von Wulff ( W ) und Philipp Jost (ex dessen Vater Jost Levin) ( X ) liegen eindeutig auf der „Domdechaney Straße“, so also auch die Vorgänger-Synagoge hinter dem Haus ex-Meyer-Michael, von dem die Judenvorsteher berichten, „in das Wohnhauß hätte die Judenschafft einen ledigen Juden hineingesetzet, welcher etliche Kinder informirte, der nur Achtung auff das Hauß und den Tempel geben müßte, denn eß gingen viel Leute immer auß und ein, Eß müßte auch dieser Mensch den Tempel auff und zu schließen.“
Damit korrigiert sich die Angabe Monika Lüdemanns, die das Meyer-Michaelsche Haus als Vorgängerbau des Klaus-Nebengebäudes in den Rosenwinkel 18 verlegt.215
Die Vorgänger-Synagoge ( G ) scheint übrigens nicht unmittelbar auf demselben Platz gestanden zu haben wie die angeblich nur „extendirte“, in Wirklichkeit neugebaute Barock-Synagoge. Das ergibt sich aus einer flüchtig geschrieben Liste der Judenhäuser auf der „Domfreiheit“,216 die leider nicht datiert ist, die aber nach dem Neubau von ca. 1712 angelegt worden sein muss. Dort heißt es unter der Listennummer 15, „Joel Isaacs Erben“: „Meyer Salomon wohnt [unleserlich] in alten Tempel der Judenschafft zugehörig“; das heißt, mit dem Neubau wurde die Vorgänger-Synagoge nicht mehr sakral genutzt, sondern konnte – zumindest teilweise – für Wohnzwecke vermietet werden.
Eine mögliche Variante bietet der Reisebericht des Schriftstellers Goeckingk, der bei einem Besuch der Halberstädter Synagoge 1778 anmerkt:
„Gegen diesem großen Tempel über liegt noch ein kleinerer für die Armen und Bettler“.217
Das heißt, der alte Tempel ( G ) könnte doch noch oder wieder sakral benutzt worden sein.
Es könnte sich bei dem ex-Meyer-Michael-Haus ( S ) um das Grundstück Judenstraße 27 handeln; in dessen Garten hätte also die Vorgängersynagoge gestanden, während der heutige Zugang zum Synagogengrundstück (und zum Berend Lehmann Museum) Teil des Mikwenhauses, Nr. 26, ist.
Demnach müsste das Mikwenhaus an der Stelle des David Wulfschen Grundstücks ( W ) stehen. In der Judenhausliste von 1763 heißt es von dem sechsten der acht der Judenschaft gehörenden Häuser, es sei der zweite Eingang zum Tempel, und zwar der in der Judenstraße, und es habe früher teils Philipp Jost (später Judenstraße 28 [ X ]) und teils Wolf David ( W ) gehört,218 und von Wolf David heißt es, sein vom Vater David Wulff ererbtes Haus habe zwischen Levin Joels Haus (später Judenstraße 25 [ T ]) und dem Tempel gelegen.219
Offenbar hatte man 1763 vergessen, dass es schon immer zwischen David Wulff ( W ) und Philipp Jost ( X ) das der Judenschaft gehörende ex-Meyer-Michael-Haus gegeben hatte, dass diese beiden also nicht Teile ihres in der Tat benachbarten Besitzes abgeben mussten.
Das Ergebnis dieser Überlegungen ist in der Abbildung „Die vermutete Häuserfolge auf der westlichen Seite der Judenstraße“ festgehalten (Abb. 15–16).
Wenn man nicht annehmen will, dass es in diesem Hofbereich sogar zwei Vorgängersynagogen gegeben hat, dann ergibt sich ein momentan noch nicht aufzulösendes Lokalisierungsproblem: Die 1669 als Ersatz für das zerstörte Gotteshaus erbaute Fachwerk-Synagoge ( H ) befand sich „hinter Salome [recte: Salomon] Jonas undt Davidt Wolffen Wohnhause aufm Neuen Margckte“,220 Nach der Domkapitel-Häuserliste von 1699 befanden sich die Behausungen von David Wolffs Sohn Wolff David (heute Judenstraße 26 [ W ]) und von Salomon Jonas’ Schwiegersohn David Israel (heute Nr. 28 [ V ]), beide vom Vater/Schwiegervater geerbt, nur durch ein anderes Haus getrennt im Bereich des heutigen Berend-Lehmann-Museums. Das wäre eine Stelle, die etwa 10 bis 15 Meter weiter nördlich anzunehmen wäre (also zwischen W und X).
