Johanna Danneberg

Argots Schwert


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Tastatur des Computers. Daneben befanden sich einige auseinandergefaltete Blätter neben einer heruntergebrannten Kerze und einer Schüssel Wasser. In einer Ecke sah sie den speckigen Lederbeutel. Deutlich konnte sie den Umriss des Schwertes darin ausmachen.

      Sie nahm die Papiere vom Schreibtisch und öffnete mit einem Ruck das Fenster, so dass frische Luft herein strömte. Im hellen Sonnenlicht besah sie sich dann noch einmal das, was sie und Falk gestern Nacht dem Briefumschlag entnommen hatten.

      Auf dem dicken cremefarbenen Papier des ersten Blattes war oben rechts als hervorgehobene Gravur ein Wappen eingeprägt. Es zeigte einen Schild mit einem Kreuz, darüber einen Helm, auf dem eine Taube saß, die einen Ring im Schnabel trug.

      Caro erkannte das Wappen als das der Familie von Flotow, Maries Ehemann. Das erste Mal gesehen hatte sie es am Mittwoch Abend, als sie, aufgewühlt von dem Gespräch mit Tobi und der Diskussion mit Falk, noch bis tief in die Nacht das Internet nach möglichen Hinweisen auf eine Fehde zwischen den Leuchtenburgern und den Lobdeburgen durchforstet hatte. Dabei war sie auf den Internetauftritt der Praxis Dr. von Flotow in Leipzig gestoßen, mit dem Familienwappen oben rechts auf der Seite.

      Caro wandte sich wieder dem Brief zu. Auf dem ersten Blatt waren nur wenige Zeilen geschrieben, in einer graziösen Schreibschrift. Da stand:

      ‚Mark,

      Was Dir zusteht soll Dir gehören. Das Schwert ist der Schlüssel.

      Es tut mir Leid.

      Marie’

      Die wenigen Worte klangen vertraulich und distanziert zugleich, fand Caro. Und es waren die Worte einer ziemlich theatralischen Frau.

      Caro schaute sich das zweite Blatt aus dem Umschlag an. Es war ein Lageplan mit verschiedenen Gebäuden, die in einem länglichen Gelände von zwei parallelen Umrandungen umschlossen wurden. In die innere der beiden Umrandungen waren vier runde Türme eingelassen. Oben stand das Wort ‚Luchtynburg’ in verschnörkelten Buchstaben, wodurch es eindeutig war: auf dem Plan war die Leuchtenburg dargestellt, mitsamt ihren Burgmauern, dem Burggraben dazwischen, und vier Wachtürmen. Vom größten Gebäude, gelegen am oberen Ende der Anlage, gab es noch einen detaillierteren Grundriss sowohl des unteren als auch des oberen Stockwerks. Und in derselben dunkelblauen Tinte, in der auch der kurze Brief geschrieben war, war in eines der Zimmer im oberen Stockwerk der Burg das zweite Zeichen von dem Schwert gemalt worden.

      Caro blickte auf. Wie konnte Falk nur immer noch schlafen?

      Sie griff das Schälchen mit Wasser vom Schreibtisch, ging damit zum Bett und träufelte Falk einige Tröpfchen ins Gesicht, woraufhin er die Nase kräuselte, kurz sein Schnarchen einstellte und sich dann offenbar umdrehen wollte. Kurzentschlossen leerte Caro daraufhin das ganze Schälchen über Falks Kopf aus. Der erwachte mit einem Ruck, rappelte sich hoch und sagte mahnend:

      „Die Luft ist raus. Wir brauchen die Pumpe!“

      Dann starrte er Caro an und rieb sich verdutzt die Augen.

      „Was machst du denn hier?“

      „Moin! Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Zu schön!“

      Teilnahmsvoll erkundigte sie sich:

      „Schlecht geträumt?“

      Falk winkte ab, wischte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und lehnte sich an die Wand hinter seiner Schlafcouch. Dann sah er sich im Zimmer um und sein Blick fiel auf den Schreibtisch.

      Er machte ein schmerzvolles Geräusch, deutete auf die Papiere, die Caro wieder zurück gelegt hatte.

      „Betrunken bist du noch viel neugieriger als nüchtern, Fräulein Schubert.“, klagte er.

      Caro kicherte und setzte sich zu Falk aufs Bett. Gemeinsam rekonstruierten sie dann, wie es dazu gekommen war, dass Caro bei Falk übernachtet hatte. Offenbar hatte Falk noch in der Rose, kurz nachdem sie jeder einen weiteren dieser widerlichen grünen Schnäpse gekippt hatten, fast ein ganzes Bier direkt bei der Bar verschüttet, so dass er und Caro den Club nicht ganz freiwillig und ziemlich überstürzt hatten verlassen müssen. Draußen hatten sie sich dann jeder einen Döner geholt.

