und zwar durch drei Bauzeichnungen, die sich im Berliner Geheimen Staatsarchiv erhalten haben (vgl. Abb. 17 und 18).135
Danach und nach späteren Umbauplänen war es um diese Zeit schon – wie heute noch weitgehend existent (vgl. Abb. 21) – ein zweigeschossiges Gebäude, traufständig angeordnet, mit Walmdach. Das Erdgeschoss war zur Straße hin in Sandstein gemauert; auch durch eine repräsentative Außentreppe sowie durch ein Ochsenauge über dem Eingang hob sich das Haus im Zustand von 1707 in der Tat deutlich aus der bescheidenen Fachwerkumgebung heraus. Lüdemann betont die großzügige Raumaufteilung im Inneren und weist auf die (noch spätere) Größe von Lehmanns Haushalt hin.136 Er umfasste 1724 20 Personen.137 Zu diesem Zeitpunkt war allerdings das Haus schon zweimal erweitert worden.138
Liste der in Kapitel 2 besprochenen HäuserA „Klein Venedig“ (Bakenstraße 37) linke SeiteB „Klein Venedig“ (Bakenstraße 37) rechte SeiteC „Klein Venedig“ ehemals königliche MühleD „Schacht“, ex Heister-1, ex Lossow 1, Vorderhaus, Bakenstraße 28E „Schacht“ ex Heister-1, ex Lossow 1, Hinterhaus, 1699 neu, Bakenstraße 28F Gartenhaus an der Stadtmauer, neben „Schacht“- GartenG Vorgänger-Synagoge im Bereich der Gärten Bakenstraße 26/27H Judenstraße 24–27 Hinterhaus-Fachwerk-Synagoge, 1669 neuI Große Barock-Synagoge 1709/1712J Alter Klaus-Standort zwischen Juden- und BakenstraßeK Neuer Klaus-Standort, Rosenwinkel 18, ex Spital?L Lochow-2 = Heister-2 = 1699 Berend Lehmann, Bakenstraße 27M Pott = 1699 Berend Lehmann, Bakenstraße 26N Judenstraße Ostseite, 1706 Berend Lehmann, ex Levin Joel, baufälligO Judenstraße Ostseite, 1706 Berend Lehmann, ex Levin Joel, wüstP Judenstraße wo? 1732 Isaak Joel an Aaron AbrahamQ Judenstraße wo? 1736 Lehmann Behrend an Jacob Nathan Meyermöglicherweise identisch mit N/OR Gartenhaus im Garten an der großen Synagoge, 1734 subhastiertS Judenstraße Westseite (Nr. 27?): Ex Meyer Michael, 1699 an Judenschaft,Durchgang zur Vorgänger-Synagoge 2 ( H )T Judenstraße Westseite (Nr. 25?) 1699 Levin Joel, gegenüber N/OU Judenstraße 15/16, Ostseite, „Berend-Lehmann-Palais“V Judenstraße Westseite (Nr. 24?) 1699 David Israel, ex Salomon JonasW Judenstraße Westseite (Nr. 26) 1699 David Wulff, ex Wolf DavidX Judenstraße Westseite (Nr. 28?) 1699 Philipp Jost |
Wohnhilfe für arme Juden
Lucia Raspe hat 2002 die drei Großtaten behandelt, die Berend Lehmann der jüdischen Gemeinschaft erwies, den Talmuddruck in Frankfurt an der Oder sowie den Bau von Synagoge und Klaus in Halberstadt.139 Aus den Immobilienakten erhellt, wie umfangreich der Resident außerdem im Kleinen sozial gehandelt hat.
Nach eigener Darstellung hatte er „aus Barmherzigkeit, damit sie ihren Gottesdienst hier verrichten können“ nicht weniger als „sechs arme Judenfamilien in seinen Häusern“ mituntergebracht (damals gehörten schon der 1707/08 neugebaute rechte Teil und die in Richtung Düsterngraben sich anschließende Mühle dazu). Die Genehmigung zu dieser sozialen Tat hatte er sich im Jahre 1711 100 Taler für die königliche Invalidenkasse kosten lassen.140
In einem anderen Zusammenhang gibt er zu bedenken (vgl. Dok. 20): „[E]s ist ferner Königlicher Regierung nicht unwißend, daß ich vor mehr als 62 hiesige arme Juden, als welche das gewöhnliche Jehrliche Schutzgeld abzuführen nicht vermögend, durch wöchentlich von mir zugewießen habende Almosen, welche diese verwahrlich hinlegen, und nach Endigung des Jahres damit das Schutzgeld entrichten,
|: womit ich bey die 28 Jahren schon continuiret, also gleichsam selbst Schutzgeld jährlich vor ihnen erlege, consequenter [folglich] das hohe Königliche Intereße* dadurch mit befordere:| [...]“.141
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Abb. 7: Rekonstruierter Lageplan des ‚Schachtischen Hauses’ (Bakenstraße 28) und seiner Umgebung, 1699−1709. Der große Garten des Hauses stieß an die Stadtmauer. Auf gleicher Höhe im Nebengrundstück Berend Lehmanns Gartenhaus, davor (Richtung Bakenstraße) lag die Vorgängersynagoge 1.
