Fritz Gustavo Allewelt

Abgefahren


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nicht am Rand des Lkw-Klumpens stand, tat seine Absicht wegzufahren durch lautes Hupen kund. Das wiederum wurde begleitet durch Wildes rangieren. Ja, und wenn nicht rangiert wurde, gaben die Kühllaster ihr Bestes. Hier in Attigliano stand ich am Rande des Parkareals.

      Rechts von mir konnte keiner mehr fahren, denn ich stand direkt neben einer von der Sonne verbrannten Rabatte. Es war sehr warm, und da ich mich noch nicht akklimatisiert hatte, war die Fahrerei teilweise auch anstrengend.

      Um einigermaßen gut schlafen zu können, waren die Dachhauben geöffnet, das Fenster über der Küchenzeile hochgestellt und das Gazerollo heruntergezogen.

      Neben der Küchenzeile befand sich die Aufbautür. Mein Schlafplatz war der Alkoven. Dina lag bereits in ihrem Körbchen vor dem Beifahrersitz. Mit dem Einschlafen hatte ich kein Problem.

      Was war das für ein Geräusch? So wisch, wisch, als wenn jemand vorsichtig mit der flachen Hand über den Tisch wischte. Wieso, wer wischt bei mir über den Tisch, grübelte ich?

      Da ich mit dem Aufwachen auch kein Problem hatte, gab es bei mir keine Anlaufzeit.

      Einmal wach, war ich gleich auf 100 Prozent.

      Als mein Blick durch den von den Parklaternen konfus beleuchteten Wohnmobilraum in Richtung Küchenzeile ging, erkannte ich augenblicklich die Ursache des Fremdgeräusches.

      Das Gazerollo des Küchenfensters war hochgeschoben und eine Hand tastete auf der Glasabdeckplatte herum. Ohne Geräusche zu machen, verließ ich den Alkoven.

      Schnell ergriff ich die immer bereitstehende, benzingefüllte Plastikflasche mit dem bleistiftdicken, gebogenen Ausspritzröhrchen und dem bereitliegenden Sturmfeuerzeug.

      Drück, zünd und schon verschwand die brennende Hand mit lautem Grunzen des Besitzers.

      Die kleine Feuerlache auf der Glaspatte erstickte ich mit dem Handtuch. Kaum zu glauben, jetzt meldete sich auch Dina.

      „Äh, du Flachpfeife, wenn du schon nicht Karte lesen kannst, halte wenigsten die Ohren auf!“

      Dina ließ die Ohren hängen.

      „Komm‘ doch mal her, hab‘ ich doch nicht so gemeint, du bist ja die Beste!“

       Hier wollte ich auf keinen Fall den Rest der Nacht verbringen, es sollte weitergehen.

       Nachdem ich mir meinen mit Gaspatronen geladenen Schreckschussrevolver in den Hosenbund geschoben hatte, horchte ich erst mal auf verdächtige Geräusche.

      Nicht, dass ich beim Verlassen des Wohnmobils noch einen über den Schädel bekommen würde. Draußen war alles ruhig. Der Rundgang ums Fahrzeug und die Kontrolle des Trailers ergaben keine Auffälligkeiten. Niemand war zu sehen.

      Vor uns stand zum Glück kein Fahrzeug. Ich stieg ins Wohnmobil, legte den Schreckschussrevolver auf den Sitz zwischen meine Beine und fuhr los. Also nichts mit schlafen, die Nacht war hier für mich zu Ende. Geld hatte ich auch nicht geholt.

      Mittlerweile war es halb zwei Uhr nachts. Auf der Zufahrt zur Autobahn erblickte ich einen Fiat Ducato mit Fahrtrichtung zu uns. Beim Vorbeifahren erkannte ich drei Männer im Führerhaus, die zu mir herüber blickten. Irrte ich mich, oder hatte der eine die Hand verbunden?

      Vorsorglich hielt ich meinen Schreckschussrevolver hoch, so, dass sie ihn sehen konnten.

      Ständig guckte ich in den Rückspiegel, ob uns vielleicht ein Fiat Ducato folgte. Entspannung und Erleichterung kamen erst auf, als die Nacht dem Tag mit einem unglaublich, ja, fast kitschig anmutenden Sonnenaufgang wich.

      Mensch noch mal, ich hatte immer noch kein Geld abgehoben, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Gut, mit dem Sprit würde ich noch eine ganze Weile auskommen. Kaffee oder Frühstück brauchte ich morgens nicht. Eine Flasche Aquaminerale löschte mir den Durst und brachte mich über den ersten Hunger.

