gewesenen Vormund“ mit dem vom verstorbenen Vater Isaac Joels hinterlassenen Geld „neu aufgebauet worden“. Der jugendliche Verkäufer wird von Lehmanns Nachlassverwalter Aaron Emanuel vertreten.
Dank den Nachforschungen von Reiner Krziskewitz, Bernburg, kann man als Vater des Verkäufers Lehmanns Schwager Isaak Joel ausschließen: Seine Frau Rachel ist bereits 1708 Witwe, seine fünf Kinder sind 1732 keinesfalls mehr minderjährig. Bei dem früh verstorbenen Vater des Verkäufers könnte es sich sowohl um Levin Isaak Joel wie um dessen Bruder, Salomon Isaak Joel, handeln.201 Berend Lehmann hat hier wahrscheinlich treuhänderisch für einen Großneffen seiner ersten Frau gehandelt.
Interessant ist auch hier wieder seine offensichtliche Freude am Planen und Neubauen.
Zwei Jahre nach des Residenten Tod wird in demselben Dokument des Domkapitels Berends ältester Sohn, Lehmann Behrend (der Dresdner), als Besitzer des Nebenhauses ( Q ) genannt. Nach dem Kaufbrief Nr. 11 erwirbt es 1736 mit dem höchsten Gebot einer „Subhastation“* der Schutzjude Jacob Nathan Meier als „des debitoris [Schuldners Berend Lehmann] kleines Haus nebst Zubehör, welches in der Juden Gaße zwischen Joseph Samuel und Aaron Abrahams Häusern innen [dazwischen] belegen“.202 Der Kaufpreis von 1 215 Talern geht nach einem langwierigen Prozess mit anderen Gläubigern Berend Lehmanns an den Geheimrat Thomas Ludolf von Campen,203 bei dem der Nachlass des Residenten mit 5 000 Talern verschuldet ist.
Dass Berend Lehmann mindestens noch zwei weitere Häuser und einen Garten in der Judenstraße besessen hat, ergibt sich aus einem Rechtsstreit,204 den 1734/1735 der Judenvorsteher Aaron Emanuel, ein Schwager Lehmanns,205 auszufechten hat.
Damals waren aus dem Nachlass neben dem „kleinen Haus“ ( Q ) zwei weitere Immobilien an Aaron Emanuel als den Meistbietenden verkauft worden: Die eine war das „größte Lehmannische Haus“, nämlich das Studierhaus, die Klaus ( J ); sie befand sich zu dieser Zeit noch nicht im Rosenwinkel, dem heutigen Sitz der Moses Mendelssohn Akademie ( K ).206 Gemessen an dem stolzen Kaufpreis von 2 425 Talern muss das Gebäude eine beträchtliche Größe gehabt haben.
Seine Lage erklärt sich durch die zweite Immobilie, einen Garten samt Gartenhaus ( R ), den Aaron Emanuel für 810 Taler ersteht. Von diesem Garten heißt es in einem Brief Aaron Emanuels an den preußischen König (s. Dok. 25) „daß der Jüdische Tempel und die anderen Lehmannischen Häußer solchen gäntzlich umschließen, so, daß der Eingang in den Garten bey dem Tempel vorbey durch die Lehmannische Häußer genommen werden muß, mithin also niemand den Garthen betreten oder genießen kann, wenn er nicht das Dominium [das Hausrecht] an dem Lehmannischen Studier-Hauße hat.[...] So ist der Jüdische Tempel mit seinen Fenstern an einer Seite an solchem Garthen ohne Zwischenraum gelegen, und würden die [...] Sacra [die gottesdienstlichen Handlungen] gar leicht turbiret [gestört] werden, wenn ein anderer als von unsern Leuthen so thanen Garthen besitzen sollte.“ (Vgl. Abb. 15 u. 16)
Aaron Emanuel wiederholt und variiert diese Angabe zusätzlich in einer „Anlage J“:
„[...D]er Garten [ist] dem gerade vor selbigen liegenden Tempel appendiciret [an ihn angebunden], und ein pertinentz-Stück desselben, es geht nicht einmahl ein besonderer Eingang in den Garten, kann auch nicht genommen werden, außer durch die Lehmannischen Häußer[...]. Außer [anders als mit] den Lehmannischen Häusern und dem Tempel als das principale [der Hauptsache], ist das Accessorium [Zubehör] des Garten nicht zu concipiren [vorzustellen], jene [die Häuser] bleiben den Erben, und [der Tempel verbleibt] der Judenschafft, kann also auch dieser davon nicht separiret werden.“
Mit dem „Tempel“ kann 1734 nur die von Lehmann finanzierte große, neue Synagoge ( I ) gemeint gewesen sein, die etwa 1712 vollendet wurde und bis zur Zerstörung in der Folge der Pogromnacht vom 9. November 1938 zwischen Judenstraße 26/27 und Bakenstraße 56 gestanden hat (vgl. Abb. 75/76).
