Mila Brenner

Wolkenschwäne


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und auf den Steg hinaus führen. Dort setzten wir uns an eine ruhige Stelle. Es war wunderbares Sommerwetter. In einiger Entfernung tobten Kinder am See, Familien saßen zum Picknick zusammen und natürlich bellten Hunde in der Menge der Menschen. Sie jagten Bälle, Stöcke oder wahlweise auch die Vögel, die versuchten, sich was von den vielen Backwaren auf den Picknickdecken zu ergattern.

      Mein Vater folgte meinem Blick. „Ist dir das zu viel?“, fragte er mich dann.

      Ich wusste, dass es sein Plan gewesen war. Dass er mich deswegen hierher geführt hatte. Es ging ihm nicht, wie sonst, um den friedlichen Spaziergang, den wir in Abgeschiedenheit unternahmen und des Wanderns wegen. Es ging um das hier. Mich mitten ins Leben zu platzieren, in der Hoffnung irgendwas in mir erinnerte sich daran, dass ich ein Teil davon war. Und das dieser Teil wieder dahin zurück wollte.

      Aber alles, was ich fühlte, war der ohnmächtige Wunsch wegzurennen. Soweit ich konnte. Ich verkrampfte meine rechte Hand und schob sie unter meinen Oberschenkel, so dass mein Dad es nicht sehen konnte. Dann zwang ich mich zu einem Lächeln.

      „Nein, es geht schon.“

      Ich spürte die angespannte Haut um meine Wangen, als ich mir ein Lächeln aufzwang, das sich wie eine Maske anfühlte. Darunter lag Leere und ein kühler Schauder rann mir über den Rücken, als mir klar wurde, wie weit weg ich in Wirklichkeit von diesen fröhlichen Bildern war.

      Die „neue“ Eden

      Etwa drei Wochen, nachdem ich meine Eltern besucht hatte, war mein Wochenende auf ein Neues verplant. Die letzten beiden Samstage hatte ich gearbeitet, die Sonntage auf meinem Balkon oder dem Sofa verbracht und mich bereits mit der Frage gequält, was ich mit den zwei freien Tagen anfangen sollte. Es war eine Sache, einen Tag in meiner Wohnung herumzulungern, sich mit dem liegengebliebenen Haushalt zu beschäftigen und Bücher zu lesen. Da konnte ich mir einreden, wichtige Dinge zu tun, statt mich zu verkriechen. Aber ein ganzes Wochenende?

      Zum Glück gab es in meinem Leben nicht nur Sephie, sondern meine Kochclubmädels. Und während bei mir gerade alles auf Stillstand gepolt war, überschlugen sich bei Grace die Veränderungen. Erst einmal hatten sie und Alec sich endlich wieder versöhnt. Ich hatte schon befürchtet, dass sie sich scheiden ließen, so wie es bei Abygail passierte. Dass ihre Ehe auf diese Weise zu Ende ging, beschäftigte mich beinah ebenso wie die Tatsache, wie es zu der Verbindung gekommen war. Ich verstand Abygails Beweggründe und doch konnte ich sie nicht gut heißen. Es war merkwürdig, Jim alles Gute zu wünschen und für ihn zu hoffen, dass er glücklich wurde. Wo ich eigentlich auf Abbys Seite sein müsste und mir mehr Gedanken um ihr Glück machen sollte.

      Grace jedenfalls ließ sich glücklicherweise nicht scheiden. Alec war es nicht so sehr um seine Beziehung gegangen, oder darum, dass seine Frau nun seine Chefin war. Ihr Ehrgeiz und ihre Begeisterung hatten nur immer wieder daran gerüttelt, wie unglücklich er in seinem Job war. Dass es einen Teil gab, den er so viele Jahre verschwiegen und vor sich selbst verleugnet hatte.

      Grace und ich hatten ein langes Gespräch über die Sache mit Alec geführt. Mit Abby hatte Grace nicht richtig reden können. Die verstand Alec nämlich nicht und sobald sie gesehen hatte, dass Grace mit den Veränderungen klar kam und bei ihr und Alec alles wieder okay schien, war das Thema für sie vom Tisch. Henna hatte genug eigene Sorgen. Nicht nur das ihre Schwägerin Joanna zuhause rausgeflogen war, und es nun zwischen ihr und den Eltern ständig krachte, auch in Hennas eigener Familie war gerade viel los. Seit ihre jüngste Schwester Mischa einen festen Freund hatte, schienen es ihre Eltern mit dem Beschützen zu übertreiben. An beiden Fronten war Hennas Fingerspitzengefühl gefragt, um die Wogen zu glätten, und die Familienharmonie wiederherzustellen. Tamsyn war Single und schied damit irgendwie aus. Also war es mir ganz logisch erschienen, dass Grace ein paar Tage nach Alecs Offenbarung, gefragt hatte, ob ich Zeit hatte, vorbeizukommen.