      Nachts erreichten wir die Mautstation Salerno-Fratte. Eigenartig, wir waren das einzige Fahrzeug, kaum zu glauben. Da ich keine Lira mehr in der Tasche hatte, um die Mautgebühr vom Brenner bis hierher zu bezahlen, überlegte ich mein weiteres Vorgehen. Schranken versperrten sinnvollerweise die Weiterfahrt. Öffnen würden sie sich erst nach ausreichender, geldlicher Fütterung der Automaten, die mit gierigem Einwurfschlund in der Größe eines Urinals auf Opfergaben warteten.

      Die weitere Nutzung der Autostrada durch die Region Campania war kostenfrei. Bevor wir nach Brindisi fahren würden, um nach Igoumenitsa überzusetzen, stand noch ein Abstecher nach Santa Maria di Castellabate, ca. 20 Kilometer südlich von Agropoli, auf dem Reiseplan.

      Zurück zu meinem Mautproblem.

      Diese Mautstation war nicht mit Personal besetzt, hier musste man Automaten füttern, aber womit?

      Im angrenzenden Stationsgebäude brannte Licht.

      Ich machte mich auf den kurzen Weg dahin. Man hatte mich längst bemerkt.

      Ein freundlich lächelnder Herr stand in der Tür.

      „Buona sera, hanno problemi, guten Abend, haben Sie Probleme?“ begrüßte er mich. Mein Plan, mit der Bankkarte Geld abzuheben, hätte nicht funktioniert, erzählte ich ihm.

      „Das ist kein Problem! Stellen sie sich vor ihr Fahrzeug, aber nicht vor das Nummernschild und blicken sie bitte nach vorne“, forderte er mich freundlich auf.

      Mamma mia, welch ein Blitz! Die ganze Station war für Sekunden gleißend hell illuminiert.

      Die Blitzlichtanlage war auf hohen Masten montiert. Erst konnte ich nichts mehr sehen, dann sah ich, dass der Stationsangestellte mit zwei Gläsern Rotwein auf mich zukam.

      „Allora, prendiamo un bicchiere vino rosso“, lud er mich zu einem Glas Rotwein ein.

      Das würde mir zu Hause keiner glauben!

      Konnte die Mautgebühr nicht bezahlen und bekam zur Belohnung noch ein Glas Rotwein.

      Mir wurde bewusst, ich war nicht in Deutschland.

      Ich war in Italien, wo die Sonne lacht, wo die Menschen aus purer Lebensfreude singen, wo das Essen reinster Genuss ist, wo jahrhundertealte Olivenbäume knorrig wachsen, wo ein Kunstwerk das andere an Schönheit und Pracht übertrifft.

      Man könnte meinen, hier leben nur Lebenskünstler.

       Er drückte mir noch ein Formular in die Hand, mit dem Hinweis, dass ich vierzehn Tage Zeit hätte, die dort aufgeführte Mautgebühr bei einer Bank einzuzahlen.

      Wen es einmal in die Gegend des Cilento verschlägt, sollte unbedingt an der Autobahnausfahrt in Battipaglia die Autobahn verlassen und die Straße an Paestum vorbei nach Salerno nehmen. Dieser Abstecher lohnt sich auf alle Fälle. Jede Menge Käsereien, die auch als Restaurants zu finden sind, säumen die Straße.

      Hier bekommt man original Buffalo-Mozzarella und andere leckere italienische Spezialitäten garantiert frisch auf den Tisch.

      Mit meinen Gedanken war ich in Santa Maria di Castellabate, erinnerte mich an meine Drachenflüge 1980 vom Monte Stella und am Meer, hoch über Santa Maria di Castellabate.

      1980 kostete ein Liter Normalbenzin durchschnittlich 1,16 DM. In Karlsruhe wurde die Partei der „Grünen“ gegründet. Ronald Reagan wird zum 40. Präsidenten der USA gewählt. Und ich war 1980 zum Drachenfliegen in Santa Maria di Castellabate.

       Immer wieder musste ich an Gino, dem Optiker und Imma, seine Frau denken.

      Es hatte sich zu den beiden eine innige Freundschaft entwickelt. Auch die Erinnerungen an Karin und Renato, die damals einen Barrakuda Tauchclub betrieben, wurden wieder lebendig. Würde ich sie alle wiedersehen? Würden sie sich an mich erinnern?

      Da waren die vielen kleinen Bars und das Eiscafé am „Piazza Lucia“.

      Diese 4000-Seelen-Gemeinde hatte ich bereits damals ins Herz geschlossen.