Rudolf Jedele

Kaana


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den Clansvater, aber auch von den Ereignissen vor und in dem Haus von Kirgis förmlich fanatisiert worden. Joshara verkörperte in ihren Augen seit jenem Abend das Böse schlechthin und das Böse musste um jeden Preis ausgerottet werden.

      Zwei Jagdgruppen, ein Dutzend Jäger waren wie hungrige Wölfe und hatten ihn kaum mehr zur Ruhe kommen lassen.

      Egal wie schnell er gelaufen, wie hoch er geklettert und wie tief er gesprungen war, es war ihm nie gelungen, seine Verfolger abzuschütteln oder wenigstens einen halbwegs beruhigenden Vorsprung heraus zu holen. Selbst als er kopfüber in einen Wasserfall von mehr als hundert Schritt Fallhöhe gesprungen war, hatte dies nicht dazu geführt, dass seine Verfolger die Jagd aufgaben. Sie wollten sicher sein, dass er tot war und solange sie seinen Leichnam nicht vor sich liegen sahen, ließen sie in ihren Bemühungen nicht nach.

      Zugleich waren von Kirgis Boten zu allen umliegenden Clans gesandt worden, die von den Ereignissen zwischen Kirgis und Joshara berichteten und die Menschen vor dem bösen Metall warnte, mit dem Joshara sich ausgestattet hatte.

      Für Joshara gab es keinen Platz mehr bei den Menschen des Hiron – Gebirges, an den er seinen Kopf hätte legen können, um ein wenig zu ruhen. Er hatte auf der Flucht und unter dem Druck der ununterbrochenen Verfolgung und Lebensangst geradezu abenteuerliche und aberwitzige Strecken zurückgelegt. Sein Körper musste Leistungen erbringen, die eigentlich unmenschlich waren und er litt unter der Einsamkeit und der permanenten Angst gefangen zu werden. Wann und wo auch immer er sich eine Pause gönnte, packte ihn die Müdigkeit, doch wann immer er der Müdigkeit nachgab und die Augen schloss, schreckte gleich darauf wieder hoch um festzustellen, dass seine Verfolger wieder ein Stück näher gekommen waren, aufgeholt hatten und Joshara setzte seine Flucht in rasender Eile fort.

      Doch selbst wenn er für kurze Zeit genügend Abstand zwischen sich und die Verfolger gebracht hatte und sich eine etwas entspanntere Rast gönnen konnte, fand er keine Erholung. Sobald er während einer solchen Rast in einen unruhigen und nervösen Schlaf fiel, wurde er von bösen Träumen verfolgt. Er sah Kirgis Söhne sich in ihrem Blut wälzen und er sah Azawas Kopf davon fliegen. Er sah die angsterfüllten Augen seiner Töchter, die zu ihm aufblickten, während er ihnen sein Jagdmesser über die schmalen Kehlen zog.

      Dann wachte er in Schweiß gebadet auf und sehnte den nächsten Tag, den nächsten Sonnenaufgang herbei, um wieder loslaufen und dadurch auf andere Gedanken kommen zu können.

      Erst in den letzten beiden Tagen hatte sich eine Änderung zu seinen Gunsten ergeben. Joshara hatte beobachtet, dass sich auch bei seinen Verfolgern mehr und mehr Müdigkeit zeigte. Besonders die zweite Gruppe war in diesen Tagen langsamer geworden und fast einen halben Tagesmarsch zurück gefallen. Die Zange, die ihn ständig zu zerquetschen drohte, war zerbrochen und Josharas Chancen verbesserten sich dadurch ein wenig.

      Die letzte Nacht hatte er unter der Gratlinie eines Bergkamms verbracht und als er am Morgen den Steilhang hinter sich betrachtete, erkannte er, dass er eine grandiose Falle vor sich hatte. Der Gämsenwechsel, dem er nach oben gefolgt war, schlängelte sich in unendlichen Windungen die Bergflanke herauf und an der Stelle, an der er soeben stand, befand sich eine Mulde im Fels, die voll losen Gerölls war. Das Beste aber war, dass die Mulde an der Hangseite eine Art Ausfluss besaß, der jedoch von einem großen Stein verschlossen war. Joshara hielt es für durchaus denkbar, dass sich das gesamte Geröll ziemlich rasch auf den Weg nach unten machen würde, wenn es ihm gelang, diesen einen Stein zu lösen. Joshara fällte mit seiner Axt eine zähe Krüppelkiefer und konnte sich einen kurzen aber starken Hebel herstellen, mit dessen Hilfe er den großen Brocken tatsächlich soweit lösen konnte, dass er durch einen kleinen Stoß im richtigen Moment herausbrechen, zu Tal donnern und eine gewaltige Lawine aus Erdreich, Geröll und massivem Felsgestein hinter sich herziehen musste.

      Sein Entschluss stand rasch fest. Er hatte es satt, immer nur davon zu laufen wie ein verschrecktes Kaninchen. Seine Jäger sollten begreifen, dass sie eine Beute jagten, die sich zu wehren verstand, vielleicht brachen sie die Jagd dann ab. Er wartete geduldig, bis die erste Verfolgergruppe auf dem Steig unter ihm auftauchte und er wartete lange genug, um den maximalen Erfolg seiner Falle sicherzustellen. Als die Lawine kam, hatten die Verfolger keine Möglichkeit mehr, dem herabstürzenden Felsbrocken und den nachfolgenden Gesteinsmassen auszuweichen.

