Rudolf Jedele

Kaana


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niemand mehr hetzte, hatte er doch alle Zeit, die er brauchte.

      Es war schon lange nach Mitternacht, als er sich in eine der Bettrollen legte und zu schlafen versuchte, doch mehr als ein unruhiges Dahindösen brachte er nicht zustande. Auch die sechs Männer dieses Abends gaukelten nun durch seinen Kopf und störten seinen Schlaf. Joshara hatte sich verändert. In wenigen Monden war aus einem zufrieden lebenden Handwerker und Jäger ein vielfacher Mörder geworden und jeder einzelne der von ihm getöteten Männer belastete ihn. Nie zuvor hatte es im Clan etwas Ähnliches gegeben. Nie zuvor hatte ein Angehöriger des Clans nicht nur eine solche Vielzahl von Menschen umgebracht, sondern dadurch praktisch auch einen ganzen Clan ins Verderben, in die Auslöschung geschickt.

      Er, Joshara war also ein Monster.

      Oder doch nicht? Nein, er trug die Schuld an dem, was geschehen war nicht allein. Die Schuld des Clansvater war ganz sicher nicht kleiner als die Schuld Josharas. Als er gegen Morgen hin zu dieser Überzeugung gekommen war, schlief er doch noch ein und da hatte er den Traum.

      Eine wunderschöne aber absolut fremdartige Frau lief über eine große, mit bunten Blumen und sattem, fast bis zu ihren Knie reichende Gras bewachsene Wiese auf ihn zu. Die Frau war vollkommen nackt und doch war da nichts an ihr, das ihn als Mann erregt haben würde, zu ungewöhnlich war ihr Anblick.

      Ihr langes, bis über die Hüften reichendes Haar war dunkelgrün und fiel in dicken Locken von ihrem Kopf. Ihre Haut war weitgehend hellgrün, an manchen Stellen – unter den Armen, unter den festen, großen Brüsten, an der Innenseite der Schenkel – war das helle Grün durch einen bläulichen Stick verdunkelt. Im Gesicht, unterhalb der Augen hatte sie satt rote ovale Flecken, die mit einer dicken, schwarzen Linie umrandet waren. Nun blieb die Frau stehen und sah zu Joshara her. Er hatte das Gefühl, als sähen sie einander direkt in die Augen, dann erklang eine melodiöse Stimme in seinem Kopf.

      „Mein Kind, du kehrst nach Hause zurück. Du machst mich über alle Maßen glücklich und deshalb heiße ich bereits jetzt schon willkommen. Auch danke ich dir, denn noch nie war es mir vergönnt, Fruchtbarkeit so weit in die Welt der Berge vorzutragen wie gerade jetzt.“

      „Wer bist du, die mich Kind nennt, obwohl ich doch ein Mann bin.“

      „Ich bin der Geist Kaanas, die Seele der ewigen Mutter des grünen Landes und alles was dort gedeiht gehört zu meinen Kindern.“

      „Aber ich bin doch ein Mann der Berge. Wieso nennst du mich dennoch dein Kind? Weshalb begrüßt du mich als Heimkehrer, wo ich doch noch niemals zuvor einen Fuß in das grüne Land dort unten gesetzt habe.“

      „Du kennst die Legende, dass deine Vorfahren vor vielen Generationen das grüne Land verlassen haben und in die Berge hinauf gestiegen sind. Sie suchten eine neue Heimat und eine andere Lebensform, denn sie kamen mit den damaligen Bedingungen im grünen Land nicht mehr zurecht.“

      „Was war es, das sie aus ihrer Heimat vertrieben hat?“

      „Das grüne Land wurde damals von einem bösen Einfluss beherrscht. Einige der höchsten Führer des Volkes Kaana hatten den Wunsch verspürt, den Einfluss des grünen Landes auf die Städte im Osten, im Süden und im Südwesten auszudehnen und Eroberungskriege zu führen begonnen. Doch nicht alle Angehörigen des Volkes wollten sich an diesen Kriegen beteiligen. Nachdem es keine Einigung zwischen den beiden Parteien gab, beschlossen diejenigen des Volkes, die den Krieg ablehnten, in die Berge auszuwandern.“

      „Was hat den bösen Einfluss der damaligen Zeit hervorgerufen?“

      „Nun, auch ich war einmal jung. Ich begegnete einem Wesen, das aus den Wüstengebieten, den Sheenlanden im Westen kam und mir mit süßen Worten das Denkvermögen verklebt hat. Ich ließ zu, dass Sheehano, der Fürst der Wüste eine Zeitlang einen etwas größeren Einfluss auf das grüne Land bekam.“

      „Es tut gut zu wissen, dass auch Geistwesen Fehler machen können. Auch Hiron, der Geist der Berge ist nicht fehlerlos.“

