Fritz Gustavo Allewelt

Abgefahren


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      „Das macht 120.000 Lire, Signor!“ forderte der Carabinieri mit gelassenem Gesichtsausdruck.

      120.000 Lire fast 120 DM, ich konnte es nicht fassen!

      Zwanzig Meter gegenüber duschte ein italienischer Lkw-Fahrer unter seiner Außendusche und schmetterte lauthals ein Lied.

      Eine riesige Pfütze umgab ihn.

      „Muss der auch bezahlen?“ fragte ich und zeigte zum Lkw-Fahrer.

      „Wir reden über Ihr Wasser, Signor! Wenn Sie nicht zahlen wollen, fahren Sie hinter uns her zum Revier. Dort nehmen wir ein Protokoll auf und Sie bekommen eine Anzeige!“

      Eine deutliche Ansage des Carabinieri.

      Zähneknirschend zahlte ich 120.000 Lire und erhielt eine Quittung. Ein Salamibrötchen und einen Espresso gönnte ich mir trotzdem.

      Danach wurde getankt, das heißt, wir wurden betankt. Selbstbedienung gab es hier nicht.

      “Quanto? Pieno?“

      “Si, si, pieno per favore, ja, einmal volltanken bitte.“

      Man glaubt es nicht, mit einem Fuß auf dem Vorderreifen und einer brennenden Zigarette im Mundwinkel wurde das Vehikel betankt.

      Andere Länder andere Sitten.

      Mit leicht getrübter Stimmung setzte ich die Reise fort. Ich darf nicht mehr vergessen, den Ablasshahn vom Grauwassertank zu schließen, nahm ich mir fest vor.

       Auf einer Raststätte in der Nähe von Florenz hatte ich vor dem Wohnmobil einen Campingtisch aufgestellt und studierte das Kartenmaterial für den weiteren Reiseverlauf. Unverhofft bekamen Dina und ich Besuch.

      „Vogliono una Videocamera, möchten Sie eine Videokamera?“ fragte der Straßenhändler mit aufdringlichem Blick.

      Meine Antwort nicht abwartend, kramte er einen Karton aus einem blauen Müllbeutel, den er in der Hand hielt.

      In diesem Karton befand sich eine Kamera.

      „Sie ist neu und funktioniert einwandfrei“, hörte ich den Straßenverkäufer sagen.

      „Die kostet in Deutschland 650 Mark. Von mir bekommen Sie die für 300 Mark.“

      „Nein, ich möchte keine Kamera“, lehne ich ab.

      Was bahnte sich da für ein Gelaber an.

      Eine Schmeißfliege war nicht lästiger!

      Endlich hatte er Erbarmen und suchte sich ein neues Opfer.

      Dieses Mal war es ein niederländisches Paar mit einem Wohnwagen. Das gleiche Spiel.

      Da, der Niederländer nahm die angebotene Kamera in die Hand und beschaute sie von allen Seiten. Dann nahm seine Begleiterin die Kamera in Augenschein. Beide redeten miteinander. Der Niederländer stieg aus und folgte dem Italiener zu einem in 100 Meter Entfernung, in einem kleinen Pinienwald stehenden, verwahrlost aussehenden Lieferwagen. Dort reichte ein im Wagen sitzender Mann einen Karton heraus, den der Niederländer an sich nahm. Der Mann im Wagen bekam das Geld.

      Mit dem Karton unter dem Arm ging der Niederländer zu seinem Fahrzeug zurück.

      Der Lieferwagen mit den Italienern fuhr weg.

      Die Niederländer saßen im Auto und schauten sich ihr Schnäppchen an. Nachdem der Karton mit der Kamera auf den Rücksitz gelegt wurde, setzte sich das Gespann in Bewegung.

      Sie waren noch keine 200 Meter gefahren, da hielt quer vor deren Wagen ein Carabinierifahrzeug.

      Die Niederländer mussten aussteigen, die Hände auf das Dach legen, und wurden von den Carabinieri abgetastet. Inzwischen hatte ich ein Fernglas vor den Augen und konnte alles genau sehen. Ein Carabinieri schrieb irgendetwas, das dem Niederländer in die Hand gedrückt wurde.

      Geld und Karton wurden an die Beamten übergeben, die dann einstiegen und wegfuhren.

