Metatheorien, also Wissen im engeren Sinne. Die Resultate des letzteren sind Regeln, Werte und Normen, die in das Kulturprogramm eingehen und die sich in verschiedensten kommunikativen Formen wie Bräuchen, Ritualen, und materialisierten Formen wie Kunstwerken, Architekturen, Moden usw. materialisieren. In der Tat: „Kultur ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachter Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens… Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff...”. [3]
Hier sollen allerdings nicht die vielfältigen Formen von Wirklichkeitsmodellen, Kulturprogrammen, Erkenntnis‑ und Wertungsprozessen untersucht werden. Stattdessen wollen wir uns der entscheidenden, für die Kompetenzaneignung zentralen Frage zuwenden: Wie werden Regeln, Werte und Normen für uns zu etwas Eigenem, Handlungsleitenden, zu eigenen Emotionen und Motivationen? Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als die Drehscheibe jeder Kompetenzentwicklung, auch und vor allem der Kompetenzentwicklung im Netz.
[1] Erpenbeck, J. (1980)
[2] Jokisch, R. (1996)
[3] Weber, M. (1989), S.78
2.2.3 Wertvermittlung
Werte lassen sich nicht instruktional vermitteln. Lydia Boshowitsch unterscheidet, anknüpfend an Bluma Zeigarnik "bloß bekannte", gelernte und "unmittelbar wirksame" interiorisierte Werte. [1] Auch der Mörder weiß, dass man nicht töten darf. Jedem Kind bringen wir die zehn Gebote, oder zumindest einige davon, in der einen oder anderen Form bei. Oft kann es diese auswendig hersagen. Deshalb hat es sich diese noch lange nicht angeeignet, zu Emotionen und Motiven seines eigenen Handelns gemacht.
Es ist, wie mit den eigenen Erfahrungen. Dabei handelt es sich ebenfalls um Wissen im weiteren, emotions- und motivationsgestützten Sinne, das durch die Menschen in ihrem eigenen geistigen oder gegenständlichen Handeln selbst gewonnen wurde und unmittelbar auf einzelne Erlebnisse dieser Menschen zurückgeht. In diesem selbst Gewonnen- und unmittelbar Erlebtsein liegt ganz offenbar die bildungsrelevante Pointe der Erfahrung. Natürlich lassen sich Erfahrungen vermitteln - aber nur in Form von Wissen im engeren Sinne, von Kenntnissen, nicht als Erfahrungen desjenigen, dem sie vermittelt werden sollen.
Erfahrung kann man nur selbst machen. Sie können nur selbst handelnd, selbstorganisiert gewonnen werden. Jedes selbst und unmittelbar gewonnene Wissen eines Menschen ist durch die in Lebens- und Erlebensprozessen vor sich gehende Ausbildung von Emotionen, Motivationen, Willensentscheidungen, Werten und individuellen Kompetenzen flankiert. Jeder von Gruppen, Unternehmen, Organisationen usw. erzielte Wissensgewinn ist von einer in Lebens- und Erlebensprozessen gegründeten Ausbildung von Werten, Normen, Regeln und überindividuellen Kompetenzen, beispielsweise Team-, Unternehmens- oder Organisationskompetenzen, begleitet. Erfahrungen sind stets Komplexe von Wissen und Werten, zu eigenem Gedächtnisbesitz und zu eigenen Emotionen und Motivationen „verinnerlicht“. „Erfahrung nennt die Subjektivität des Subjekts" [2] heißt es kurz und bündig bei Heidegger.
Auch Werte werden durch die Menschen in ihrem eigenen geistigen oder gegenständlichen Handeln selbst angeeignet und gehen unmittelbar in die einzelnen Erlebnisse dieser Menschen ein. Auch bei ihnen lässt sich nur das den Werten zugrunde liegende Wissen im engeren Sinne, lassen sich nur die begründenden Kenntnisse vermitteln, aber nicht als Werte für denjenigen, dem sie vermittelt werden sollen. Werte können nur selbst handelnd, selbstorganisiert angeeignet werden. Dieser Aneignungsprozess wird psychologisch als Interiorisation (oft auch Internalisation) bezeichnet.
