Marvin Roth

Hanky und der Mächtige


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Maschinen. Dazu kam ein unvorstellbarer Gestank nach Blut, Kot und Erbrochenem, der ihnen wie eine giftige Wolke entgegenströmte. Sheriff Ward hielt sich eine Hand vor den Mund, um seinen Brechreiz zu unterdrücken, und betrat den Raum. Dieser entpuppte sich als Krankensaal mit enormer Ausdehnung. Hier standen bestimmt dreihundert Betten, und auf fast jedem lag ein nackter Mensch.

      »Was ist das hier?«, keuchte ein Deputy, der direkt hinter Sheriff Ward stand.

      »Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete der Sheriff. »Aber es ist schrecklich, und was dies hier auch zu bedeuten hat, wir werden es beenden.« Damit griff er zu dem Mikrofon, das an der Schulter seiner Uniform befestigt war, drückte auf den Sendeknopf und sagte: »Zentrale, hier SheriffWard. Alarmieren Sie sofort die Staatspolizei. Schicken Sie so viele Leute her wie nur möglich, und zwar sofort. Wir benötigen hier Hilfe. Ich brauche Krankenwagen, Ärzte und Pflegepersonal. Machen Sie schnell.«

      Er wartete nicht auf Antwort, sondern beorderte seine Männer in den Saal. Forschend schauten die Polizisten durch den Raum, auf der Suche nach einem Verantwortlichen.

      Diesmal war es Bob, der richtig reagierte. Gerade als die Tür zum Saal aufgestoßen wurde, schaute er in diese Richtung. Erschrocken sah er, wie die Polizisten den Raum betraten, und duckte sich instinktiv hinter ein Bett. Frank, nur einige Schritte entfernt, beugte sich gerade über einen schreienden Spender und versuchte, ihm eine Beruhigungsspritze zu verabreichen. Auf allen vieren krabbelte Bob zu ihm und zog ihn am Hosenbein. Mürrisch schaute Frank nach unten, wohl überzeugt, einen weiteren Spender zu erblicken. Stattdessen kniete Bob vor ihm, und er überlegte erstaunt, was diese Verrücktheit wohl zu bedeuten hätte. Doch noch eher er seinen Gedanken zu Ende denken oder Bob fragen konnte, was er denn auf dem Boden suchte, sagte der gepresst nur ein Wort: »Polizei!« Gleichzeitig zerrte er Frank nach unten. Dass er flüsterte, war angesichts des hundertfachen Geschreis der erwachten Spender völlig unnötig.

      »Wir sind aufgeflogen, Frank. Soeben ist die Polizei aufgetaucht. Die Cops stehen noch am Eingang, und wir können nicht raus. Was sollen wir nur machen?«

      Frank richtete sich ein wenig auf und schaute zur Saaltür. Tatsächlich, da standen Uniformierte, die sich ratlos umschauten. Frank war sicher, dass die Polizisten nicht lange brauchen würden, um die Lage einzuschätzen. Dann folgte mit Sicherheit eine erste Durchsuchung des Saals, bei der Bob und er entdeckt und anschließend verhaftet wurden. Nein, er wollte nicht in Handschellen zum nächsten Gefängnis verfrachtet werden, und schon gar nicht wollte er erklären, was er hier getan hatte. Das würde sein Todesurteil bedeuten. Nicht von staatlicher Stelle, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit - die Odin Force würde ihn zum Schweigen bringen.

      Fluchend ließ er sich wieder auf den Boden sinken und ignorierte Bobs fragenden, erwartungsvollen Blick. Auf einmal hatte er die rettende Idee. Wer außer ihnen wusste denn, wie viele Spender im Raum waren? Ja, das war die Lösung, der Ausweg aus dem Schlamassel. Sie mussten sich als Spender ausgeben. Im folgenden Durcheinander würde sich schon eine Möglichkeit zur Flucht ergeben. Also eins nach dem anderen. »Zieh dich aus«, herrschte er Bob an, der natürlich überhaupt nichts verstand und ihn blöd anglotzte.

      »Du sollst dich verdammt noch mal ausziehen. Wir müssen uns unter die Spender mischen, um hier rauszukommen! Verstehst du?«

      Bob verstand zwar nicht alles, aber er gehorchte und entledigte sich seiner Kleider. Frank war schon nackt und beschmierte sich mit dem überall auf dem Boden verteilten Gemisch aus Blut, Dreck und Kot. Dann kramte er einen Kugelschreiber aus seiner zusammengeknüllten Kleidung. Fest drückte er ihn gegen die Stirn, um dann mit der freien Hand heftig auf das Ende des Schreibers zu schlagen. Die Mine durchstieß die Haut, und ein kleiner Blutfaden suchte seinen Weg nach unten. Danach richtete er den Kugelschreiber auf Bob, der langsam begriff, was Frank plante. Nackt, mit Stirnwunde und beschmutzten Leibern konnten die Cops sie nicht mehr von den Spendern unterscheiden. Sie brauchten nur ihre Rolle spielen, um zu entkommen.