Da mehrmals im Plural von den „Lehmannischen Häusern“ die Rede ist, muss es neben der Klaus noch mindestens ein weiteres Haus in unmittelbarer Nähe der Synagoge gegeben haben. Es könnte sich dabei um das in dem zwischen Klaus und Synagoge gelegenen Garten befindliche Gartenhaus ( R ) gehandelt haben. Das würde bedeuten, dass man nur durch die Klaus und das sich an sie anschließende Gartenhaus in den Garten kommen konnte. Es könnte aber auch noch ein weiteres, in den Akten nicht greifbares Haus im Synagogen-Klaus-Komplex gegeben hat, das Berend Lehmann gehörte. Aktenkundig wird die Angelegenheit dadurch, dass Aaron Emanuel einen Mitbewerber hat: Ein Regierungsrat Weferling macht ihm den Garten streitig. Er hat zwar weniger geboten, behauptet aber, zur Versteigerung stehender jüdischer Grundbesitz müsse wieder in christliche Hände zurückfallen, selbst wenn der christliche Bewerber weniger biete als ein mitbietender Jude.
Emanuel bekommt letzten Endes Recht, der Garten geht an ihn für die jüdische Gemeinde. Das Studierhaus ( J ) hat er nach seiner Angabe für Cosman Lehmann Berend, den jüngsten Sohn des Residenten, erworben, der gerade in Hannover reich geheiratet hat.207
Cosman erscheint allerdings nicht auf den späteren Halberstädter Judenlisten, so dass man bezweifeln muss, dass er jemals wieder in Halberstadt gewohnt hat.
Eine Vorgängersynagoge zwischen Juden- und Bakenstraße
Es ist auffällig, dass sich in den umfangreichen preußischen Judenakten für den Bau der berühmten Barocksynagoge weder ein Antrag, noch eine Genehmigung findet. Allerdings gibt es eine Bittschrift der Halberstädter Judenvorsteher vom 14. März 1711: „Ist auch an dehm, daß Unsere von Ew. Königl. Majestät privilegirte, und hinter Unsern Häusern belegene Synagoge, unß in etwas zu enge gebauet ist, und, da selbige ohn jemandes præjuditz* mit einigen Fachen von Unsern Höffen gar wohl erweitert werden kann, selbiges aber ohne allergnädigsten Consens nicht geschehen darff; Alß bitten wir allerunterthänigst, solches Allergnädigst zu Vergönnen“.208
Der König erteilt daraufhin am 20. April 1711 die Erlaubnis, „daß die Synagoge auf soweit als die Anzahl derer Juden zu Halberstadt es erfordert, ohne einiges Menschen Schaden und præjuditz extendiret werde.“209 Es müsste also davor an gleicher Stelle bereits ein derart benanntes und genutztes Sakralgebäude gestanden haben,210 und geschickterweise hat Berend Lehmann als einer der Judenvorsteher und als Finanzier des prächtigen Neubaus ( I ) offenbar nur die harmlos erscheinende „Extendirung“ beantragt.
Bei Ausgrabungsarbeiten, welche die Technische Universität Braunschweig im Jahre 2006 an der Stelle der 1938 abgerissenen Synagoge durchführte, ergaben sich zwar keine Hinweise auf einen Vorgängerbau;211 aber die Liste der Judenhäuser in der Jurisdiktion des Halberstädter Domkapitels212 aus dem Jahr 1699, also über ein Jahrzehnt vor dem Neubau, nennt in der Judenstraße („auch Domdechaneystraße genandt“) mehrfach „den Tempel“213 und macht einige interessante Angaben über ihn.214
Über das Haus mit der Listennummer 18 wird dort vermerkt:
„Eodem producirt David Wolff Meyer Michaels Erbenhauß brieff de dato den 20. Aug. 1680, worinnen ihm [...] ein hauß nebst dem Garten zwischen Jost Levin und Ihme, David Wulffen, innen belegen [...] verschrieben worden [...] Auch berichtet bemelter [schon erwähnter] David Wulff daß vorgenandter Meyer Michael, itzo zu Hamburg wohnend, denen Vorstehern