befinden die beiden Räte nach erneuter Ortsbesichtigung, (vgl. Dok. 15), es handele sich zunächst einmal nicht um einen Neubau, wie er Juden zu jener Zeit verboten war, sondern nur um die Ersetzung eines vorhandenen Gebäudes. – Lehmann habe auch nicht einmal, wie er normalerweise gedurft hätte, die Trennmauer zwischen seinem und des Predigers Grundstück, die ihm gehört, als eine Wand seines Gartenhauses benutzt, sondern eine neue Wand aufführen lassen. Die „Contradiction“ des Predigers habe in diesem Punkt „keinen Grund“.
Regen könne das Haus nur dann abhalten, wenn er „aus Mitternacht“ käme (also von Norden, eine für Halberstadt ungewöhnliche Wetterlage); die Gefahr der Überwindung der Stadtmauer sei nicht größer als bei vielen anderen Halberstädter Häusern. Die Distanz Fenster – Mauer betrage auch immerhin 6 Ellen (mindestens 3,60 Meter); vor der Mauer lägen ja auch noch der Stadtgraben und ein Teich. Also auch hier kann der Prediger nicht punkten.
Über Herbst und Winter hört man nichts von der Sache. Im Februar 1709 bohrt der Resident noch einmal nach: Man möge ihm doch endlich erlauben, das Gartenhaus zu Ende zu bauen. Er wolle es auch gar nicht, wie behauptet, als „Lusthaus“ benutzen, sondern nur als Schutzraum für seine Gewächse. Die Gutachter hätten sich doch von seiner Ordnungsmäßigkeit überzeugt, und dem Hugenotten wolle er insofern entgegenkommen, als er den Dachüberstand verringern und damit die Traufe „in etwas einziehen“ werde. Auf die entsprechende Anfrage aus Berlin übermittelt Halberstadt nun endlich den Bericht (vgl. Dok. 16),188 und Ende März berichtet die Halberstädter Verwaltung nach Berlin (vgl. Dok. 17), nach erneuter Inaugenscheinnahme sei in Bezug auf Berend Lehmanns Gartenhaus nun „nichts mehr zu erinnern*“.189
Dass es hier zu einer Konfrontation eines Juden mit einem Reformierten gekommen war, lag sicherlich nicht an einem Ressentiment Lehmanns gegenüber den Reformierten. Wurde ihm doch von seinem wichtigsten reformierten Zeitgenossen in Preußen, dem Hofprediger Daniel Ernst Jablonsky bescheingt, dass er sich als „Principal-Person“ der polnischen Herrschaft Lissa (Leszno), die ihm eine Zeit lang als Pfand gehörte, in besonderer Weise für die dort vom Katholizismus bedrängten Reformierten eingesetzt habe.190
Ein Jahr nach Lehmanns Tod heißt es in einem Bericht an die Berliner Regierung, Lehmanns nachgelassenes Vermögen bestehe aus „dreyen Häusern, einem Garten, einer Orangerie und einigen meubles“191. Die drei Häuser dürften „Klein Venedig“ ( A ), das 1734 an Nathan Meyer verkaufte „kleine Haus“ in der Judenstraße ( Q ) und die Ur-Klaus nahe der Synagoge ( J ) gewesen sein (s. darüber den folgenden Abschnitt), die „Orangerie“ wahrscheinlich nicht mehr das vom Prediger inkriminierte Gartenhaus, sondern ein ähnliches Gebäude im Garten der Ur-Klaus ( R ).
Auf jeden Fall zeigt die Sorge um seine Pflanzen , dass der Resident – vielleicht in Nachahmung seiner adligen Auftraggeber – ein Liebhaber besonderer Gewächse gewesen ist.
Rechts (nördlich) schließt an den Komplex Schacht/Heister/Pott das Grundstück Rosenwinkel 18 an, heute Sitz der Moses Mendelssohn Akademie ( K ). Dass hier zu Lehmanns Lebzeiten noch nicht die Klaus untergebracht war, wird im nächsten Abschnitt erläutert.
