hörten sie, wie Alexander ein Lied anstimmte, ein russisches Wehklagen, in das plötzlich eine zweite Stimme einfiel. Igor sang mit einer Stimme, die dunkel, tief und klar war wie ein Waldsee.

      Tag 10, Samstag

      Seit dem Morgen nach ihrem Abiball war ihr nicht mehr so schlecht gewesen. Caro verfluchte sich dafür, unvorsichtigerweise die Augen geöffnet zu haben. Dann verfluchte sie die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster hereinschienen. Als sie gerade anfangen wollte, auch das Fenster zu verfluchen, kam ihr in den Sinn, dass da doch eigentlich Vorhänge sein sollten. Dunkle schwere Gardinen, die das Licht draußen hielten, notfalls auch den ganzen Tag.

      Caro wagte einen weiteren Blick. Rasch erkannte sie, warum da keine Gardinen hingen. Sie befand sich gar nicht in ihrem Schlafzimmer.

      Sie beschloss, zunächst nicht die Anstrengung zu unternehmen, sich darüber Sorgen zu machen und klappte ihre Augen wieder zu.

      Ungeordnet tauchten Begebenheiten des vergangenen Abends aus ihren Erinnerungen auf, unter anderem, wie sie irgendwo in der Johannisstraße herumstand, einen Döner essend. Waren da Zwiebeln drauf gewesen? Sie hasste Zwiebeln! Falk war auch da, und dem fiel sein Döner gerade aus der Hand. Der Geschmack in ihrem Mund fiel ihr auf, der unangenehm war; außerdem hatte sie großen Durst.

      Sie hatten in einem Taxi gesessen, erinnerte sich Caro weiter, nach der Sache mit dem Döner. Natürlich, sie war mit zu Falk nach Hause gefahren. Vorher hatten sie in der Rose noch einen giftgrünen Schnaps getrunken, der nach Zahnpasta geschmeckt hatte. Dann war die Barfrau urplötzlich total wütend auf Falk gewesen. Wo war ihr Geld? Hatte sie ihr Handy? Es musste im Rucksack sein! Wo war Falk?

      Nach