Der Stadtchronist Lucanus erwähnt ihn als einen der drei Judenvorsteher, welche die schweren Sonderbelastungen, die der Halberstädter Judenschaft aufgedrückt wurden, zu verteilen hatten.142 Dabei dürfte er selbst, so lange es ihm wirtschaftlich gutging, den Löwenanteil, das heißt, mindestens ein Drittel, getragen haben; denn in diesem Zusammenhang ist wohl die von Saville erwähnte Anfrage Lehmanns an den Oberrabbiner von Prag, David Oppenheimer, zu sehen, ob einem einzelnen Reichen zuzumuten sei, mehr als ein Drittel der Gemeindelast zu tragen.143
Diese soziale und innergemeindliche Seite des Lehmannschen Wirkens würde, näher untersucht, sicherlich interessante Erkenntnisse zeitigen im Hinblick auf die positive Neubewertung, welche die frühneuzeitliche jüdische Gemeinschaft in Andreas Gotzmanns Buch Jüdische Autonomie erfährt. Stark vereinfacht legt Gotzmann Folgendes dar: Wäre das frühneuzeitliche Judentum geistig so starr gewesen, wie seit der Emanzipation oft behauptet, hätte es nicht überdauern können. Überlebt hat es durch die flexible Großzügigkeit, mit der die rabbinische Interpretation die Gebote von Thora und Talmud an neue Lebenswirklichkeiten anpasste und durch die Solidarität innnerhalb der von klugen Vorstehern geführten Gemeinden.144
Der Kampf um das „Schachtische Haus“, das erste geplante Domizil der Klaus
Anfang des Jahres 1697 stehen im Halberstädter Voigteibezirk der „Schachtische Hoff“ („Hoff“ schließt auch die unbebauten Teile des Grundstücks ein) und das darauf befindliche große,145 aber altersschwache Haus zum Verkauf ( D/E ). Das Grundstück liegt, wie sich aus einem späteren Archivale ergibt,146 an einer ungepflasterten Straße nahe der Stadtmauer, und zwar unmittelbar „neben“ beziehungsweise „an“ dem „Grauen Hof“. „Neben“ bedeutet in diesem Fall rechts (nördlich) des Zugangs von der Bakenstraße in den Grauen Hof, denn auf der linken (südöstlichen) Seite dieses Zugangs schloss damals das Johanniskloster an den Grauen Hof an. Es kann sich also nur um das Eckgrundstück Grauer Hof/ Bakenstraße, heute Bakenstraße Nr. 28, gehandelt haben.
Lucanus kennt mehr als ein Jahrhundert aus der Geschichte dieses Hauses:147 Es gehörte um 1600 einem Georg Ludwig von Lochow und wurde in den 1630er Jahren eine zeitlang als Gottesdienstort der Johannisgemeinde verwendet. Während des Dreißigjährigen Krieges kam es in den Besitz des kaiserlichen Generalfeldmarschalls Gottfried Heister und gehörte danach dessen Söhnen Sibert und Hannibal Heister.
Abb. 8: Der „Judenplatz“ 1890
Abb. 9: Derselbe Platz 2008: Das 2. Haus von links, Bakenstr. 28, ein Neubau des 19. Jahrhunderts, steht an der Stelle des von Berend Lehmanns gekauften ‚Schachtischen Hauses’, das er allerdings nie in Besitz nehmen konnte.
„Die Heister haben dieses Haus und Hof im Januar 1691 an Heinrich Schricken, Bürger hieselbst, verkauft; wenig Jahr hernach ist es an den Obristen von Schacht und in neueren Zeiten an die in Halberstadt etablirte Französische Colonie gerahten; anno 1745 hat es der Cammer Cancellist Beck, der es käuflich an sich gebracht, von Grund aus neu gebaut.“ Es wurde im 19. und im 20. Jahrhundert von der Familie Baer bewohnt (Abb. 9). Das – heute, 2010, leider verwahrloste – Grundstück ist von erheblicher Größe; seine Tiefe