Berliner Regierung befiehlt ihrer Filiale, der Halberstädtischen Regierung auf dem Petershof, im Februar und, als diese zögert, noch einmal im September 1697, den Kauf zuzulassen. Dabei berücksichtigt sie, dass er „zur Beförderung der gemein [für die Allgemeinheit] nützlichen Wasserleitung [...] ein Erbiethen thut“ und „außerdem 200 Thaler zur Beförderung eines [weiteren?] gemein nützlichen Wercks offerirt.“148
Berend Lehmann hat inzwischen längst ein fait accompli geschaffen und, ohne die ausdrückliche Entscheidung der unteren Behörde abzuwarten, bereits im März für 1 150 Reichstaler von dem Oberst
Friedrich Levin von Schacht, den „Schachtischen Hof“ samt Haus erworben. Erst ein und ein Dreivierteljahr später bekommt Lehmann die offizielle Erlaubnis dafür. Mit Schreiben vom 13.12.1698 befiehlt Kurfürst Friedrich III. der „Halberstädtischen Regierung“ noch einmal ausdrücklich, sie möge dem Residenten ausnahmsweise den Erwerb „des Schachtischen oder eines anderen Hauses“ ermöglichen.
Eine Ausnahme war das insofern, als grundsätzlich bereits seit dem 28. März des Vorjahres galt, dass „Wir verbothen haben, daß die Juden zu Halberstadt keine Häuser aldort ankauffen mögten“.149 Berend Lehmann erhielt das Sonderrecht, nachdem sich auch sein Gönner, der sächsische Kurfürst Friedrich August I., „August der Starke“ für ihn eingesetzt hatte („weil [...] der Supplicant vom Könige in Pohlen den caracter eines Residenten empfangen [...], so kann derselbe nicht mit unter diejenige, welche das Verbott betrifft, gerechnet werden“).150
Der Resident müsse aber sein derzeitiges Haus unbedingt an einen Christen verkaufen (die übliche Vorsichtsmaßnahme, damit nicht andere Juden indirekt neue Hausbesitzer werden konnten). – Leider erfährt man nicht, wo dieses damalige Lehmannsche Haus lag. Es dürfte nach der Darstellung im vorigen Abschnitt das „Hauß am waßer“, Bakenstraße 37 links ( A ) gewesen sein.
Als der Oberst von Schacht im Jahre 1698 verstarb, hinterließ er hohe Schulden. Berend Lehmann hat später mehrfach berichtet, er habe das auf dem Grundstück stehende Haus „bey entstandenen concursu Creditorum“*151 gekauft; das kann nur bedeuten, dass Schacht schon 1697 in Konkurs geraten war, als Lehmann den Kauf tätigte.
Beziehen kann er es nicht, denn die Schacht-Töchter weigern sich erfolgreich auszuziehen. Gleichzeitig regen sie an, das Haus möge doch vom König den „Refugirten“, das heißt, den französisch-reformierten Hugenotten*, zur Verfügung gestellt werden.
Lehmann lässt aber, wie ein aus Berlin angeforderter Bericht des Halberstädter Obersteuerdirektors Friedrich Christoph von Münchhausen vom Mai 1699 zeigt,152 auf dem Grundstück bereits ein Hinterhaus neu bauen ( E ). Der Bericht erwähnt interessanterweise auch eine dem Schachtischen Hause nahe Synagoge, ein Gebäude, das offenbar ausschließlich als Gottesdienst- und Lehrort genutzt wurde ( G ).
Eine Bemerkung zu dieser Synagoge:
Es ist in der bisherigen Literatur nur von zwei öffentlichen Synagogen die Rede, die in der Geschichte der Halberstädter Juden existiert haben sollen. Eine im älteren Judenquartier an der Göddenstraße sei 1669 im Auftrag der Stände abgerissen worden; sie befand sich in Wirklichkeit, wie hier in dem Abschnitt „Wohnquartiere und Wohnverhältnisse...“ dargestellt, in der Judenstraße, die illegale Demolierung hat in der Tat dort stattgefunden. Die zweite war die große Barocksynagoge, die von etwa 1709 bis 1712 zwischen Bakenstraße und Judenstraße erbaut und 1938 auf Betreiben der Nationalsozialisten abgerissen wurde ( I ).
Daneben kannte man, drittens, eine Privatsynagoge der Gelehrten, die in der Thora-Talmud-Hochschule, der „Klaus“, unterrichteten, im Rosenwinkel 18, dem heutigen Sitz der Moses Mendelssohn Akademie ( K ).