Vielmehr stand hier möglicherweise zunächst das jüdische Spital, von dem es 1699 heißt: „Der Klopfer Isaac wohnet im Rosenwinkel in Daniel Spielmanns Hause, so die Judenschafft neu erbauet für die Krancken, wovon der KauffBrieff nicht produciret [vorgezeigt] worden.192 NB: Berndt Lehmann soll diesen KauffBrieff in der Lade haben, und das Haus von Michael Joseph erkaufft [haben] [...]“.193
Mehrere Immobilien im Bereich Judenstraße / Neuer Markt
Im frühen 18. Jahrhundert gehörten zur Domfreiheit mindestens elf von Juden bewohnte Häuser im Bereich der heutigen Judenstraße. Im weiteren Sinne rechnete zur Judenstraße (eigentlich „Dom-Dechaney-Straße“, später auch „Tempel-Gaße“) eine östlich abzweigende Ausbuchtung, der Neue Markt (heute Freifläche rechts vom wiederaufgerichteten Eingangstürbogen des so genannten Berend-Lehmann-Palais). Manchmal wurde der Name „Neuer Markt“ pars pro toto auch als Oberbegriff für die eigentliche Straße samt ihrer Ausbuchtung verwendet (vgl. Abb. 22).194
Im Handelsbuch des Domkapitels* Halberstadt im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg findet sich als Kopie ein „Kaufbrief pró Berend Lehman, Polnischen Residenten, über 2 Heußer in der Judenstraße“ vom 11. November 1706.195 Demnach kauft Berend Lehmann „von seinem Schwager Levin Joel, vergleiteten Juden und Handelsmann hieselbst, deßen in der Judenstraßen allhier auff dem neuen Marckt, und zwar auff der domcapitularischen Freyheit belegenes altes Häußgen,[...] auch den danebst gelegenen wüsten Garten Platz von sechs Fächern“ ; die „sechs Fächer“ dürften die Breite des Hauses an der Straßenfront bezeichnen: 6 Abstände von Fachwerkständer zu Fachwerkständer, immerhin ca. 6 Meter.196
Es muß sich um eines der beiden nach der Häuserliste von 1699197 in Levin Joels Besitz befindlichen Häuser ( N ) und einen benachbarten Garten ( O ) auf der Freiheit des Domkapitels handeln.
Der „Resident“ ist gewillt, so heißt es weiter, „solches alte Häußgen aber umzuwerfen und an dessen und auch erwehnter wüster Stelle zwey Häußer von neuen zu bauen.“ In Anbetracht der Tatsache, „daß ihn diese von Grund aufzubauenden Häuser kein geringes kosten“ werden, bekommt er zusammen mit der Baugenehmigung des Domkapitels einen günstigen Erbenzinsvertrag. Dabei spielt es offenbar für das genehmigende Domkapitel keine Rolle, dass er bereits ein Haus (Bakenstraße 37, und zwar zu dieser Zeit links bewohnt, rechts im Bau [ A und B ]) besitzt, möglicherweise sogar zwei (dazu noch das Pottische ( M ), falls nicht bereits wieder verkauft).
Er hat sich vorsichtshalber von dem Baumeister Wichmann nach erfolgter Besichtigung eine „relation“ geben lassen „daß solches alte Hauß nichts nütze“ und dass man unter Hinzunahme des „wüsten Garten Platzes“ in der Tat „zwey förmliche [normale] Häuser“ darauf bauen könne.
Allerdings bekommt er die Auflage, dass die neuen Häuser „so weit eingerückt wären, daß zwey Wagen beyeinander paßiren könen“. In der Tat verengte sich – nach Ausweis des einzig maßstabgerechten Halberstädter Stadtplans, veröffentlicht 1933 – die Judenstraße etwa auf der Höhe des heutigen Berend Lehmann Museums beträchtlich, und diesem gegenüber dürfte das neue Lehmannsche Haus gestanden haben (Vgl. Abb. 14).198 Die Erbpacht* gilt auf 99 Jahre und kostet pro Haus jährlich einen Taler Erbenzins.
Als Bewohner dieses Hauses in der Judenstraße kommt Berends Bruder Emanuel Lehmann in Frage, dessen Name sich auf der Judenliste von 1699 findet und der als „Mendel“ (jiddisch für hebräisch Menachem) auch in einem Bericht des Berend-Lehmann-Schwiegersohnes Isaak Behrens als in Halberstadt wohnend erwähnt wird.199
In einem anderen Magdeburger Aktenbestand, den Acta privata Eines Hochwürdigen DomCapituls betr. die Kaufbriefe über die Juden Häuser (1680−1795),200 kommt der Name Lehmann zweimal vor:
Nach dem Kaufbrief unter Nr. 9 verkauft unter dem 21. August 1732 der Schutzjude Isaac Joel an Aaron Abraham sein „alhier in der Juden Straße zwischen denen [Häusern der] Schutz Juden Abraham Isaac und Lehmann Berendt innen [dazwischen] belegenes Wohnhaus nebst dazugehörigem Hofraum, Stallungen