Fritz Gustavo Allewelt

Abgefahren


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Startplätzen auf 1000 bis 2000 Meter und mehr.

      Die Anspannung wich nach dem gelungenen Start dem unbeschreiblichen Gefühl vogelähnlichen Fliegens. Bäuchlings, mit dem Gesicht zur Erde, gleitet der Hängegleiterpilot im Hangaufwind oder in der Thermik, manchmal stundenlang und lautlos durch die Lüfte. Gestreichelt von der Luft, erschließen sich ihm grandiose Ausblicke. Hätte mir jemand nach der Landung eine Tüte Vogelfutter gereicht, ich hätte sie dankend angenommen.

      Zu der Zeit war das Drachenfliegen noch Pionierleistung und nicht ohne Risiko.

      Es wurde ohne Helm und Rettungssystem geflogen.

      So war es damals 1977.

      Der Drachensportverein „Zillertaler Jochgeier“ lud 1977 zu einem Flugwettbewerb ins Zillertal ein. Aus Deutschland folgten der Hamburger und der Harzer Drachensportverein der Einladung mit vier Drachenfliegern. Bei drei Flugdisziplinen und einem Rennrodeln galt es zu punkten.

      Das hieß, von dem Rennrodeln erfuhren wir erst nach der Ankunft im Zillertal.

      Diese Disziplin lag uns Flachländler überhaupt nicht.

      Um für etwas Ausgleich zu sorgen, durfte sich jeder Flieger, auch die Österreicher, eine Rodlerin einladen, die für zusätzliche Punkte sorgen sollte.

      Die fliegerischen Disziplinen bestanden aus Ziellanden, Zielabwurf und Zeitfliegen.

      Ziellanden hieß, in der Mitte des Zielkreises zu landen.

      Beim Zielabwurf musste ein Gegenstand so dicht, wie es nur ging, aus dem Fluge, in die Mitte des Zielkreises abgeworfen werden.

      Mit einem Messgerät wurde die Höhe des Fluggerätes gemessen, je tiefer desto genauer konnte man zielen. Aber, je tiefer geflogen wurde, desto mehr Minuspunkte wurden vergeben. Beim Zeitfliegen gab es für die bis zur Landung verbrachte Zeit in der Luft Pluspunkte. Fürs Rennrodeln galt, je schneller die Ziellinie erreicht und überquert wurde, desto mehr Punkte konnten verbucht werden.

      Auf das Fliegen freute ich mich riesig, das Rodeln lag mir im Magen.

      Ich hatte total vergessen, mir eine Rodlerin an Land zu ziehen. Die infrage kommenden, sportlich erscheinenden Damen waren alle vergeben.

      Im Edeka-Laden in Fügen arbeitete Gabi, in der Wurst- und Fleischabteilung. Sie war klein, ausgesprochen zierlich und sah gut aus.

      „Hallo Gabi, weißt du, ich brauche noch für morgen Abend eine Rodelpartnerin“, warb ich um Gabi. „Würdest du für mich rodeln?“

      „Aber klar doch Norbert, ich freu mich darauf.“

      Wäre es ein Schönheitswettbewerb gewesen, hätte es für Gabi die ersten Punkte gegeben, wie wollte sie beim Rodeln punkten? Egal, dachte ich mir, dabei sein ist alles.

      Der Wettergott meinte es gut mit den Drachenfliegern. Werner aus Goslar, die

      Startnummer Zehn legte einen Fehlstart hin, der glimpflich verlief. Werner war lauffaul!

      Bei nicht ausreichendem Gegenwind reichten seine wenigen gemächlichen Laufschritte nicht, um den Drachen zum sicheren Fliegen zu überreden.

      Er blieb mit dem Steuerbügel am Hang hängen. Der Steuerbügel zerbrach. Das rechte Seitenrohr knickte mit einem lauten Krachen auf fast 90 Grad um. Werner erlitt ein paar Prellungen, sein linkes Auge verfärbte sich zusehends. Der Biss in die Lippe blutete heftig. Die Startnummer Zehn aus Deutschland fiel für den weiteren Wettbewerb aus.

      Werner wurde auch Scarface, Narbengesicht, genannt. Die Narben stammten nicht vom Drachenfliegen. Werner war noch einer von der Sorte Männer, die ihre Rivalitätskämpfe mit den Fäusten auszutragen pflegten. Ausgerechnet ich zog die Startnummer Dreizehn und schaute Gabi hilflos an.

      „Dreizehn bringt Glück, Norbert, du wirst sehen“, tröstete sie mich.

      Startplatz war die Höhenstraße im Zillertal in 1600 Meter Höhe.