      Der Erfolg war durchschlagend. Das Geröll in der Mulde war wirklich überraschend locker gelegen und die Mulde entleerte sich so rasch, dass er um Haaresbreite selbst mit in die Tiefe gerissen worden wäre. Im letzten Augenblick schaffte er es, auf den festen Rand der Mulde zu springen und von dort aus beobachtete er, wie die Lawine die gesamte erste Gruppe seiner Verfolger wie eine Riesenfaust ins Tal fegte. Keiner der sechs überlebte, dessen war er sich sicher. Die Bestätigung bekam er, als später die zweite Gruppe auftauchte und nach kurzem Umsehen damit begann, die sechs Leichen zu bergen und sie auf der Spitze des Hügels unter aufgeschichteten Steinen zu begraben. Sie verbrachten einen ganzen Tag damit und als sie die Verfolgung wieder aufnahmen, hatte es Joshara zum ersten Mal geschafft, sich einen größeren Vorsprung zu erlaufen.

      Dann, in der Nacht zum nächsten Tag kam der Schnee.

      Innerhalb kurzer Zeit fielen fast drei Fuß Neuschnee und es war bereits typischer Frühjahrsschnee. Nass und schwer legte sich die weiße Pracht über alle Matten, Wege und Pfade und machte den Untergrund glatt und schmierig, jeder Schritt an einem Abhang entlang wurde lebensgefährlich und Josharas Flucht wurde nahezu unerträglich verlangsamt. Doch seine Verfolger hatten mit denselben Problemen zu kämpfen und das sie mittlerweile fast einen ganzen Tag auf Joshara verloren hatten, befanden sie sich noch in höheren Regionen als er und ihr Weg war noch weitaus gefährlicher als seiner. Außerdem hatte die dicke Schneedecke Josharas Spuren gründlich verwischt. Joshara hatte sich umgedreht und zurück geblickt. Hinter ihm waren nur eine makellos weiße Flächen zu sehen, nicht der kleinste Hinweis, dass jemals ein Mensch seinen Fuß in diese Gegend des Gebirges gesetzt hatte. Joshara entspannte sich etwas und beschloss, dass er sich wieder einmal eine Rast gönnen konnte. Er sah sich um und einen Überhang im Berg, eine große Felsklippe, unter der er nun in seinen Fellen lag, mit fast ganz geschlossenen Augen in die Flammen seines kleinen Feuers starrte und dabei versuchte die Bilder des Todes von sich fernzuhalten.

      Ein hoffnungsloses Unterfangen.

      Kaum hatte er die Augen geschlossen und seinen Gedanken gestattet, sich von den Sorgen und Nöten der Flucht abzuwenden, waren die Bilder wieder da.

      Doch sie hatten sich verändert.

      Es waren jetzt seltsamer Weise nicht mehr die Gesichter von Azawa und seinen Töchtern, die ihn umtanzten. Sein Geist hatte also den Tod dieser Menschen verarbeitet.

      Um Azawa tat es Joshara auch nicht wirklich leid, denn sie hatte ohne das geringste Zögern und Grundlos ihn und sein Geheimnis verraten. Damit war bei dem alten Mann die Gier nach Macht, nach noch mehr Macht, geweckt worden. Azawa war ihm, der ihr mehrere Jahre lang ein bequemes und schönes Leben ermöglichte, in den Rücken gefallen und sie hatte es auch nicht verstanden, ihre Töchter vor den geilen Klauen des Alten zu schützen. Azawa hatte den Tod streng genommen verdient, obwohl Joshara bedauerte, dass ausgerechnet er zu ihrem Richter geworden war.

      Auch um seine Töchter trauerte er nicht, denn er wusste, welches Schicksal ihnen durch die Geilheit und die Rachsucht des Clansvater beschieden gewesen wäre. Kirgis Tat hatte einen Fluch auf sie geladen. Kein Jäger der Berge hätte die Mädchen Zeit ihres Lebens jemals angefasst. Sie wären Ausgestoßene geworden, Menschen ohne Bindung an einen Clan oder eine Familie. Er hatte richtig gehandelt, als er sie tötete.

      Die Gesichter der Söhne von Kirgis waren es, die ihm zu schaffen machten und ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Ihre anklagenden Blicke, ihre hilflose Angst, als sie erkennen mussten, mit welch überlegenem Gegner sie sich eingelassen hatten. Ihre Angst vor den Schnitten und Stichen der eisernen Klinge in Josharas Hand, die Furcht vor dem Unbekannten. Sein Schwert, so empfand Joshara es, hatte die Seelen der drei Männer eingesaugt und nun tobten sie sich am Träger des Schwertes aus.

      Joshara fragte sich allen Ernstes, ob das Metall daran Schuld hatte oder einfach die Tatsache, dass man in den Bergen zwar als Jäger aufwuchs, doch niemals als Krieger. Es gab keine Kriege in den Bergen. Dazu waren die Clans