Es gibt drei Bereiche, in denen man aus unterschiedlichen Gründen Interiorisationsprozesse von Werten untersucht:
1. Die Emotions- und Motivationspsychologie analysiert generell, wie Emotionen und Motivationen in Wertungsprozessen entstehen, gedächtnismäßig verankert und im Handeln wirksam werden.
2. Die Psychotherapieforschung behandelt verschiedenen Therapieformen zugrunde liegende Prozesse als emotional-motivationales „Umlernen“ von Wertungen.
3. Beschreibungen von Gruppendynamik schildern die emotional-motivational wertenden Veränderungen der Gruppenmitglieder innerhalb dynamischer Gruppenprozesse.
Die Darstellungen in allen drei Bereichen weisen zentrale strukturelle Gemeinsamkeiten auf, welche uns ermöglichen, den „Mechanismus“ der Wertinteriorisation sehr generalisierend abzuheben und auf das Wert- und Kompetenzlernen im Netz zu übertragen.
[1] Boshowitsch, L. I.. (1970), S.276
[2] Heidegger, M. (1980), S.176
2.2.4 Wertaneignung nach der Emotions- und Motivationspsychologie
„Ach die Werte“ kann man mit Hartmut von Henting seufzen[1]. Immer wenn in den moder-nen Gesellschaften die alte Frage nach dem Sinn des Lebens neu gestellt wird, wenn Sinnkrise und Orientierungsverlust in der Ego- und Ellenbogengesellschaft gegeißelt und ein generelles Unbehagen an der Kälte des Kapitalismus artikuliert wird, erklingt der Ruf nach Werten. Es erhebt sich ein immer wieder auftönender Klagegesang, der den Verlust von Werten betrauert und teils die Rückbesinnung auf alte, traditionelle, oder die Entwicklung neuer, menschheitsbessernder Werte fordert.[2]
Da die überkommenen, vor allem von den christlichen Religionen vermittelten Wertvorstellungen zunehmend obsolet werden und immer weniger dem individuumzentrierten Lebensgefühl der Menschen in modernen Industriegesellschaften entsprechen, werden Wertkonstrukte und Methoden der Wertvermittlung aus anderen religiösen oder zweifelhaft kultigen Quellen geschöpft. Die oft vergessenen Sphären von Herz, Seele und Gemüt, von Emotionen und Motivationen machen zugleich die individuell -subjektiven Seite von Werten und Wertewandel zum Thema.
[1] Von Henting, H. (1999)
[2] Sperry, R.(1985); Cummings, W.K., Gopinathan, S., Yasumada T. (Editors) (1988); Wickert,U.(1994); Küng,.H. (1994)
2.2.4.1 Emotionen und Motivationen
“Emotionen stellen einfach strukturierte Gefühle dar, die Umweltereignisse und Objekte, also Erfahrungen und Wahrnehmungen des Menschen erst einmal in einer ganz bestimmten Art bewerten; sie geben den Dingen um uns herum sozusagen ihre Bedeutung für uns und unsere innere Bedürfnislage”. [1] Dabei wollen wir uns nicht mit den teilweise beckmesserischen Unterscheidungen zwischen Emotion und Gefühl auseinander setzen. Wir benutzen die Anschauung, Gefühle seien nicht identisch mit Emotionen, sondern „bezeichnen das subjektive Erleben in emotionalen Zuständen“, bezeichnen psychophysische Zustände. [2] Da uns aber wenig mit einer Unterscheidung von hedonalgischem Differenzial (s.u.) und dem Erleben dieses Differenzials gedient ist und uns vielmehr die Verankerung des Gefühls in diesem Differenzial interessiert, werden wir Emotionen und einfach strukturierte Gefühle gleichsetzen, ohne andere Begriffe zu negieren. „Im Folgenden wird…dem Begriff <Emotion> der Vorzug gegeben. Gegenüber den Begriffen Gefühl (Betonung der Komponente der subjektiven Wahrnehmung), Affekt (Beiklang des Heftigen, Unkontrollierbaren), und Stimmung oder Gemütsbewegung hat er den Vorteil, dass er zur umfassenden Beschreibung