Thomas Arndt

Eine Geschichte über rein gar nichts


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nachdem sie sich geliebt hatten, etwas abwesend und hatte nicht mitbekommen, wann Lisa über eine Hochzeit zu reden begann, geschweige denn, wie sie auf dieses Thema gekommen war. Da er aber viel zu oft das Wort Hochzeit vernahm, wurde er misstrauisch und begann, ihr aufmerksam zuzuhören.

      Was sie sagte klang in seinen Ohren wie ein auswendig gelerntes Gedicht, das sie perfekt rezitierte. Er war überzeugt, dass sie gerade einen Plan für ihre Hochzeit entwickelte und ihm mitteilte, wie dieser ganz besondere Tag ihren Vorstellungen nach verlaufen sollte. Doch je länger er ihr lauschte, desto klarer wurde ihm, dass er nicht ihre ersten Gedanken dazu hörte. Ihre Schilderung war lückenlos, stringent, perfekt. Es bestand überhaupt kein Zweifel: die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Aus ihrem strahlenden Gesicht sprangen ihn nicht nur ihre Worte an, sondern ebenso ihr Glück, das bald auch zu dem seinen werden sollte. Sie stellte jede noch so belanglose Kleinigkeit der Hochzeit so detailliert, so genau, so lebendig dar, als würde sie über etwas sprechen, das sie bereits erlebt hatte. So lange sie auch sprach – und sie sprach lange! – musste sie nach keinem einzigen Begriff suchen. Alles war da: die Worte, der Plan, die Hochzeit.

      Frank fühlte sich wie überrollt, nachdem sie zum Ende gekommen war, und jetzt, wo sie sich im Café gegenüber sitzen, hat er noch immer den Einruck, den Ring am Finger bereits zu spüren. Er schaut auf seinen Ringfinger und ist erschrocken. Dort ist tatsächlich der Ring samt einer Gravur, die zwei Namen trägt und ein Datum: Lisa und Frank, der Soundsovielte Zweitausendirgendwann. Sein Schrecken wird noch heftiger: das eingravierte Datum ist der Samstag am kommenden Wochenende.

      Gestern war er nicht in der Lage gewesen, ihr etwas zu entgegnen. Er sah sie die ganze Zeit mit ausdrucksloser Miene an, vielleicht fassungslos, auf jeden Fall alles andere als begeistert, während sie verliebt lächelte, was ihren Worten den Klang vom Himmel fallender Harfentöne verlieh. Doch es dauerte nicht lange und der Dämon kam, weder eine Sekunde zu früh noch zu spät, pünktlich wie immer. Durch Franks Augen hindurch sah der böse Geist Lisa an. Er verfolgte ihre Bewegungen, prüfte ihre Gesten und studierte ihre Mimik. Endlich sah er wieder einmal seine Zeit gekommen, er würde für Frank genau das tun, was in solchen Situation zu tun war. Und während Lisa weitersprach, legte der Dämon Frank ein paar Worte zurecht, mit denen er Lisa mitteilen konnte, was er von dieser absoluten Scheißidee hielt.

      Frank kannte seinen Dämon gut und obwohl er wusste, dass er ihn kaum bändigen konnte und er ihm auf die eine oder andere Art oft geholfen hatte, beschloss er, sich diesmal gegen ihn zur Wehr zu setzen. Als Lisa zu Ende gesprochen hatte, fiel Frank eine wichtige Sache ein, die er bedauerlicherweise jetzt und sofort noch unbedingt erledigen müsse. Ein Freund brauche seine Hilfe, sagte er, es eile, er müsse sofort weg, es könne länger dauern, vermutlich könne er heute Abend nicht zu ihr kommen, er werde es aber versuchen und auf jeden Fall noch eine SMS schreiben. Lisa war enttäuscht und verstand ihn nicht. Wie er so einfach gehen könne, fragte sie ihn. Habe er denn überhaupt nichts dazu zu sagen? Dass es ihm sehr leid tun würde, sagte er. Gerne bliebe er noch viele Stunden bei ihr. Aber er habe ganz vergessen, dass noch etwas zu erledigen sei.

      Er sieht sie an. Sie hat gerade ihre Zigarette ausgedrückt und führt ihre Tasse zum Mund. Er erinnert sich genau wie ihr Gesicht, wie ihre Augen gestern Nachmittag ausgesehen hatten, als er sie verließ, um zu dem Freund zu gehen. So sah sie aus, wenn sie traurig war, wenn sie seinetwegen traurig war. Frank war klar, dass Lisa längst wusste, dass er das nicht ertragen konnte. Um sie wieder versöhnlich zu stimmen und um sich zu erklären, hatte er sich mit ihr in diesem Café verabredet. Er hielt das für eine gute Idee, denn sie waren gerne hier, doch er hatte nicht daran gedacht, dass sie sich an diesem Ort vor einigen Monaten beinahe bis zur Trennung gestritten hatten. Es ging damals um Lisas Idee, eventuell eine gemeinsame Wohnung zu suchen. Und gestern hatte er es so eilig gehabt, dass Lisa ihn weder daran erinnern, noch einen anderen Vorschlag unterbreiten konnte.