Für die angeblich synagogenlose Zeit zwischen 1669 und 1712 wurden bisher stets nur private Betstuben angenommen,153 obwohl die Größe der Halberstädter jüdischen Gemeinde (1698: 698 Personen) zu Zweifeln an dieser Annahme hätte Anlass geben müssen.
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird sich zeigen, dass es sogar noch eine zweite Vorgängersynagoge gegeben hat.
Zurück zum Bericht Münchhausens über die Situation um den „Schachtischen Hoff“:
Aus ihm wird klar, dass in Bezug auf das Haus inzwischen eine für Berend Lehmann ungünstige Wende eingetreten ist: Die Regierung des Kurfürsten will es in der Tat in einen Häuserkomplex einbeziehen, der der „Frantzösischen Colonie“ zur Verfügung gestellt werden soll.
Damit wird eine in demselben Archivbestand wiedergegebene Special Resolution des reformierten Kurfürsten154 in die Tat umgesetzt, dass nämlich diejenigen evangelisch-reformierten und lutherischen Flüchtlinge, „welche der Religion halber anderswo nicht bleiben können“, im Kurfürstentum Brandenburg spezielle Unterstützung beim Hausbau und Hauserwerb genießen sollen.
Mit finanzieller Beihilfe der „Halberstädtischen Landstände“* soll nun das Schachtsche Haus (in Wirklichkeit zwei Häuser: vorn das alte Wohnhaus [ D ] und hinten der Lehmannsche Neubau [ E ]) mit dem „Grauen Hof“ verbunden werden, den man dem Kloster Michaelstein für 1 600 bis 2 000 Taler abzukaufen hofft155 (Vgl. Abb. 9). Dem Residenten wird verboten, den Neubau zu Ende zu führen, er soll Rechnung legen, und dann will man ihn entschädigen, und zwar in folgender Weise:
„Actum Halberstadt, den 26. Maji 1699.Ist mit dem Königlichen Polnischen Residenten, dem Juden Lehman, liquidation Zugeleget, wegen des Schachtischen Hoffes und der gebaueten Zwey Häuser und mittels Kauff Brieffes vom 15. Martij 1697. Damit daß1mo.Dieser Hoff mit aller Zubeherung bezahlet mit1150.Rthlr2.hat der Käuffer vom Herrn von Schachten einen Plaz darzu gekauffet, und solchen dem vorgeben nach bezahlet mit - - -70.- „ -so noch bescheiniget werden muß___________________________1220.Rthlr [.........]3.ist das Vordere Haus laut der am 5.Maji geschehenen taxe angeschlagen zu bey welcher Taxe der Jude acquiesciren will, weil dieses Haus sein eigen*- 678-10- „ -4.Das hintere oder Neue Haus ist taxiret aufMit dieser Taxe ist der Jude nicht Zufrieden, sondern giebt vor, daß seine Frau dero behuf über 1800 Rthlr hineingesteckt, es wären als an einem Lehrhause auch andere Leute beteiligt.1141-13-Sa 3039Rthlr. 23gr “ |
* Lehmann will sich mit der Taxierung zufriedengeben. „Eigen” im Gegensatz zum Hinterhaus, vgl. den übernächsten Abschnitt.
Diese „Liquidation“ (Abrechnung) ist wohl wie folgt zu interpretieren:
Für das Grundstück hat er 1 150 Taler bezahlt. Im Vergleich zu den Häusern auf dem Grauen Hof, deren Kaufpreis in der Häuserliste von 1699 meist mit unter 500 Talern notiert wird, muss es sich um ein ziemlich großes Areal gehandelt haben, das dann Platz für einen ansehnlichen Neubau bot. Der Oberst hat ihm außerdem noch einen „Plaz“, also wohl ein weiteres Teilgrundstück, verkauft. Nach der bescheidenen Kaufsumme von 70 Talern kann dies allerdings nicht sehr groß gewesen sein. Unklar ist, weshalb es nicht von vornherein zum Schachtschen „Hoff“ dazugehört.
Für das Vorderhaus, das zu diesem Zeitpunkt die Töchter Schacht bewohnen, liegt der Taxwert vergleichsweise hoch, obwohl es sich in keinem gutem Zustand befunden haben kann, denn, wie sich später herausstellt,156 will er es abreißen und neu bauen lassen. So muß sich der Wert allein von seiner erheblichen Größe her bemessen.
Das Hinterhaus ist als Neubau fast fertig; und man bekommt hier einmal Frau Miriam Lehmann, geborene Joel, in den Blick, die offensichtlich in des Residenten Abwesenheit die wichtige Aufgabe der Bauaufsicht hat und die in eigener Verantwortung Geld ausgeben darf.
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