Kate Rapp

Keine Heilige


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Danach hatte er sie immer öfter geschlagen. Als habe er Gefallen daran gefunden oder als habe er eine Maske fallen lassen, die ihm nicht länger zu passen schien. Das Blut im Mund verursachte ihr Übelkeit und ein wundes, rachsüchtiges Monster labte sich daran und wuchs in ihr heran.

      Sie stellte sich immer häufiger vor, wie sie Jan den Gürtel, den er sich wütend aus der Hose zerrte, entreißen und gegen seine Schläfe schleudern würde, anstatt seine Schnalle wieder und wieder auf dem Rücken, der Hüfte, den Schultern zu spüren. Sie überlegte, welches Geräusch es wohl geben würde, wenn er zu Boden ginge und sie mit einem Absatz ihrer hohen Stilettos zwischen seine Beine treten und seine Hoden zerquetschen würde. Ob überhaupt etwas anderes als sein Geheul zu hören wäre (vorausgesetzt, er würde nicht sofort in Ohnmacht fallen, man wusste ja, wie empfindlich Männer sein können).

      Xenia schüttelte diese Vorstellung ab, atmete tief durch, strich sich die glitzernde Bluse über den Hüften glatt und verabschiedete sich von ihrem Spiegelbild.

      Als das Champagnersorbet an warmem Nougatfondant gebracht wurde, war ihre Kehle wie zugeschnürt. Denn der Nachtisch war genau der richtige Zeitpunkt, endlich damit herauszurücken. Sobald sich eine warme Süßspeise in seinem Magen ausbreitete, setzte Jan ein zufriedenes Grinsen auf und seine Aufmerksamkeit war weniger gespannt. Es war, als rollte sich sein inneres Alarmsystem wohlig zusammen und begänne zu schnurren. Dieser warme Nougatfondant war ihr einziger Verbündeter. Sie musste es wagen.

      „Ich würde gern nach Hause, Jan. Nach Belgrad. Ich weiß, ich könnte dir nützlich sein dort. Ich kenne viele Mädchen.“

      Jetzt war es heraus.

      „Heimweh?“ Seine linke Augenbraue hob sich zackenförmig an, während er genüsslich weiterkaute.

      „Ich bin nach England gekommen, um Geld zu verdienen. Vielleicht eine Ausbildung zu machen. Doch bisher liege ich dir nur auf der Tasche. Ich will dir das nicht weiter zumuten. Ich habe gedacht, ich könnte mich revanchieren. Ich bin nicht dumm. Ich weiß, du hast sehr viele Geschäftspartner. Wenn du mich lässt, könnte ich dir vielleicht bei deinen Geschäften helfen. “

      „Du willst also Geld verdienen? “

      Er lachte laut und einige Leute am Nachbartisch drehten sich kurz um.

      „Warum hast du das nicht gleich gesagt? Roxana würde liebend gern mit dir tauschen, da bin ich sicher.“

      Roxana arbeitete in seinem Club. Xenia war sich nicht sicher, was genau sie dort tat. Sie hatte sie dort tanzen sehen, das einzige Mal, an dem Jan sie mitgenommen hatte. Er hielt sie fern von seinem Unterhaltungsbetrieb, wie er den Club nannte. Er wollte sie ganz für sich. Vielleicht konnte sie das zu ihrem Vorteil ausnutzen.

      „Sonst gehe ich fort, verstehst du?“

      Er sah sie nur an. In diesem Moment erkannte sie an seiner Ruhe, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Vollkommen falsch.

      „Ich glaube, du hast hier Einiges nicht ganz verstanden. Ich habe deinen Pass und ich habe das Geld. Ich werde dir nicht erlauben zu gehen.“

      Er nahm die Stoffserviette von seinem Schoß und tupfte sich die Lippen ab. Er lächelte, als er sie wieder sinken ließ.

      „Aber was deinen Wunsch angeht, ein wenig Geld zu verdienen, kann ich dir entgegenkommen. Ich hätte da ein paar sehr interessante und kurzweilige Aufträge für dich. Es wird dir gefallen. Vertrau mir.“

      Er stand auf und blieb neben ihrem Stuhl stehen, bis auch sie sich erhoben hatte. Dann fasste er sie mit links am Unterarm und sein Griff schien bis auf den Knochen zu gehen. Mit der rechten Hand unterschrieb er im Hinausgehen die Rechnung. An der Garderobe half er ihr selbst in den Mantel, der ihr auf einmal wie eine Zwangsjacke vorkam. Vor der Tür stand schon sein Wagen. Aber er stieg nicht ein. Er nickte Omar, seinem Chauffeur, der stets ein elfenbeinernes Lächeln im dunklen Gesicht trug, zu und verdrehte Xenia den Arm, sodass sie ihm folgen musste, wollte sie sich nicht einen Unterarmknochen brechen lassen.

