Johanna Danneberg

Argots Schwert


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waren. Sie setzte sich auf. Als erstes registrierte sie, dass sie allein in dem Zimmer war. Außer ihr befanden sich in dem Raum noch die Couch, auf der sie unter einer fleckigen Steppdecke geschlafen hatte, und ein Fernseher an der Wand gegenüber. Außerdem stand noch ein Wäscheständer mit ein paar Klamotten in der Ecke, und neben der Couch auf dem Boden entdeckte sie einen Teller mit angetrockneten Spaghettiresten.

      In den Sonnenstrahlen tanzten feine Staubkörnchen. Auf den Holzdielen, bei der Tür, lagen ihre Hose und ihre Schuhe. Und da war auch ihr Rucksack, erkannte Caro erleichtert.

      Durch eine geöffnete Tür konnte sie in ein weiteres Zimmer sehen, wo ein leeres ungemachtes Bett stand. Sie lauschte. Es war sehr ruhig in der Wohnung, so ruhig, dass von draußen sogar Vogelgezwitscher zu hören war. Zu Hause, in ihrer kleinen Wohnung am Löbdergraben, rauschten ununterbrochen die Autos vorbei, oder die Straßenbahn, oder es rumpelte die Waschmaschine von der alten Frau unter ihr, und an den Wochenenden zogen nachts manchmal grölende Jugendliche direkt unter ihrem Schlafzimmerfenster vorbei in Richtung Stadtzentrum. Die Stille hier war ungewohnt.

      Neben der Couch entdeckte sie ein Glas Wasser, welches sie sich wohl gestern Nacht noch eingeschenkt hatte. Sie griff, immer noch eingemummelt in die Decke, danach, und trank dankbar einige große Schlucke.

      Langsam entwirrten sich Caros Gedanken und sie erinnerte sich, wie sie auf dem Markt gestanden hatte, gestern Abend, um elf, um auf Falk und dessen Kumpel zu warten, mit denen sie sich verabredet hatte. Sie hatte allein gewartet, weil Melanie überraschend abgesagt hatte.

      Caro hatte gerade an ihre Lieblingsserie gedacht, die sie verpasste, als plötzlich singende Männerstimmen über den leeren Marktplatz gehallt waren. Aus einer Seitenstraße war Falk aufgetaucht, statt seiner ausgebeulten Wollmütze mit einem roten Bandana auf dem Kopf, so wie es diese Hiphop-Stars aus den USA immer in ihren Musikvideos trugen, und er hatte einen großen hageren Typen huckepack auf dem Rücken.

      Falk, und sein Kumpel, Micha – Caro erinnerte sich dunkel, ihn neulich Abend im Paradies schon mal gesehen zu haben – hatten sich als ausgelassene Gesellschaft entpuppt. Falk hatte von einem russischen Obstschnaps und verlorenen Wetten gefaselt. Micha hatte ihr einen Piccolosekt mitgebracht.

      Dann waren weitere Freunde von Falk aufgetaucht und gemeinsam waren sie die Johannisstraße hoch gelaufen. Vor dem Eingang zum Rosenkeller hatten sie noch eine ganze Weile herum gestanden, weil fast alle ein Getränk in der Hand hatten, das erst ausgetrunken werden musste. Caro erinnerte sich, dass eine Flasche Cola herumgereicht worden war und sie einige große Schlucke genommen hatte, wovon ihr ganz warm geworden war, da offensichtlich auch eine beträchtliche Menge Whiskey in der Flasche gewesen war.

      Schließlich waren sie alle gemeinsam in den Club einmarschiert. Caro war dem Strom der Menschen die niedrige Steintreppe hinunter ins Gewölbe des Rosenkellers gefolgt, sie hatten die Tanzfläche gestürmt und irgendwer hatte ihr ein Bier in die Hand gedrückt und dann standen sie alle im Gedränge vor der Bar und tranken dieses grüne Zeug aus kleinen Schnapsgläsern.

      Michail, der große Typ, mit dem Falk zusammen am Markt aufgetaucht war, hatte so breit gelacht, dass sich sein ganzes Gesicht in Falten gelegt hatte, außerdem hatte er die Angewohnheit gehabt, seine Augenbrauen unabhängig voneinander zu bewegen. Um sie herum war es voll und laut gewesen, schwitzende Körper, herum springende Gestalten. Am wildesten getobt hatte Falk, seine Haare schüttelnd und Bier durch die Gegend kippend. Irgendwann hatte er ihr in der Dunkelheit des Tanzkellers über den wummernden Gitarrenlärm hinweg brüllend zu verstehen gegeben, ihr zu folgen, und dankbar war sie einfach hinterher gestolpert, wobei sie hin und her geschleudert worden war wie in einer Waschmaschine im Schleudergang, und als sie sich aus der Menge heraus gekämpft hatten, war ihr schwarzes T-Shirt nass gewesen von verschüttetem Bier.

      Caro musste kichern, was seltsam klang in dem leeren Raum. Neugierig fühlte sie in sich hinein: hatte sie etwa einen Kater?

