berühmte Halberstädter „Klaus“ vier Jahre später gegründet wurde.157 Am Ende der Verhandlung, die man mit ihm über die „Liquidation“ führt, wird ihm vorgehalten, er habe noch weiterbauen lassen, nachdem ein kurfürstlicher Baustopp bereits ausgesprochen war. Seine Begründung: Man habe nur noch „eine Stube oder Kammer mit Gibs [Gips] begossen, damit der Kalk nicht verderbe“.158
Er solle nun seinen Gesamtpreis nennen. Das tut er nicht. Er möchte vielmehr das kurfürstliche „Rescript“ in Kopie. Er bekommt aber nur die wichtigsten Absätze vorgelesen.
Wie die beiden nächsten Aktenstücke zeigen, will er sich diese Behandlung nicht gefallen lassen. Es findet nämlich seinetwegen ein diplomatischer Schriftwechsel zweier Potentaten statt. Friedrich August II., (jetzt auch König in Polen), August der Starke, beschwert sich bei Lehmanns Landesherrn, Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg:159 Man behandle seinen Residenten, dem doch als solchem weitgehende „freyheiten und prærogativen“* zustünden, wie einen gewöhnlichen „privat Juden“, indem man ihm sein genehmigtes, fast fertiges neugebautes Haus wegnehme. „Freundbrüderlich“ ersucht der Sachse den Brandenburger um die Revision der Beschlagnahme (vgl. Abb. 10–12 sowie Dok. 6).
Drei Wochen später trifft in Dresden eine abschlägige Antwort ein (vgl. Dok. 7):160 Dem Residenten könne der über den Schachtischen Hof geschlossene „Kauff contract [...]unmöglich gelaßen werden, ohne dem lande dadurch ein immerwehrendes gravamen [einen schweren Nachteil] zu verursachen[...] Was die von Ihm erkaufften Häuser gelanget, da haben Wir Ihm dieselben wohl gönnen wollen. Es haben aber unsere Halberstädtischen Landstände dawieder [...] erhebliche Vorstellung bey Uns gethan [Einwände erhoben]“.161
In den Akten findet sich allerdings nichts, was einen derart ausgeübten Druck bestätigen würde, nur die Tatsache, dass die Landstände bereit waren, den Hauskauf für die Hugenotten mit 2 000 Talern zu unterstützen. – Wie dem auch gewesen sein mag, „in dergleichen dingen“ (von Staatsinteresse) gebe ein solcher “caracter“ (die Würde eines „Residenten“) „keine prærogative“. Mit dieser Antwort gibt sich zwar August der Starke zufrieden, nicht aber Berend Lehmann. Er wird weitere drei Jahre um die beiden Häuser auf dem „Schachtischen Hoffe“ kämpfen.
Als man allerdings ein Dreivierteljahr später162 endgültig mit ihm verhandeln will, kann man ihn lange Zeit nicht persönlich antreffen (er ist als polnisch-sächsischer Heereslieferant im Nordischen Krieg unterwegs).163
Den Schachtischen Hof mit dem Altbau und dem Lehmannschen Neubau, worin eigentlich, wie jetzt auch die Halberstädtische Regierung weiß, „eine Juden Schule angeleget werden“ sollte,164 will man nun endgültig für 3 400 Taler kaufen und der Hugenottengemeinde zur Verfügung stellen, dabei glaubt man noch weitere 400 bis 500 Taler anlegen zu müssen, um es „zum besten der [französischen] Colonie“ fertigzustellen.
Im Januar 1701 berichtet der mit einer Untersuchung der Sache beauftragte Kammerrat Lüttkens, er habe den Residenten wieder nicht angetroffen (der Nordische Krieg zieht sich in die Länge!). Sein Schwager Isaak Joel sagt, Berend Lehmann würde wohl bereit sein, der Hugenottengemeinde 300 Taler „ad redimendam vexam“ (um den Ärger wiedergutzumachen) zu zahlen, wenn sie ihm das neue Haus wieder überließen. Lüttkens empfiehlt sogar dem König (Kurfürst Friedrich III. hat sich inzwischen zum „König in Preußen“ erklärt), dieses Angebot Lehmanns anzunehmen, „jedoch unter der Condition, keine Juden Schule noch Synagoge, weniger ein Seminarium darin anzulegen.“165
Dies ist das zweite Mal, dass die geplante Klaus erwähnt wird und dass die Angst der christlichen Umgebung zum Ausdruck kommt, hier könne womöglich widerchristlich agitiert werden und eine solche Institution könne noch mehr Juden nach Halberstadt ziehen. Der König ist mit der vorgeschlagenen Regelung einverstanden;166 umso erstaunlicher ist, dass fast zwei Jahre später die Sache immer noch nicht abgeschlossen ist.