      In der nächsten Querstraße hielt Omar an und Jan öffnete ihr den hinteren Wagenschlag. Für einen kurzen Moment dachte sie, er hätte ihren Vorstoß nicht ernst genommen und alles ginge so weiter wie früher. Er würde ihr mit einer galanten doch etwas clownesken Bewegung in den Wagen helfen, einen taffen Spruch ablassen und sie zurück in seine Wohnung bringen. Doch dann traf sie sein Tritt in die Kniekehlen, während er sie gleichzeitig von hinten auf die Rückbank schubste. Wo hatte er nur plötzlich die Kabelbinder her?

      Xenia überlegte fieberhaft, was Jan sonst eigentlich mit Kabelbinder anfing (Leitungen fixieren? Andere Frauen fesseln?) als seine Faust ihre Gedanken zum Erliegen brachte. Es donnerte und dröhnte in ihrem Kopf und sie schmeckte wieder ihr eigenes Blut. Aber sie war noch bei Bewusstsein, als Omar mit quietschenden Reifen davonfuhr.

      Sie verhielt sich still, es war nur eine kurze Fahrt. Die pinke Leuchtschrift des Jasmin flirrte über ihrem Kopf in der Nacht, als sie vor dem Club anhielten.

      Jan und Omar verließen den Wagen. Xenia hob vorsichtig den Kopf. Sie sah durch die Scheibe Roxana an der Wand neben dem Eingang lehnen und eine Zigarette rauchen. Sie trug hohe Stiefel, einen zu kurzen Rock und sah aus wie eine durchschnittliche Prostituierte. Erst in diesem Augenblick wurde Xenia klar, wie naiv sie gewesen war. Tänzerin? Das erste Mal in ihrem Leben tat Roxana ihr wirklich leid. Aber Roxana war stark und sie war hier. Sie würde ihr helfen. Sie hatten schon zu viel gemeinsam durchgemacht. Sie waren eine Familie, zumindest das.

      „Roxana!“, rief sie leise und klopfte mit ihrer Stirn gegen das Fenster, auf dem sie eine klebrige, dünne Blutspur hinterließ.

      „Roxana!“

      Ihre Cousine hob den Kopf und ihre Augen trafen sich. Sie würde herüberkommen und sie befreien. Sie würde ein gutes Wort für sie einlegen bei Jan, wenn er wiederkam. Sie würde irgendetwas tun, um sie aus dieser Situation zu befreien, von der nicht sicher war, wie Xenia daraus hervorgehen würde: tot oder lebendig.

      Roxana rührte sich nicht. Sie lächelte ihr zu und machte eine kleine Bewegung mit ihrer Zigarette. Dann kamen Jan und Omar zurück.

      „Hast du endlich erkannt, was für eine falsche Schlange sie ist?“, gurrte Roxana und streichelte das Revers von Jans anthrazitgrauem Unternehmer-Anzug.

      Er stieß sie ohne Erwiderung von sich und stieg vorne neben Omar ein. Roxana sah dem Wagen beleidigt nach. Dann hob sie träge die Hand und winkte Xenia zum Abschied zu.

      3

      Die Musik in diesem Laden gefiel ihm. Sie kam aus einer alten Juke-Box und es standen nur Titel zur Auswahl, die auch sein Vater gehört hätte. Hätte er ihn gekannt. Thin Lizzie, Alice Cooper, Tina Turner. Nicht dieses moderne Gestampfe und auch nicht das optimistische Gedudel der Radiosender, die von täglich wechselnden, blutjungen Moderatoren mit immer fröhlichen und nervtötenden Sprüchen sowie Werbejingles verseucht waren. Edward Wolfe kannte seinen Vater aber nicht. Seine Mutter hatte alle Fotos von ihm verbrannt, nachdem er sie vor vierzig Jahren verlassen hatte. Damals war Wolfe fünf Jahre alt gewesen und hatte heute so gut wie alles, was seinen Vater betraf, vergessen. Das Einzige, woran er sich erinnerte, war ein Moment, als ihm jemand (und er war sich sicher, dass es sein Vater gewesen sein musste) einen braunen Cowboyhut auf den Kopf setzte und einen Revolver in die Hand drückte.

      „Ein richtiger Mann braucht einen Colt, Kleiner.“

      Das Gesicht des Sprechers blieb ihm wegen der breiten Krempe des Hutes verborgen, aber sein Gefühl sagte ihm, dass dies sein Vater gewesen war. Das war am Weihnachtsabend, kurz bevor er sie verlassen hatte. Sylvester hatte der kleine Edward mit seinem neuen Revolver all seine Platzpatronen verschossen. Sein Vater hatte sich daraufhin nicht wieder blicken lassen, wie seine Mutter erklärte. Es klang immer ein wenig so, als habe er, der kleine Edward, Schuld daran gehabt. Sie hatte ihm keine neuen Patronen mehr gekauft, sodass er seinen Revolver nie wieder benutzen konnte. Und wenn er sie später nach seinem Vater fragte, hatte sie nichts weiter erzählt. In letzter Zeit sprach sie ohnehin so gut wie gar nicht mehr. Aber heute hatte sie eine Bemerkung gemacht, die etwas