      Gut dachte ich, dass ich die Kamera nicht gekauft habe. Nach scheinbar heftiger Auseinandersetzung setzten die Niederländer ihre Fahrt fort.

      Deren Stimmung war bestimmt nicht gut.

      Oh, ein Däne mit einem Landrover.

      Hallo, was ist das?

      Da war der Lieferwagen mit dem Straßenverkäufer. Der Typ mit dem Müllbeutel ging zum dänischen Fahrzeug.

      Es begann das gleiche Spiel wie bei den Niederländern. Auch der Däne folgte dem Italiener zum Lieferwagen. Und nochmals wiederholte sich das Spiel.

      Der Lieferwagen mit den Italienern fuhr abermals weg. Der Däne stieg mit der frisch erworbenen Kamera in seinen Landrover.

      Auch er fuhr nur wenige Meter, schon waren die Carabinieri da. Es lief die gleiche Prozedur wie bei den Niederländern ab. Nachdem die Carabinieri weggefahren waren, fuhr der Däne an die Seite.

      Ich schloss mein Wohnmobil ab und ging zu ihm.

      „Hallo, guten Tag, sprechen Sie deutsch?“

      „Guten Tag, ja.“

       Der Däne nahm es mit relativem Humor: „Wenn man zu gierig ist, wird man bestraft. Ich habe dazu gelernt“, bemerkte er.

       Also, die Kamera umgerechnet 300 DM Kaufpreis, an die Carabinieri 500 DM Strafe, dann würde auf eine Anzeige wegen Hehlerei verzichten, war die Begründung.

      Geld weg, Kamera weg!

       Für die Italiener war es ein gutes Geschäft!

      10 Trottel am Tag machten 8000 DM, durch vier Betrüger, das sind 2000 DM pro Kopf.

      Natürlich steuerfrei, alle Achtung!

      Zwei Raststätten weiter, machte ich für Dina wieder eine Pause: „Hallo Signore, das absolute Angebot. Hier, probieren Sie aus, Caruso Enrico, Carreras, Callas Maria e molti altri, und viele andere, in Stereoqualität, nur zehn Deutschmark!“ hält mir der Verkäufer eine Musikkassette hin.

      Ich lege die Kassette ein, er hatte nicht zu viel versprochen. Ein Zehnmarkschein wechselte den Besitzer, mein letztes deutsches Geld.

      Jetzt untermalte ein Solostück von Enrico Caruso, das zweite Musikstück auf der Kassette, die Fahrt durch die italienische Landschaft. Ernüchternde Ruhe ließ mich erstaunt, mit einer plötzlichen Vorahnung, in Richtung Kassettenrekorder blicken. Im Gegensatz zu dem Dänen hatte ich nichts dazu gelernt, der Rest der Kassette war leer!

      Von den 200.000 Lire waren noch knapp 60.000 Lire da. 120.000 Lire fürs Duschen hatten ein ganz schönes Loch in die Reisekasse gerissen.

      Ich sollte mir noch Geld am Bankautomaten holen.

      „Hanno un bancomat qui, haben Sie einen Geldautomaten hier?“

      „Ja, da drüben, aber der funktioniert nicht!“

      Mist, na dann an der nächsten Raststätte.

      Ich brauchte ja noch Geld für die Maut in Napoli!

      Gegen Abend erreichte ich die Tank-Raststätte Attigliano, auf der A1 ungefähr 40 Kilometer nördlich von Rom. Es sah gut aus hier, alles übersichtlich und relativ sauber. Hier machte ich einen Vollstopp, das hieß, Tanken, Essen, Geld holen und übernachten. Das Übernachten auf den italienischen Autobahnraststätten hatte es in sich und war zumindest gewöhnungsbedürftig.

      Erst stand man ziemlich allein auf dem großen Parkplatz.

      Der penible Deutsche, also auch ich, stellte sich natürlich passgenau in die farblich ausgewiesene Parkfläche für Lkw. Zur vorgerückten Stunde trudelten sie dann ein, die Camion, die Lastwagen. Da es im italienischen Sprachgebrauch und in der italienischen Empfindungswelt scheinbar das Wort Lärm nicht gibt, war alles mit einem Höllenlärm verbunden.

      Es wurde gehupt, gebrüllt und wild rangiert.