      Das erste Mal betrunken gewesen war sie beim Abschlussball nach dem Abitur. Dem feierlichen Anlass entsprechend hatte sie mit ihrer Mutter Sekt getrunken, mit dem Resultat, dass sie um halb sieben Uhr abends kotzend auf dem Klo des Festsaals gelandet war. Später an dem Abend hatte sie sich mit dem großen Bruder einer Klassenkameradin aus dem Deutsch-Leistungskurs herumgeknutscht. Danach hatte sie sich geschworen, nie wieder soviel Alkohol zu trinken, dass sie die Kontrolle verlor, und das auch konsequent durchgezogen.

      Bis gestern Abend anscheinend, dachte Caro, und entschied, das ganze als soziale Recherche einzuordnen, für die studentische Feierkultur, und dass sie diesem Thema vielleicht ihre nächste Radiosendung widmen könnte. Schade, dachte sie, dass Melanie nicht dabei gewesen war. Schließlich hatte ihre Freundin schon des Öfteren bemängelt, dass Caro so wenig weggehen und ihre Abende meist vor dem Fernseher verbringen würde. Womit sie nicht Unrecht hatte.

      Als Caro sich erhob und in ihre Hose schlüpfte, bemerkte sie erfreut, dass die Kopfschmerzen verschwunden waren. Tatsächlich stellte sie fest, dass sie schon lange nicht mehr so heiterer Stimmung gewesen war. Ganz entschieden gefiel ihr, was in den letzten Tagen alles geschehen war, seit sie Falk in dem kleinen Goldschmiedeladen in der Stadt kennen gelernt hatte. Zerstreut fragte sie sich, wo er wohl stecken mochte, und machte sich dann auf die Suche nach dem Bad.

      In dem dämmrigen kleinen Flur wäre sie beinahe über die Schnur eines Staubsaugers gestolpert, dessen Kabel bis in die Küche reichte, wo offenbar die nächste Steckdose lag. Warum der Staubsauger ans Stromnetz angeschlossen war, erschloss sich Caro nicht – in dieser Wohnung war augenscheinlich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesaugt worden. Sie öffnete eine Tür im Halbdunkel und fand das Badezimmer, hell erleuchtet vom Sonnenlicht, dass durch ein rundes Fenster fiel. Erleichtert schloss sie die Tür hinter sich.

      Nach einem Blick in den Spiegel stellte sie fest, dass sich verschmierte Wimperntusche auf ihrer Wange befand, und sie einen ihrer Ohrstecker verloren hatte. Außerdem benötigten ihre Haare dringend Shampoo. Sie inspizierte kurz die Dusche, sah in Ermangelung eines Handtuchs aber davon ab, sie zu benutzen, und begann stattdessen, sich am Waschbecken notdürftig frisch zu machen und mit Klopapier abzutrocknen. In ihrem Rucksack fand sie glücklicherweise eine kleine Reisezahnbürste, einen Kamm und einen schwarzen Kajalstift.

      Wieder halbwegs hergerichtet öffnete sie das Fenster und steckte den Kopf hinaus. Die Sonnenstrahlen, die sie vorhin so unsanft geweckt hatten, prickelten jetzt warm und wohlwollend auf ihrem Gesicht.

      Caro sah eine ruhige kleine Straße, mit ein paar parkenden Autos und aneinander gereihten unscheinbaren Häusern inmitten von holzzaungesäumten Vorgärten. Direkt gegenüber werkelte eine rundliche Frau mit herauswachsenden dunkel gefärbten Haaren an der Hecke vor ihrem Haus herum. Ein Pudel jagte den Bürgersteig entlang, ihm folgte ein kleiner Junge und in einiger Entfernung die Mutter, einen Kinderwagen schiebend.

      Caro erinnerte sich, dass sie gestern Nacht, als Falk und sie aus dem Taxi ausgestiegen waren, gar nicht hatte glauben können, dass er in einem solchen Rentnerviertel wohnte. Als verfügte sie über einen Sensor für feindselige Gedanken hob die Frau gegenüber plötzlich den Kopf und starrte direkt zu Caro hinauf. Ungerührt erwiderte Caro den Blick und zog sich dann, betont träge, vom Fenster zurück, nicht ohne der Nachbarin noch einmal zuzuwinken. Die Frau wandte sich hastig ab.

      Was eigentlich hatte sie dazu bewogen, mit Falk nach Hause zu gehen, überlegte Caro, während sie das Bad verließ und in den Flur trat. Nachdenklich betrachtete sie die Treppe, die rechts von ihr nach oben führte. Und dann, im selben Moment, als sie von oben ein leises aber vernehmliches Schnarchen hörte, fiel es ihr wieder ein.

      Der Brief!

      Caro beschloss, dass es dringend an der Zeit war, Falk zu wecken.

      *

      Als sie das Zimmer unterm Dach durch die angelehnte Tür betrat, schlug ihr ein durchdringender Geruch vorabendlichen Bieres entgegen. Auf der ausgezogenen Schlafcouch guckte ein Fuß aus einem Deckenberg hervor. Am Kopfende konnte sie ein paar blonde Haarsträhnen ausmachen. In der Mitte hob und senkte sich der Deckenberg im selben Rhythmus wie das Schnarchgeräusch.

      Caro balancierte durch das Zimmer in Richtung Fenster, wobei sie sich konzentriert bemühte, nicht auf die herumliegenden Kleidungsstücke,