      Nachdem Frank Lisa verlassen hatte, wollte er sich tatsächlich mit seinem Freund und Feind dem Dämon treffen. Er fühlte sich endlich stark genug, um es mit ihm aufnehmen zu können, er wähnte sich hinreichend reif, um ein für alle Mal ohne ihn zu leben. Mit diesen Absichten ging er in seine Wohnung und suchte ihn überall, doch das Biest hatte sich gut versteckt und zeigte sich nicht. Den Rest des Abends verbrachte er damit, nicht ans Heiraten zu denken und sich Antworten zurechtzulegen, wenn Lisa morgen auf welche Weise auch immer auf seinen durchsichtigen Vorwand anspielen würde. Da erschien der Dämon, leider nur kurz, viel zu kurz, als dass Frank ihn hätte bemerken können. Doch im Handumdrehen wusste er, für wen er etwas Wichtiges hatte tun müssen und was es war.

      Lisa dachte an die Hochzeit, von der sie ihm erzählt hatte. Und sie dachte daran, wie sie als kleines Mädchen die Hochzeit ihrer Tante erlebt hatte. Sie staunte, wie lebendig ihre Erinnerungen an dieses Ereignis geblieben waren. So viele Einzelheiten kamen ihr aus der Vergangenheit entgegen, so als wäre es erst gestern gewesen. Doch die Früchte der Hochzeitsnacht und zwei weiterer Nächte waren inzwischen vierzehn, zwölf und neun Jahre alt. Dann kam ihr Frank in den Sinn und sie fragte sich, wie sie sein sollte, wenn sie ihm in wenigen Stunden gegenüber sitzen würde. Wütend? Traurig? Gleichgültig vielleicht? Sie war sich nicht sicher und wollte es nicht sein. Nicht diesmal, nicht schon wieder! Die Sache mit der gemeinsamen Wohnung kam ihr in den Sinn. Gott!, wie er sich aufgeführt hatte. Ein einfaches lass uns noch warten mit oder ohne Schatz hätte doch genügt, dachte sie, gab doch keinen Grund, gleich so aus der Haut zu fahren; als ob ich ihm den Mietvertrag auf Lebenszeit schon unterschrieben unter die Nase gehalten hätte. Idiot! Von einem Freund wollte sie nichts wissen. Wer soll es denn sein, fragte sie sich, sind doch Semesterferien. Alle machen Urlaub, ist doch niemand da, sonst wäre er gestern woanders gewesen. Alles Ausreden. Ich geh einfach nicht hin.

      Wie lange sitzen sich Lisa und Frank nun schon wortlos gegenüber? Sie sehen sich an und stellen sich diese Frage nicht. Er bietet ihr eine Zigarette an. Ohne ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen greift sie nach ihrer Packung, holt eine Zigarette heraus, öffnet leicht die Lippen, um sie mit ihnen festzuhalten und zündet sie an. All ihre Bewegungen vollführt sie so langsam, so bestimmt, so zwingend, dass Frank Mühe hat, ihrem Blick standzuhalten. Jetzt ist ihm endgültig klar, dass sie wütend ist und dass es keinen Sinn mehr hat, mir ihr zu reden. Er kennt sie gut genug, um zu wissen, dass sie ihn auflaufen lassen würde. Sie würde schnippisch sein und ihn abweisen. Wie so oft würde sie ihm das Gefühl geben, dass er nichts verstünde, dass er ganz offensichtlich nicht wisse, worum es überhaupt ging. Er dagegen würde versuchen, ihr alles zu offenbaren, was er ihr schon immer sagen wollte. Sie würde ihn nur ansehen und entweder stumm nicken oder lediglich ja oder nein sagen. Sprächen sie aber nicht, verschwendeten beide ihre Zeit. Was bleibt ihm in dieser Situation zu tun übrig? Nichts!

      Sag schon, was du sagen willst, denkt sie, aber spricht es nicht aus. Langsam vergeht ihr die Lust, ihn weiterhin anzustarren. Sie will nicht länger vergeblich warten, dass er mit ihr spricht. Nichts neues, sagt sie sich, so oft schon wollte er mit mir über dieses und jenes reden. So viele Male hat er es nicht getan. Egal, ob er einfach nicht wollte, aus welchem Grund auch immer. Gleichgültig, ob ich ihm hätte helfen können oder nicht. Was machst du eigentlich hier? Was willst du von mir? Sie wendet ihre Blicke von ihm ab und sieht zum Fenster hinaus. Sie denkt an den Chaoten, den sie mag, weil er unberechenbar ist und damit allen anderen Männern ihrer Meinung nach etwas Entscheidendes voraus hat. Es gelang ihm immer wieder, mit seinen Einfällen für Überraschungen zu sorgen, die dann und wann von solcher Qualität waren, dass kein Stein ihres Alltags auf dem anderen blieb. Doch es grämte sie, dass er es sich damit verdiente, nicht mit ihr reden zu müssen beziehungsweise dass dieser Makel dadurch beinahe vollständig relativiert wurde.

      Ihre Blicke verlieren sich kurz hinter der verstaubten Scheibe und sie denkt an Frank. Einmal hatte er das Fenster ihres Zimmers in ihrer alten WG mit Brettern zugenagelt, damit niemand auf die Idee käme, sie zu entführen, wenn er einmal nicht bei ihr wäre. Sie war entsetzt als sie sein Werk sah, ihre Mitbewohnerinnen waren vollkommen fassungslos. Keine von ihnen hatte Frank je über den Weg getraut, doch von da an hielten sie ihn für absolut verrückt und ließen das auch Lisa spüren. Sie musste sich eine neues Zimmer suchen und den Schaden aus eigener Tasche zahlen, da ihr Liebster das bisschen Geld, das er hatte, unbedingt für Bretter und Nägel ausgeben musste, nur den Hammer konnte er sich von einem Freund leihen. An dieses und