Peter Peppler

Samui und zurück


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Schulterklopfen und ging weiter.

      Im S4 schaltete ich die Kaffeemaschine ein, stellte ich mich drei Minuten unter die Dusche, holte mein Laptop aus dem Koffer, schloss das Netzteil an, setze mich mit Kaffee und Zigarette auf die Veranda an den kleinen runden Tisch und startete Windows. Viel machte ich nicht, nur ein paar Notizen und checkte die Fotos der vergangenen Tage, irgendwie war ich noch nicht so ganz da und Hunger bekam ich langsam auch. Das Licht der Nachmittagssonne mit den Schatten der hohen Kokospalmen im Smile House Garten war wunderschön, also zog ich wieder Jeans und Camelhemd an, hängte mir die Tasche über die Schulter und spazierte um kurz vor fünf los in Richtung Straße. Gemächlich schlenderte ich durch Ban Bophut, machte ein paar Fotos, entdeckte auch Franz’ Kneipe und wunderte mich bei jedem Schritt, wie sehr sich das Straßenbild in den letzten Jahren verändert hatte. Eher zu seinen Ungunsten, fand ich. Am Marktplatz an der hölzernen Pier für den Pha Ngan Dampfer bog ich nach rechts und ging am 24 hour Supermarket vorbei. Auf dem Rückweg holst du dir noch in paar Cookies für morgen früh zum Kaffee, nahm ich mir vor.

      Der Tempel war, Buddha sei Dank, von Veränderungen verschont geblieben und leuchtete in überwiegend rot und gold in der sinkenden Sonne. Langsam betrat ich den Tempelgarten durch das riesige Eingangsportal, ein paar schwarz-bunte Hühner gackerten vor mir herum und pickten im vertrockneten Gras im Sand. Die Anlage war menschenleer, noch nicht einmal ein Mönch war zu sehen. Mit der Kamera in der Hand wanderte ich durch den Garten und war mit meinen Gedanken mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Ins Tempelgebäude ging ich nur kurz, stand ein paar Minuten still in der Mitte der Halle und schaute auf die große, goldene Buddhastatue. Bilder von Meou sah ich vor mir, wie oft hatten wir früh morgens zusammen am Marktplatz die ineinander gestapelten Essenbehälter aus Aluminium mit Reis, Hühnchen, Gemüse und Früchten füllen lassen und sie zu den Mönchen hierher gebracht. Ein wenig traurig und glücklich zugleich verliess ich die Anlage wieder durch das Portal, drehte mich auf dem Parkplatz noch einmal um und sah das goldene Dach des Tempels großartig die orangerote Sonne reflektieren. Ich ging in die Hocke, den Sucher der Kamera vorm Auge, aber die Perspektive war noch nicht optimal. Ich rutsche ein wenig rückwärts und geriet schon in die hinter mir stehenden Sträucher, da sah ich im Sand zwischen meinen Füssen die kleine Tasche liegen.

      Ich nahm sie in die Hand. Es war eine khakifarbene Stofftasche, etwa 15 mal 25 Zentimeter groß und drei Zentimeter dick, mit einem Reissverschluss oben an der Vorderseite, den ich nur mühsam öffnen konnte, da er völlig versandet war. Von oben äugte ich hinein, blätterte mit dem Zeigefinger durch den Tascheninhalt und fand einen EU-Reisepass, zwei Tickets und drei Briefumschläge. Ich verschloss die Tasche wieder, machte mein Foto vom leuchtenden Tempeldach, packte die Kamera ein, klemmte mir das Fundstück unter den Arm und machte mich auf den Rückweg.

      Am 24 hour Supermarket lief ich vorbei und vergass meine Frühstücks-Cookies, hatte aber vorne an der Hauptstraße eine gute Idee: Das malerische, bis unter die Decke mit Grünpflanzen vollgestopfte Restaurant der beiden Ladyboys aus Bangkok gab es noch und mir kamen die leckeren Baguettes in den Sinn, die wir schon oft dort gegessen hatten. Kurzentschlossen nahm ich die drei Stufen und setzte mich in einen Rattansessel gleich am ersten Tisch an der Straßenseite, weiter drinnen waren noch zwei Tische besetzt. Sofort kam einer der beiden Dragons auf überhohen Pumps auf mich zu gestöckelt, der andere stand im Hintergrund an die Küchentür gelehnt. Kaum zu glauben, dass diese phantastisch aussehende Frau ein Mann war. Die langen, schwarzen Haare und das Makeup perfekt, eine enge, weisse Bluse, ein noch engeres, verwaschenes Jeans-Miniröcken und kupferfarben schimmernde Strumpfhosen, da würde selbst ein Model neidisch.

      Er blickte mich mit gekonntem Augenaufschlag an und reichte mir die Karte. Dankend winkte ich ab und sagte: “Ein Thunfischbaguette, bitte, und einen großen Kaffee“. Er sah mich genauer an. “Ich kenne dich, du warst schon öfter bei uns, mit einer hübschen kleinen Thai, richtig?”. Alle Achtung, vor drei Jahren war ich zuletzt mit Meou hier.