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Abb. 10–12: Ein letzter Versuch Berend Lehmanns, durch Leistungen für die Allgemeinheit endlich den Besitz seines ‚Schachtischen Hauses’ zugestanden zu bekommen: Brief an den preußischen König vom 27. März 1703
Denn am 24.7.1703 schreibt Berend Lehmann einen ausführlichen Brief an den König (vgl. Abb. 10–12 und Dok. 8), in dem er um die Rückgabe der beiden Häuser auf dem „Schachtischen Hoffe“ bittet: Die Hugenottengemeinde (von ihm fälschlich die „Pfälzische Colonie“ genannt) habe das Schachtische Haus „wiederrechtlich in Poßeßion genommen“ und zwar „gegen Deponirung 1 400 Rthlr“ – das war der Wert, den er mehrfach für das neugebaute Haus angesetzt hatte.
Es wohnten auf dem „Hoff“ jetzt der Prediger der Gemeinde und ein Bierbrauer. Er, der Resident, habe auf diese Weise sein Haus verloren und sei noch nicht einmal dafür entschädigt worden. Wenn man es ihm zurückgebe und den Hugenotten ein anderes, zum Bierbrauen geeigneteres zur Verfügung stelle, sei er zu folgenden Leistungen auf seine Kosten für die Allgemeinheit bereit: „die von dem vor solchem Hause lauffenden Röhr* Waßer überschwemmete Gaße auf meine Kosten zu pflastern, das Röhr Waßer in einen großen steinern Kasten, sowoll zur Zierde der Stadt alß auch gemeinen Besten in Feuers-Gefahr einzuschließen, durch einen Canal das Saubere Waßer von der gantzen Stadt Mauer abführen zu laßen[...]“.167
Dieses Angebot zeigt einen ähnlichen Bürgersinn, wie er ihn gemäß dem Bericht Auerbachs168 dadurch bewiesen hatte, dass er nach einer Feuersbrunst im Jahre 1694 Geld beisteuerte, als die wiederaufgebauten Häuser mit Ziegeln statt mit Stroh gedeckt wurden. – Aber auch die weiteren Angebote in diesem Schreiben, nämlich den Hugenotten das Abbruchholz des Vorderhauses zur Verfügung stellen zu wollen und ihnen die Kosten zu erstatten, die sie selbst in das Haus gesteckt haben mochten, sowie die pünktliche Zahlung eines Erbenzinses* von jährlich 8 Reichstalern – alles das nützte nichts, trotz der Zustimmung des Königs zum Lüttkensschen Vorschlag zwei Jahre zuvor.
Leider fehlt in den Akten die Stellungnahme der Hugenotten zu seinem Schreiben. Sie müssen schon sehr schwerwiegende Argumente gehabt haben, denn am 15. September 1703 heißt es aus Berlin: „Weilen nun gedachten Juden prætension* ungegründet und die Commissarij solche in Relatione genugsam abgelehnet, So habt Ihr [die Halberstädtische Regierung] denselben mit seinem Suchen abzuweisen und die Colonie bey dem Haus oder Schachtischen Hoffe zu schützen.“
Damit endet der Aktenvorgang; und es scheint nicht so, dass der Resident die Häuser auf dem „Schachtischen Hoffe“ jemals bezogen hat; denn vier Jahre später wohnt der französische Prediger immer noch in diesem Anwesen. Aber das ist eine andere Geschichte, die hier später in dem Abschnitt „Das Gartenhaus“ behandelt wird.
Die Akten verraten auch nicht, ob Lehmann denn noch finanziell entschädigt wurde.
1745, also 15 Jahre nach Berend Lehmanns Tode, hatte sich die Situation übrigens völlig geändert. Die Hugenotten benutzten nicht mehr, gemeinsam mit den deutschen Reformierten, die Kapelle des nahen Petershofes, sondern sie hatten inzwischen ihr eigenes Gotteshaus, die „Franzosenkirche“ an der Woort, und der Stadthistoriker Lucanus berichtet:
„[Die französisch-reformierte] Colonie hat bei ihrem establissement [Gründung] von Seiner Königlichen Majestät