      Bei einem Eistee hatte ich dann endlich die ganze Geschichte erfahren und begriffen, dass ich Alec verstand. Er hatte verdrängt, dass sein Vater sich zu Tode getrunken und dabei die Farm, den wichtigsten Ort für Alec, gleich mit versoffen hatte. Er hatte all das aus seinem Leben gestrichen. Und schließlich war der Punkt erreicht, wo alles so weit weg gewesen war, dass es nicht mehr real schien. Das verstand ich von allem am Besten. Mir erschien auch so vieles nicht länger real. Hatte ich wirklich mal geheiratet? Und war mein Mann tatsächlich vor einem Jahr gestorben und ich auf seiner Beerdigung gewesen, leer vom vielen Weinen, das dennoch nicht aufhören wollte?

      Vielleicht war es so gewesen, doch ich hatte all das immer mehr verdrängt. Ich hatte keine andere Idee, wie ich je aufhören sollte, mit dem im Leben stehen bleiben. Wie sollte ich weitergehen, wenn diese Erinnerungen mich wieder und wieder zurück in die Vergangenheit zogen?

      Das Verdrängen half nicht, die Leere zu besiegen, die mich erfüllte. Aber wenigstens versuchte ich nicht länger, bei allem, was ich tat, was ich sah und erlebte, an Simon zu denken. Ich fragte mich nicht mehr, hätte Simon das gemocht? Hätte ihm das Essen geschmeckt? Würde ihm eher das dunkelblaue oder das violette Oberteil an mir gefallen?

      Ich war weit davon entfernt, über seinen Tod hinweg zu sein. Ganz sicher war ich nicht bereit, loszulassen und weiterzugehen. Aber ich fand mich immer besser in meine Rolle als neue Eden ein. Ich lächelte, sobald jemand erwartete, dass ich lächelte. Ich wirkte ehrlich, wenn ich ihnen versicherte, dass es okay war, in meiner Gegenwart von Männern und von der großen Liebe zu reden. Wenn ich behauptete, es wäre kein Problem, Simons Namen zu erwähnen und das ich gelernt hatte, mit dem zu leben, was passiert war, klang es als meinte ich es so. Es schmeckte nur für mich falsch, wenn sich die Lüge über meine Lippen hinaus in die Freiheit schlich.

      Trotz meines Kummers gelang es mir, mich ehrlich für Grace zu freuen. Sie war immerhin meine Freundin und sie völlig am Ende zu erleben, hatte mich zu sehr daran erinnert, wie meine eigene Welt zusammengebrochen war. Ich wusste, wie es war in einem Scherbenhaufen zu sitzen und nicht zu wissen, wie man aufstehen sollte, ohne sich zu verletzen. Mittlerweile glaubte ich, dass es unmöglich war, unbeschadet aus so einer Situation herauszukommen. Doch bei Grace heilten die Wunden. Sie hatte Alec eine zweite Chance gegeben und er liebte sie und seine Kinder genug, um diese nicht achtlos mit Füßen zu treten und wegzuwerfen. Er war, wie sagte Grace immer: schwierig, eigen und kompliziert. Aber er war nicht blöd.

      Als meine Freundin also am Mittwoch angerufen hatte, um zu fragen, ob ich beim Umzug helfen könne, stimmte ich sofort zu. Ich hatte keine Ausrede. Sie wusste ja, dass ich mich an den Wochenenden, an denen ich nicht arbeitete, zuhause verkroch. Außerdem versteckte sich die neue Eden nicht. Wenn ihre Hilfe gebraucht wurde, war sie zur Stelle und scheute auch nicht die Gesellschaft einer großen Menschenmenge. Ich hatte damit gerechnet, dass mich viele Helfer erwarten würden, und reagierte daher nicht überrascht, als ich ausstieg und bereits ein buntes Treiben vor dem Haus der Valmonts herrschte.

      „Grace?“, rief ich, als ich durch die geöffnete Tür herein kam. Dabei wich ich Marcus aus, der mit einem Umzugskarton beladen an mir vorbei ging und mir zur Begrüßung zunickte.

      Draußen vor dem Haus standen zwei LKW's mit dem Logo eines Bauunternehmens, sowie Alecs Volvo. Da Tammy und Henna erst am Nachmittag dazu stoßen würden, hatte ich gar nicht erst nach ihren Wagen Ausschau gehalten.

      „Grace? Abygail?“, versuchte ich es ein weiteres Mal und wandte mich linker Hand zur Küche. Mein Instinkt funktionierte offensichtlich prima. Denn dort fand ich die Frauen. Grace räumte die Schränke aus, Abygail packte die Kartons und die junge, blonde Frau, die das Geschirr, das Grace ihr reichte, in Packpapier einhüllte, musste dann Rina sein. Sie war das jüngste Mitglied des Kochclubs. Denn nachdem wir beschlossen hatten, noch ein bis zwei Frauen mit einzuladen, hatte Grace die Floristin kurzerhand gefragt und sie hatte tatsächlich zugestimmt.

      „Eden!“ Grace hatte mich entdeckt, stellte eine Suppenschüssel auf die Anrichte und kam auf mich zu. Ihre Umarmung war fest, herzlich und ihre blauen Augen blitzen voller Tatendrang. Ich bewunderte, wie leicht es ihr gelungen war, umzuschalten. War sie vor ein paar Wochen noch völlig am Ende gewesen, hatte sie nun ein neues Ziel vor Augen und wirkte wie ein Gummiball, immer in Bereitschaft vorwärtszukommen, ohne sich dabei zu verausgaben. Ihre Energiereserven