      Den Kaffee brachte er postwendend, während ich begann, den Inhalt der Stofftasche zu sondieren. Der dunkelrote Reisepass war ausgestellt auf den Namen Marie Michalski, geboren am 28. Februar 1974. Sie wird also am nächsten Freitag 35, dachte ich augenblicklich. Ein Rückflugticket mit der Bangkok Airways für den 8. März und ein Thai Airways Rückflugticket nach Frankfurt am 11. März um 01:10 Uhr, acht Traveller Cheques à 100 Euro im ersten Briefumschlag und 1100 Euro cash in 100-Euro-Scheinen im Zweiten. Im Dritten war lediglich ein Hotelvoucher für das Amari Boulevard in Bangkok mit einer Karte des Hotels. Zu guter Letzt fand ich noch ihren blauen, kreditkartengroßen Arztausweis sowie ein paar Visitenkarten mit dem Aufdruck ‘Dr. med. Marie Michalski, Kinderärztin, Charlottenstraße 12, Bad Homburg’, Telefon- und Handy-Nummer sowie E-mail Adresse und die Öffnungszeiten ihrer Praxis auf der Rückseite und eine Karte vom Blue Lagoon Bungalow Resort, Chaweng Beach.

      So vertieft in die Papiere, schreckte ich regelrecht auf, als der Teller mit meinem Tuna Baguette in mein Blickfeld geschoben wurde. Mein Kaffee war kaum mehr warm, das Baguette verschlang ich regelrecht, als hätte ich tagelang nichts zu Essen bekommen und dachte besonnen nach, was zu tun sei. ‘Am besten, ich leihe mir morgen einen kleinen Roller und bringe die Tasche ins Blue Lagoon’, war meine erste Idee, bei der ich dann auch blieb. Ich war mir absolut sicher, dass die Frau Doktor auf heissen Kohlen sitzt und versuchte mir vorzustellen, womit sie sich nach dem Verlust ihrer Tasche unverzüglich herumschlagen musste. Einen provisorischen Reisepass bei der deutschen Botschaft in Bangkok anzufordern, war wohl das Dringendste, dann für die Tickets bei den beiden Airlines Ersatz beantragen und natürlich Geld aus Deutschland überweisen lassen. Zum fünften Mal schlug ich ihren Pass auf und betrachtete das Foto. Ein ausgesprochen hübsches Gesicht, sehr mädchenhaft, die blonden Haare hinter dem Kopf zusammengehalten und über die Stirn Ponysträhnen bis zu den Augenbrauen. Ihr im Grunde lächelnder Gesichtsausdruck sagte so etwas wie: ‘OK, ich bin glücklich, aber das Foto sieht bestimmt beschissen aus.’ Zu gerne hätte ich gewusst, wie der Rest von ihr wohl aussehen mochte.

      Fein säuberlich packte ich die Papiere wieder in die Tasche, winkte dem Ladyboy, bezahlte und verliess das Restaurant. Irgendwie beflügelt spazierte ich die Straße hinunter. Ich hatte etwas Sinnvolles zu tun, hatte eine Verantwortung und eine Verpflichtung. Ein völlig ungewohntes Gefühl. Mittlerweile war es kurz nach halb sieben und schon fast seit einer viertel Stunde dunkel. Ich liebte diese nahezu konstante Tag- und Nachtgleichheit.

      Es war so gut wie nichts los in Bophut. In den Restaurants und Bars saßen zwar überall ein paar Gäste, aber für diese Jahreszeit wäre eigentlich Oktoberfestbetrieb angesagt. Im Smile House gelang es mir, unbemerkt von der feiernden Harley Club Geburtstagsgesellschaft in der Bar durch die Einfahrt zum Parkplatz zu schlüpfen, war froh, als ich mich im S4 auf mein Bett fallen lassen konnte und muss wohl prompt eingeschlafen sein.

      Als ich wieder aufwachte und auf den kleinen, schwarzen Reisewecker auf dem Schränckchen neben dem Bett schielte, war es halb neun. Hatte mich doch glatt die Müdigkeit überwältigt. Ich trank ein Glas Wasser, zündete mir eine Zigarette an, öffnete erneut die Stofftasche und betrachtete den Reisepass. Die Kameratasche stand aufgeklappt auf der linken Bettseite, ich griff nach der Minolta, legte den Pass geöffnet auf den Schreibtisch und fotografierte ihn. Beim Einpacken der Kamera brachte mich mein Notizheft in der Fototasche auf eine Idee. Ich trennte ein Blatt heraus, setzte mich an den Schreibtisch und begann zu schreiben: ’Hallo Marie, habe Deine Tasche am Tempel in Ban Bophut gefunden. Ich hoffe, es fehlt nichts. Einen schönen Urlaub wünscht Peter, auch aus Deutschland’ und das Datum von morgen.

      Auf Grund meines Nickerchens von über einer Stunde war ich hellwach und entschloss mich zu einem Spaziergang. Die Tasche liess ich im Bungalow, marschierte am Pool entlang und verliess die Anlage durch die rechte Einfahrt, so dass ich von der Bar aus nicht gesehen werden konnte. Entlang der schmalen Straße war auf der rechten Seite hinter einer Reihe hoher Kokospalmen gleich der Strand, links war nichts ausser Wildnis und ein paar Ruinen von alten Wohnhäusern, rechts vorbei am Ziggy Stardust, mit einem wunderschönen Thai Pavillon mit einer runden Bar in der Mitte auf Holzpfählen am Strand. Jetzt zählte ich im Vorbeigehen vier neue Hotelanlagen. Das Ziggy war zwar geöffnet, der Strandpavillon jedoch dunkel.

      Am Ende der Straße, das heisst dort, wo sie nach etwa 500