Rudolf Jedele

Kaana


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vermochte ein zufriedenes Grinsen nicht zu unterdrücken. Besser konnte es nicht für ihn laufen.

      Er wartete noch so lange, bis es endgültig dunkel geworden war, dann richtete er sich an der Kante des Findlings lautlos auf, spannte seinen Bogen und legte einen der beiden vorbereiteten Pfeile auf. Die Entfernung betrug etwa hundertfünfzig Schritte und auf diese Distanz war er in der Lage, einer Fliege das Auge auszuschießen. Das Kochfeuer der beiden Verfolger gab Licht genug, er konnte seine Ziele nicht verfehlen.

      Der erste der beiden Verfolger starb lautlos, denn Josharas Pfeil drang ihm durch das rechte Auge mitten ins Hirn und er war tot, noch ehe sein Gegenüber den Kopf heben konnte. Auch dieser starb rasch, denn Josharas zweiter Pfeil durchbohrte seinen Nacken und trat zur Kehle wieder aus, ein blasiges Röcheln war bis zu Joshara zu hören, dann kippte der Mann zur Seite und lag regungslos neben dem Feuer.

      Joshara sprang von dem Findling und lief rasch zum Feuer hin. Er überprüfte die beiden Leichen, dann schnitt er seine Pfeile aus den Wunden und nahm sie wieder an sich, erst danach bewegte er sich vorsichtig auf den Absturz zu um hinunter zu spähen. Joshara war ein erfahrener Jäger und das Wissen, dass er vielleicht seinen letzten Kampf zur Erlangung seiner Freiheit kämpfte, schärfte seine Sinne und seine Kampfbereitschaft über alle Maßen. ES war nur ein leises Schnaufen, das aus der Tiefe des Absturzes zu hören war, doch das Geräusch sagte Joshara, dass einer der vier Kletterer Verdacht geschöpft haben mochte und wieder nach oben geklettert kam. Joshara lag ruhig und entspannt genau neben der Stelle, an der die vier Männer den Abstieg begonnen hatten und tatsächlich, wieder hatte er richtig spekuliert. Der vierte Jäger tauchte genau an dieser Stelle auch wieder auf. Er schob seinen Kopf vorsichtig über die Kante, sah sich um und sah die beiden Toten am Feuer liegen. Er wollte den Mund öffnen, wollte schreien, doch plötzlich war da eine starke Hand in seinem Haar, hielt ihn fest und dann zuckte ein gleißender Blitz durch die Nacht. Josharas Jagdmesser glitt durch das Fleisch des Verfolgers, wie ein heißes Messer durch Bienenwachs gleitet. Außer einem leisen Röcheln brachte der Kletterer nichts mehr zustande. Ein dicker Schwall Blut schoss aus seinem Mund, Joshara zog ihn an den Haaren nach oben und legte ihn neben den beiden anderen Leichen am Feuer ab.

      Die Hälfte seiner Verfolger war tot und um die drei noch Verbliebenen würde er sich auch gleich kümmern. Doch zuerst stand etwas anderes an.

      Die Verfolger waren mit Lebensmitteln deutlich besser ausgestattet gewesen, als er selbst. Joshara fand in ihrem Gepäck reichlich Dörrfleisch und eine Menge ziemlich frischer Fladenbrote. Das Wasser in ihren Flaschen war frisch und sauber und so konnte Joshara sich erst einmal richtig satt essen. Danach durchsuchte er die Traglasten seiner Verfolger und sortierte aus, was er brauchen konnte. Alle bronzenen Waffen und Geräte, alle Pfeile und ihre Köcher, und die schweren Hornbogen packte er zu einer neuen Traglast zusammen, verschnürte und versteifte auch diese mit den Schäften von Speeren und schob sie dann zur Kante des Absturzes. Nun waren noch weitere Felle und Lederdecken übrig, dazu das Dörrfleisch und eine Menge anderer Nahrungsmittel. Auch diese verpackte er in einer Traglast und machte sie bereit zum Abwurf.

      Er war eben mit seiner Arbeit fertig, als im Osten der Mond aufging und Joshara konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen.

      Die Nacht war klar und der Himmel vollkommen wolkenlos. Der Mond war nahezu voll und es war plötzlich so hell, dass Joshara perfekte Voraussetzungen für eine nächtliche Jagd bekam. Bei solchen Lichtverhältnissen war er schon häufig in schwierigen Wänden herum geklettert und jetzt sollten die letzten drei seiner Verfolger erleben, was es bedeuten konnte, sich mit einem Mann wie Joshara anzulegen. Aus dem Gejagten wurde nun ein gnadenloser Jäger.

      Er glitt die Wand hinunter, als wäre er plötzlich zu einer riesenhaften Eidechse mutiert. Schneller und geschmeidiger als jeder andere Mann seines Clans es gekonnt hätte, stieg er die Wand hinunter und schon nach kurzer Zeit hatte er den ersten seiner Peiniger eingeholt. Der Mann hatte sich hinter einer Felszinne versteckt und für die Nacht eingerichtet. Um in Ruhe schlafen zu können, hatte er sich mit einem geflochtenen Lederseil an die Felsen gebunden und er schlief tatsächlich tief und fest, als Joshara die Felsen herunter geglitten kam.