      Die grüne Frau lächelte ein wenig, dann erwiderte sie:

      „Das weiß ich wohl, denn wir haben hier und da Kontakt zueinander. Er hat mir untersagt, sein Land zu betreten, denn er befürchtet eine Verweichlichung des Landes und seiner Bewohner unter meinem Einfluss.“

      „Nun, du bist eine Frau und stehst deshalb für die Vermehrung und Fruchtbarkeit ein und für das weiche und sanfte. Wir Männer sind eben ein wenig anders.“

      „Oh, eines meiner Kinder ist ein Philosoph und Spötter! Aber du hast Recht. Ich sorge für meine Kinder. Ich will, dass es ihnen gut geht und dass ihr Leben so gut es geht sorgenfrei verläuft. Doch ich verwöhne sie nicht und ich halte sie nicht am kurzen Zügel. Meine Kinder haben viel Freiheit, während die Kinder Sheehanos und Hirons sich ständig mit den Forderungen ihrer Väter auseinandersetzen müssen.“

      „So kehre ich in eine gute Welt zurück? Wird diese Welt mich wollen?“

      „Nun, ich will dir nichts vormachen. Zunächst wird sie dich nicht wollen. Mein Volk besteht aus stolzen Menschen und die Männer des Volkes sind wilde Krieger, die nichts weniger fürchten, als den Tod. Du wirst dich beweisen müssen.“

      „Die Menschen der Kaana fürchten den Tod nicht? Wie ist das möglich?“

      „Sie haben gelernt, dass der Tod nichts anderes ist, als ein Übergang in ein anderes Leben. Einen endgültigen und für ewig währenden Tod gibt es nur für diejenigen unter den Menschen, die ihr Leben vergeudet haben und nichts hinterlassen, wenn sie aus diesem Dasein scheiden.“

      „Das mag so sein. Doch aus welchem Grund sind die Männer der Kaana zu Kriegern geworden?“

      „Als Sheehano bemerkte, dass ich nicht länger auf seine Einflüsterungen reagierte, begann er sich von mir zurück zu ziehen. Stattdessen dehnte er seinen Einfluss auf die Städte an unseren Grenzen aus und sorgte dafür, dass der Hunger der Städte nach den Reichtümern des grünen Landes immer größer wurde. Die Städte begnügten sich nicht mehr damit, an unserem Reichtum durch Handel teilzuhaben, sie wollten die Herrschaft über das grüne Land übernehmen ohne daran zu denken, dass sie das, was sie besitzen wollten, dann zerstört hätten. Mein Volk schützt sich und das Land und da mein Volk nur wenige Köpfe zählt, müssen diese Wenigen in der Lage sein, die Angriffe von Massen aus den Städten abzuwehren. Mein Volk muss weder Jagen, noch braucht es im Boden zu wühlen, um sich zu ernähren. Mein Volk lebt von den riesigen Herden wilder Rinder, die das grüne Land bevölkern und mein Volk lebt mit den Pferden des grünen Landes. So konnten sie Krieger werden. So mussten sie Krieger werden, um das Land zu schützen.“

      „Auch mich hat man gezwungen, ein Krieger zu werden, obwohl ich nie das Bedürfnis hatte, andere Menschen zu töten. Ich leide darunter. Ich kann kaum mehr schlafen, denn immer kommen die Geister der Toten und beklagen sich, weil ich ihrem Leben ein Ende gemacht habe.“

      „Ich kenne deine Geschichte. Hiron erzählt mir manchmal, was in seinem Land vorgeht und ich habe ihn gebeten, dich ziehen zu lassen, damit du in deine ursprüngliche Heimat zurückkehren kannst. Die Geister, die dich heimsuchen, kannst du besänftigen. Sprich mit ihnen und weiße ihnen den Weg in ein nächstes Leben.“

      „Wie kann ich mit den Geistern der Toten sprechen? Wie kann ich ihnen einen Weg weisen, den ich ja selbst nicht kenne?“

      „Du sprichst mit mir, also kannst du auch mit ihnen sprechen. Darüber hinaus musst du nur daran glauben, dass der Tod nur ein Übergang ist, dann glauben es auch die Geister der Toten und sie werden dich künftig in Ruhe lassen. Glaubst du es denn?“

      „Ich habe es geahnt, dass es so sein könnte, doch ich war mir nie sicher. Doch jetzt, da du es sagst, kann ich es mir schon vorstellen. Ja, ich denke ich glaube es.“

      „Dann wirst du es nicht schwer haben, zu deinen Wurzeln zurück zu kehren.“

      Die grüne Frau verblasste plötzlich vor Josharas innerem Auge, im selben Augenblick kehrten die Geister der Toten des Clans zurück, die er auf dem Gewissen hatte. Joshara erinnerte