Rudolf Jedele

Kaana


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blitzschnell über den Grat und verschwanden danach in der Deckung des Hangs.

      Joshara wusste woran er war.

      Seine Jäger hatten trotz des Schnees seine Spuren nicht verloren. Fast als hätten sie geahnt, wohin ihn sein Weg führte, waren sie ihm nun so dicht auf den Fersen wie nie zuvor auf dieser wahnsinnigen Hetzjagd.

      Einen Augenblick blieb Joshara stocksteif stehen, dann fluchte er mit zusammengepressten Kinnbacken erbittert vor sich hin und begann fieberhaft zu überlegen, was nun zu war.

      Wenn er jetzt, wie geplant, in die Wand kletterte, dann war er seinen Verfolgern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dann hatten sie ganz leichtes Spiel, ihn von oben mit Steinen und Pfeilen zu traktieren und es würde nicht lange dauern, bis sie ihn zum Absturz gebracht haben würden. Der Abstieg bot praktisch keinerlei Deckung.

      Für die Dauer von ein paar Atemzügen fühlte Joshara Panik in sich aufsteigen. Am liebsten wäre er in wilder Flucht entlang des Absturzes nach Westen oder Osten geflüchtet, in der vagen Hoffnung, den Jägern doch noch zu entkommen, doch dann übernahm eine andere Empfindung in ihm die Oberhand.

      Wut und Trotz hatten ihn bereits einmal zu einer wahren Tötungsmaschine werden lassen. Wut und Trotz stiegen auch in diesen Augenblicken in ihm auf, doch dann kam eine neue Empfindung hinzu. Anstatt des Berserkerwahns, den er an diesem denkwürdigen Abend vor Kirgis Haus empfunden hatte, war da plötzlich kühles, sachliches Abwägen in seinem Geist und er erkannte so klar wie frisches Quellwasser, was er zu tun hatte.

      Ja, er würde erneut Clansbrüder töten müssen. Nur so konnte er überleben. Wenn das der Preis für seine Freiheit war, dann würde er ihn bezahlen.

      Zehn Männer seines Clans hatte er bereits auf dem Gewissen, wenn er es schaffte auch diese sechs Verfolger ins Jenseits zu befördern, dann war dieser, sein ehemaliger Clan praktisch zum Sterben verurteilt und seine Rache abgeschlossen. Sechzehn erwachsene Männer – ihn selbst eingerechnet sogar siebzehn - waren mehr als die Hälfte aller verfügbaren Jäger des Clans und ein großer Teil der Handwerker. Diesen Aderlass würde der Clan nicht verkraften und spätesten im Laufe des Sommers in einem der starken Nachbarclans aufgehen. Dann war Kirgis endgültig seine Macht los, dann hatte er mit seiner Maßlosigkeit, seiner Herrschsucht und seiner Machtgier seinen eigenen Untergang und den seines Clans heraufbeschworen.

      Joshara überlegte nicht mehr lange. Er war sich seiner Position und seiner Möglichkeiten vollständig bewusst. Er war allein und seine sechs Verfolger waren als Jäger und Bergläufer wohl von ähnlicher Qualität wie er selbst. Doch er kämpfte um sein Leben und seine Zukunft, während die Verfolger lediglich von einem nicht näher begründbaren Hass und von den Befehlen eines wahnsinnigen Clansvater getrieben wurden. Wenn sie die Verfolgung längst aufgegeben hätten, wäre ihr Leben nie in Gefahr geraten, doch nun, da sie Joshara in die Enge getrieben hatten, würde er sich mit allem was er besaß zur Wehr setzen.

      Die Zeit des Davonlaufens war vorbei.

      Er nahm seine Traglast von den Schultern und legte sie in aller Ruhe auf dem Boden ab. Er öffnete die Verschnürungen und begann die Last neu zu ordnen und zu packen.

      Das Schwert, die langen Speerspitzen und die unterschiedlichen Messer, die Zange, das Sortiment an Nadeln und auch die Axt brauchte er nicht, all diese Gerätschaften packte er in das Innere seiner Bettfelle. Seine letzten Ersatzkleider, den warmen Mantel aus Bärenfell, die noch kaum getragenen Mokassins mit den kniehohen Schäften. Alles was er noch an Lebensmitteln besaß. Er wickelte es als Polsterung um das innere Paket, dann hüllte er den ganzen Packen in die große Plane auch Elchleder, die ihm während seiner Flucht so gute Dienste getan hatte und verschnürte das Ganze zu einem strammen Bündel. Er stabilisierte das ganze noch dadurch, dass er die Schäfte seiner beiden Jagdspeere – die Spitzen hatte er bereits in seiner Last verpackt – in die Verschnürung schob. Nun hatte er ein festes Paket vor sich liegen, in dem praktisch seine gesamte Zukunft steckte. Joshara richtete sich auf und schob das Paket mit dem Fuß an den Abgrund. Tausend Schritte oder mehr ging es hinunter, doch die Polsterungen würden den Sturz dämpfen und Joshara war sich sicher, dass seine Habe als ganzes Paket dort unten in der Geröllhalde landen würde. Ohne zu zögern gab er dem Packen einen kräftigen Tritt und verfolgte den Sturz gespannt. Dreimal schlug der Packen unterwegs an Zinnen und Felsvorsprüngen auf, dann krachte er in den oberen Rand des Gerölls und blieb liegen.