      Ein kurzer Blick genügte, dann zuckte das eiserne Jagdmesser vor und durchtrennte dem Schlafenden die Kehle. Ein schneller und nahezu geräuschloser Tod. Joshara löste das Lederseil, den Toten aber ließ er, wo er war. Die Geier würden sich am nächsten Tag um ihn kümmern.

      Auch den zweiten Mann fand es schlafend vor. Etwa dreißig Schritte tiefer lag er auf einem schmalen Sims und auch er hatte sich mit einem Seil gesichert, um nicht im Schlaf abzustürzen. Joshara zertrennte das Seil dicht am Sicherungsknoten, dann stupste er den Schläfer an. Ein leichter Stoß in die Rippen genügte. Der Mann war Jäger und schlief nur einen seichten Schlaf. Er riss die Augen auf, starrte in Josharas wildes und von einem Monate alten Bart überwuchertes Gesicht und hörte die leisen Worte:

      „Siehst du, so sieht dein Tod aus!“

      Noch ein kurzer Stoß und der Mann stürzte in die Tiefe. Er begann erst zu schreien, als er schon fast unten war, so groß war sein Schock gewesen.

      Der letzte Jäger war nun gewarnt, doch das war es, was Joshara gewollt hatte. Er verspürte das dringende Bedürfnis, gerade diesem Mann alles zu erklären, was ihn bewegt hatte. Er hatte zwar nicht vor, den Mann am Leben zu lassen, doch sein Gefühl sagte ihm, dass er selbst sich besser fühlen würde, wenn er alle seine Gedanken einmal aussprechen konnte.

      Joshara kletterte vorsichtig die Wand hinunter und er achtete darauf, eine andere Route als den direkten Abstieg zu wählen. So erreichte er den letzten seiner Clansbrüder etwa zehn Schritte seitlich und da machte er eine Entdeckung, die ihn traurig werden ließ.

      Der Mann war bereits tot. Steif und starr und mit schwarz verfärbtem Gesicht kauerte er auf einem schmalen Felsband und er wäre wohl längst in die Tiefe gestürzt, wenn nicht seine rechte Hand in einer Felsspalte festgesteckt hätte. Auf dem Sims aber wimmelte es nur so von giftigen Nattern, die sich immer noch in heller Aufregung befanden. Der Mann war mitten in ein Schlangennest hinein geklettert und an deren Bissen vermutlich in kürzester Zeit gestorben.

      Joshara sah nachdenklich zu dem Toten hinüber und er war nicht traurig darüber, dass er gerade diesen Mann nicht eigenhändig hatte umbringen müssen.

      Doch zum Reden hatte er nun niemanden mehr, er musste weiterhin selbst mit seinen Gedanken zu Recht kommen.

      Als er den Rückweg einschlug wurde allerdings nur von einem Gedanken beherrscht:

      „Ich habe den Preis für meine Freiheit bezahlt. Einen sehr hohen Preis, doch jetzt bin ich frei.“

      Übergang

      Joshara war wieder nach oben geklettert und verbrachte den Rest der Nacht am Feuer seiner toten Verfolger. Die Leichen der drei Männer, die er hier oben getötet hatte, warf er der Einfachheit halber ein gutes Stück neben seiner geplanten Abstiegsroute über die Kante der Felswand. Spätestens am kommenden Morgen würden sie dort ein Festmahl für die Geier, die Krähen und Bussarde abgeben. In einem Anfall bitteren Humors fragte Joshara sich plötzlich, ob die Aasfresser sich diesen Tag wohl bis ans Ende ihres Lebens merken würden, denn einen derart reich gedeckten Tisch würden sie an dieser Stelle wohl nicht so schnell wieder bekommen.

      Im Schein des Feuers sichtete Joshara nun die Ausrüstungen, die von seinen toten Verfolgern zurück geblieben waren und stellte fest, dass sich der kastrierte Clansvater die Verfolgung Josharas eine ganze Menge hatte kosten lassen, denn da war kaum ein Stück der Ausrüstungen, das nicht das Eigentumszeichen von Kirgis trug. Alles war von bester Qualität und so beschloss Joshara, alles Sinnvolle zusammen zu packen und mit in die Steppe hinunter zu nehmen, denn wer konnte wissen, wann er etwas als Handelsware brauchte? Sämtliche Felle und Lederplanen, die Kleidungsstücke und alles was er an Nahrung fand, packte er zusammen. Zu seinem Bedauern musste er die Waffen und Werkzeuge zurück lassen, auch die Bogen der Jäger und ihre Pfeile konnte er nicht mitnehmen. Der Ballast wäre für einen einzelnen Mann nicht zu bewältigen gewesen. Doch er trug die Waffen und Werkzeuge zusammen und versteckte sie in einer kleinen Grotte am Fuße des Findlings.