      „Den du leider fallen gelassen hast.“, erinnerte sie ihn.

      „Das war bitter, stimmt.“, sagte Falk betrübt.

      „Aber dafür hab ich dich netterweise dann noch nach Hause begleitet .Und sogar das Taxi bezahlt.“

      „Doch nur, damit du endlich den Brief öffnen konntest!“

      Caro ließ das unkommentiert, und ihrer beider Blicke wanderten zum Schreibtisch. Falk massierte sich den Schädel und gähnte ausgiebig. Caro sagte:

      „Wie wärs, wenn ich uns einen Kaffee aufsetzte? Und dann sehen wir uns den Brief noch mal in Ruhe an. Und den Grundriss.“

      Falk schaute sie trübe an.

      „Grundriss?“

      Caro seufzte, stand auf und machte sich auf den Weg nach unten. Sie würde ihm wohl noch etwas Zeit geben müssen, vollständig aufzuwachen.

      Die Kaffeemaschine war schon fertig durchgelaufen, als Falk endlich die Treppe herunter rumpelte und im Bad verschwand. Caro hatte die Dachterrasse entdeckt, daraufhin die Küche durchforstet und Geschirr und Besteck, sowie Milch, Brot, Butter, Marmelade und ein großes Einmachglas mit undefinierbarem Inhalt nach draußen gebracht, und einen wackeligen Campingtisch gedeckt.

      Sie genoss die frische Morgenluft. Ein Apfelbaum, der auf dem Nachbargrunstück wuchs, streckte seine Äste über die Brüstung der Terrasse. Über den Dächern der umliegenden Häuser war in einiger Entfernung ein bewaldeter Berghang erkennbar, der sich bis zum Horizont hinzog. Blinzelnd gegen das Sonnenlicht sah Caro an der steilen Kante des Hangs die Silhouette eines einzelnen runden Turms, mit einem flachen, zur Mitte hin spitz zulaufenden Kegeldach.

      „Ach, du hast die eingeweckten Pflaumen von meinem Papa gefunden. Sind noch frisch, aus DDR-Zeiten.“

      Falk hatte sich zu ihr gesellt, die dampfende Kaffeekanne in der Hand, mit tropfnassen Haaren und fahler Gesichtsfarbe. Caro betrachtete zweifelnd den Inhalt des Einmachglases. Falk hatte sich auf eine der Bierbänke, die neben dem Campingtisch standen, fallen gelassen. Er schenkte ihr Kaffee ein.

      „Setz dich doch auch.“, sagte er liebenswürdig. „Und gönn dir nen Kaffee. Du siehst aus, als könntest du eh noch nichts essen.“

      „Danke, du genauso.“, antwortete Caro, doch sie ließ sich ihm gegenüber nieder und trank einen Schluck des heißen Getränks. Herrlich stark.

      „Dafür, dass du doch eigentlich keinen Alkohol trinkst, hast du gestern aber ganz schön zugelangt.“, stichelte Falk.

      „Ich weiß jedenfalls wieder, warum ich normalerweise keinen trinke.“

      Um das Thema zu wechseln, deutete sie auf den Turm im Wald und fragte:

      „Da oben, unterhalb des Fuchsturms steht Maries Haus, oder?“

      Falk nickte, und stand, offenbar ihre Gedanken erratend, seufzend auf.

      „Und ich hole jetzt wohl mal Maries Brief.“

      Während er weg war, starrte Caro gedankenverloren hinauf zum Fuchsturm. War das wirklich erst eine Woche her, dass sie Falk kennen gelernt hatte?

      Seit sie hier in Jena ihr Studium angefangen hatte, hatte sie ein Seminar nach dem nächsten absolviert und sich nur gelegentlich, mehr beiläufig, gefragt, wo sie mit ihrem Leben eigentlich hinwollte. Ihr Vater überwies ihr monatlich die Miete und ein kleines Taschengeld, ab und zu jobbte sie in den Semesterferien, und ansonsten brauchte sie nicht viel.

      Erst als sich diese Sache beim Radio ergeben hatte, war etwas Unruhe in ihren Alltag gekommen. Das Ganze war eigentlich auch eher zufällig passiert, bei einer Party in der Wohnung eines entfernten Bekannten von Melanie. Caro hatte, mit einem Plastikbecher zimmerwarmen Weißweins in der Hand, im Flur herumgestanden und sich angesichts angesäuselter Erstsemester-Studenten reichlich unwohl