      Die Verschnürungen hatten gehalten, die Last war in einem Stück unten angekommen und nun konnte Joshara sich seinen anderen Vorbereitungen widmen.

      Er hatte sich von jeder Art von Ballast befreit, die ihm in einem Kampf hinderlich sein würde. Bei sich behalten hatte er sein langes Jagdmesser und zwei kleinere Messer, die er in den Schaftscheiden seiner Mokassins stecken hatte. Sein rehledernes Jagdhemd, die eng anliegenden Leggins aus Elchleder, mehr an Kleidung brauchte er nicht mehr. An seinem Gürtel hatte er ein gut fünfzig Fuß langes, geflochtenes Lederseil hängen und einen Köcher mit zwei Dutzend dreifach gefiederten, langen Pfeilen und diese Pfeile hatten eiserne Spitzen. Seinen schweren Hornbogen hatte er neben sich auf dem Boden liegen, jetzt nahm er ihn auf, holte die Sehne aus der Bodentasche seines Köchers und spannte den Bogen. Er wischte das Fett von der Sehne, dann prüfte er die Spannung und den Klang und ein zufriedenes Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf. Jeder Jäger im Clan benutzte einen solchen Bogen und die Reichweite dieser Bögen betrug gut und gerne dreihundert Schritte. Allerdings konnte man auf diese Entfernung hin einen Pfeil fast mit der Hand aus der Luft fangen. Joshara aber war nicht nur ein ausgezeichneter Schmied, er war auch sonst ein findiger Geist und deshalb benutzte er seit langem geflochtene Sehnen an seinem Bogen. Vier Fäden bildeten die Sehne, wobei ein Faden die „Seele“ der Sehne abgab, während die drei anderen als Hülle um diese Seele herum geflochten waren. Mit dieser Sehne besaßen seine Pfeile auch auf dreihundert Schritte noch eine tödliche Durchschlagskraft. Dazu die eisernen und unglaublich scharf geschliffenen Spitzen, seine Verfolger mussten sich vorsehen…

      Joshara war nun bereit, um sein Leben zu kämpfen. Er war bereit, den Preis für seine Freiheit zu bezahlen, auch wenn es mit seinem eigenen Blut sein sollte. Er sah sich um und erkannte, in welch vorteilhafter Situation er eigentlich war. Die Verfolger waren noch so weit weg, dass die Sonne untergegangen sein würde, ehe sie den Absturz erreicht hatten. Kein Jäger war wohl verrückt genug, bei Einbruch der Nacht noch in eine solche Wand einzusteigen, also würden die Verfolger am Rand des Absturzes ein Lager aufschlagen. Die Kante entlang des Absturzes war beileibe keine gerade und ebene Fläche sondern eine Wildnis aus Fels und Buschwerk. Es gab Verstecke ohne Zahl und Joshara suchte sich einen etwa drei Mann hohen Findling als Lauer aus, dessen obere Decke flach zu sein schien, denn sie war mit Büschen bewachsen.

      Er lag trocken und unsichtbar unter den Büschen und hielt seine Augen auf seine eigene Fährte geheftet. Er rechnete nicht damit, dass seine Gegner sich irgendwelche Listen ausgedacht hatten, um sich dem Absturz zu nähern. Warum auch? Joshara hatte sich auf der ganzen Flucht nur einmal gestellt und auch da war er sich sicher, dass sie eher an eine Naturkatastrophe glaubten, als an einen Steinschlag, den ihre Beute ausgelöst hatte.

      Seine Ahnung trog ihn nicht. Sie kamen in raschem Lauf den Hang herunter auf den Absturz zu und sie achteten nicht einmal darauf, besonders leise zu sein. Sie fanden im letzten Tageslicht die Stelle, an der Joshara seine Traglast neu gepackt hatte und als sie die Spuren untersucht hatten, waren sie sich absolut sicher, dass Joshara noch in die Wand eingestiegen war und bereits ein ordentliches Stück Abstiegs hinter sich gebracht hatte. Sie berieten sich kurz, dann entschied einer der Jäger, ein älterer Mann, der einstmals zu Josharas liebsten Lehrern auf der Jagd gehört hatte, dass er und noch drei andere trotz des unmittelbar bevorstehenden Einbruchs der Dunkelheit ebenfalls den Abstieg beginnen würden.

      „Auch wir werden in der Wand übernachten, denn viele Möglichkeiten, den Schmied zu töten bleiben uns nicht mehr. Morgen müssen wir es zu Ende bringen und dann müssen wir schnellstmöglich nach Hause zurückkehren. Unsere Familien brauchen uns und wir müssen den Verlust von sechs weiteren Jägern ausgleichen.“

      Vier der Verfolger entledigten sich ebenfalls allen unnötigen Ballasts und begann in den Absturz zu