      „Nächster Pilot zum Zielabwurffliegen, Norbert Krüger, Deutschland, Startnummer Dreizehn“, tönte es aus dem Lautsprecher.

      Mein Aufruf, also, ab an den Start und los. Der Start verlief problemlos. Ich lief, was das Zeug hielt. Die total ruhige Luft versprach turbulenzfreies Fliegen, einen Flug wie auf

      „Wattebäuschchen“.

      Auch das noch!

      Mein Zielabwurf hatte sich in der „Schürze“, eine Art Matte, in der man beim Fliegen bäuchlings mit dem Gesicht nach unten liegt, verhakt.

      Während ich versuchte, Herr der Lage zu werden und mich krampfhaft bemühte, den Zielabwurf zu ergreifen, näherte ich mich dem Zielkreis.

      Höhe hatte ich noch keine verloren. Eine schlechte Voraussetzung für einen guten Zielabwurf, da das Zielen aus großer Höhe außerordentlich schwierig werden würde.

      Na endlich, da hatte ich das Ding, zack und weg. Es war mir aus der Hand gefallen! So ein Mist, klar doch, Startnummer Dreizehn bringt Glück, dachte ich noch enttäuscht. Nachdem der letzte Pilot gelandet war, wurden die Ergebnisse bekannt gegeben.

      Ich dachte, ich hätte was mit den Ohren.

      „Die Startnummer Dreizehn, Norbert Krüger, Deutschland, hat die Höchstpunktzahl mit 100 Punkten erreicht“, verkündete der Ansager.

      Nur das deutsche Lager jubelte über meinen Erfolg!

      Der zweite Wettbewerbstag brachte mich in den weiteren Disziplinen auf die Plätze eins bis drei.

      Gabi hatte recht, die Dreizehn war zumindest für den Flugwettbewerb eine Glückszahl und würde mich auf das Siegertreppchen bringen, wenn da nicht noch das Rennrodeln wäre.

      Am dritten Wettbewerbstag war für den späten Nachmittag das Rodeln vorgesehen, bei Scheinwerferlicht mit echten Rennschlitten, auf einer richtigen Rennrodelbahn.

      „Das wird doch nie was für uns, Xaver“, beschwerte ich mich beim 1. Vorsitzenden der

      Zillertaler Jochgeier, „ich habe noch nie auf so einem Ding gesessen; das hat mit Schlitten fahren doch nichts mehr zu tun; wie steuert man so ein Ding überhaupt?“ fragte ich noch mit einem leicht wütenden Unterton und fühlte mich von den Zillertalern vorgeführt.

      „Da sitzt du nicht, Norbert, da liegst du drauf, schau her“, zeigt Bertl, ein Österreicher, mir die richtige Liegeposition.

      „Gesteuert wird er durch Verwinden, du musst ihn vorne, entweder links oder rechts, hochziehen, willst du Bremsen, ziehst du beide Seiten gleichzeitig kräftig hoch, eine Hand kannst du zur Steuerung hinter dir auf die Bahn drücken, das passt schon, wirst sehen“, beendete er seine Kurzeinweisung.

      Ich hatte mir die Hände und das Gesicht mit einer Körperlotion eingerieben, da ich die Gesichtscreme nicht finden konnte. Körperlotion ist für das Gesicht nicht gerade das Richtige. Meine Augen tränten unerlässlich.

      Dass es mit dem Skioverall ziemlich glatt auf dem Schlitten war, hatte ich beim Probeliegen festgestellt. Der Anblick der vereisten Rennbahn im Scheinwerferlicht war Furcht einflößend.

      „Start Nummer Sieben, Uwe Wassertal, Deutschland, bitte an den Start“, tönte es aus dem Lautsprecher.

      Uwes Rodelpartnerin hätte Gewichtheberin sein können.

      Sie sollte nach Uwes Durchlauf starten, dann würden beide Zeiten addiert werden. Wo bleibt Gabi, dachte ich, als sie die Treppe zum Startvorplatz hochkam.

      „Hallo, Norbert, du weißt, wie der Schlitten funktioniert?“ lächelte sie mich an.

      „In etwa“, antwortete ich, „ein, zwei Tage Training wären fairer und besser gewesen!“ In Erwartung auf den Start kroch ein beklemmendes Gefühl in mir hoch.

      Was flog da durch die Luft? Schon die erste Kurve hatte Uwe nicht geschafft. Er schoss über den Rand und fiel in die darunter liegenden Strohballen. Das kann ja heiter werden, dachte ich laut mit Blick auf Gabi.

      „Er