Abb. 14: Die Halberstädter Judenstraße 1930, Blick auf den Durchgang zur Bakenstraße. Links das heutige Berend-Lehmann-Museum.
Wie dem auch sei: Ganz gleich, ob es in den vergangenen 300 Jahren Änderungen in der Parzellierung gegeben haben mag oder nicht – aus der Betrachtung dieses Bereiches wird deutlich, dass Berend Lehmann, nachdem dies im Areal „Schacht“nicht möglich war, sein Gemeindezentrum im Bereich Judenstraße/Bakenstraße zu verwirklichen begann, wo bereits eine unauffällige Hinterhaus-Synagoge vorhanden war und wo seine Mitstreiter Wulff, Levin und Jost schon Grund besaßen, den sie teilweise zur Verfügung stellen konnten.
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Abb. 15 oben: Jüdischer Hausbesitz 1699. Ziffern hinter „No.“ sind die Nummern der Judenhäuserliste von 1699. Ziffern auf weißem Grund sind die Hausnummern von 1933.Die Häuserfolge von Judenstraße 29 bis Bakenstraße 63 ist durch Nachbarschaftsangaben gesichert; in Judenstraße 16–19 ist nur gesichert, dass Haus No. 13 gegenüber von 12 liegt; No. 3, 4 und 15 könnten auch rechts von No. 13 gelegen haben, allerdings in dieser Reihenfolge.
Abb. 16 oben: Alle auf dem Planausschnitt bezifferten Gebäude waren 1933 noch vorhanden, nach Krieg und DDR-Abriss existieren 2011 nur noch die dunkel getönten.
93 Vgl. Backhaus, Fritz: Die Juden im Bistum Halberstadt, in: Siebrecht, Adolf (Hg.) Geschichte und Kultur des Bistums Halberstadt. 804–1648. Symposium anlässlich 1200 Jahre Bistumsgründung Halberstadt, 24.–28.3.2004. Protokollband, Halberstadt 2006, S. 505–513.
94 Lucanus, Notitia, Bd. I, S. 757. Die beiden umfangreichen Foliobände des Notitia-Manuskripts sind eine wertvolle Quelle für die Geschichte der Stadt Halberstadt, speziell für ihren Zustand während der Lebenszeit ihres Verfassers. Es ist höchst bedauerlich, dass sie nicht längst publiziert worden sind. Das Kapitel über die Halberstädter Juden ist eine wichtige Ergänzung zu der bisher einzigen, inzwischen überholten Darstellung des jüdischen Halberstadt, der Geschichte der israelitischen Gemeinde Halberstadt des Rabbiners Auerbach von 1866. Bemerkenswert ist es vor allem wegen der Sympathie, mit der Lucanus die Juden betrachtet, weshalb er die auf ihnen lastenden Abgaben genauestens notiert. Natürlich wird dennoch auch bei ihm die damals landläufige Angst vor zu großem Wachstum der jüdischen Bevölkerung spürbar, etwa wenn er ein Kapitel überschreibt: „Die Juden breiten sich in Halberstadt sehr aus.“
95 Stern, Staat, Bd. II,2, S. 260, Dokument Nr. 197.
96 Nach der „Generaltabelle derer im Fürstentum Halberstadt [...] befindlichen Judenfamilien 1737“, ebd., Bd. II/2, S. 597–637, Dokument Nr. 490.
97 Reskript des Großen Kurfürsten an die Geheimen Räte vom 8./18.12.1672, gedruckt in Stern, Staat, Bd. I,2, S. 31 (Dokument Nr. 24).
98 So gesehen von Lucanus, Notitia, §3.
99 Stern, Staat, Bd. I,2, S. 336, Dokument Nr. 355.
100 Vgl. Stern, Staat, Bd. 2,1, S. 144ff., wo auch die späteren drastischen Beschränkungen der Ansetzung geschildert werden.
101 Freudenthal,