      Frank verteilte ihre Kleidungstücke unter verschiedenen Matratzen und zog dann einen Spender vom Bett auf den Boden. Danach vergewisserte er sich, dass keiner der Polizisten in seine Richtung schaute, und legte sich rasch auf das Bett. Sofort begann er mit Armen und Beinen herumzuzappeln und jämmerlich zu schreien.

      Kapitel 6

      New York City

      Nachdem Hanky das Gelesene zumindest vordergründig verdaut hatte, beschloss er zu handeln. Richard und Walt waren gemeinsam zu dem Entschluss gekommen, Hanky in jeder nur erdenklichen Weise zur Seite zu stehen. Auch Richards Frau Rita war informiert und trotz großer Bedenken einverstanden, dass ihr Ehemann sich an diesen Ermittlungen beteiligte. Allerdings machte sie zur Bedingung, dass sie mit von der Partie war. Nach einigem Hin und Her einigten sie sich, und Rita bekam die Aufgabe, alle organisatorischen Fragen zu regeln. Ihre provisorische Einsatzzentrale war Hankys Büro. Sie war einverstanden, und so saßen schließlich alle zusammen, um das eigentliche Problem zu besprechen.

      Hanky räusperte sich. »Liebe Freunde«, begann er und schaute jeden eindringlich an, um dann fortzufahren: »Zuerst muss ich mich bei euch bedanken, dass ihr ohne Vorbehalt bereit seid, mir bei dieser scheußlichen Geschichte zur Seite zu stehen. Wir haben eine Aufgabe vor uns, die sich von allem unterscheidet, was wir bisher zusammen erlebt haben. Schon die Jagd nach dem Ding, dem Alien, hat uns die Grenzen unserer Belastbarkeit vor Augen geführt. Ich bin heute noch sehr froh darüber, dass uns das Schicksal davor bewahrt hat, ernsthaft Schaden zu nehmen.« Um seine Worte wirken zu lassen, machte er eine kurze Pause. Er sah in entschlossene Gesichter und verspürte Stolz und Dankbarkeit, solche Freunde zu haben.

      Bevor er weitersprach, schaute er noch einmal auf seine eilig angefertigten Notizen. »Zuerst zu den Fakten. Was wissen wir? Es gibt eine Gruppe von Leuten, eine Organisation, die über Verbindungen zu höchsten Regierungsstellen verfügt. Diese Leute nennen sich selbst Gruppe Phönix, ihr militärischer Arm ist die Odin Force. Mittels der Odin Force entführt Phönix Menschen im großen Stil. Das sind die Fakten, die wir von dem FBI-Agenten Roger Thorn wissen. Es ist im Moment nicht klar, was aus dem Mann geworden ist, ich kann nur hoffen, dass er sich in Sicherheit befindet. Nun ist die Frage, wie wir diese Gruppe stoppen und die Entführten retten - oder, besser noch, befreien können. Wie wir das zu viert bewerkstelligen wollen, weiß ich auch noch nicht. Ich werde Paul fragen, ob er uns hilft, und falls es uns gelingt, Roger Thorn aufzutreiben, hätten wir einen Partner mit viel Erfahrung und Hintergrundwissen.«

      Richards Frau Rita klappte wie eine engagierte Sekretärin entschlossen einen Block auf und zückte einen Stift. »Okay, meine Herren, besprechen wir die nächsten Schritte. Wer soll sich um was kümmern?«

      Sie beratschlagten einige Zeit, bis Hanky sich entfernte, um von seinem Schlafzimmer aus Paul noch einmal anzurufen. Nach dem dritten Klingeln meldete sich Paul ungeduldig: »So, nun berichte mir, was eigentlich geschehen ist. Du hast ja bei unserem letzten Gespräch nicht viel von dir gegeben. Also, was ist los?«

      »Du hast wie immer recht, Paul, aber das sollten wir nicht am Telefon besprechen.«

      Ohne noch etwas zu sagen, hängte Paul ein. Im gleichen Moment hörte Hanky in seinem Kopf ein geistiges “Anklopfen”. Er setzte sich auf sein Bett und konzentrierte sich. Sofort war er auf geistiger Ebene mit Paul verbunden.

      Paul war ein indianischer Traumseher. Unter bestimmten Bedingungen konnte er mit Hanky telepathisch Verbindung aufnehmen. Zudem war er in der Lage, seinen Geist auf die

      Reise zu schicken und wie bei einer Fernsehübertragung weit entfernte Orte zu sehen. Bei dem Abenteuer mit dem Tausendschläfer hatte Paul eine entscheidende Rolle gespielt, indem er das “Ding” beobachtet hatte. Während ihrer gemeinsamen Jagd waren Hanky und er in der Lage gewesen, ihre außergewöhnlichen Begabungen zu kombinieren. So war es Hanky möglich gewesen, den Gejagten durch Pauls geistige Augen zu sehen und zugleich die Gedanken des Verfolgten zu lesen.

      Hanky berichtete, was er bisher wusste, und las anschließend den Bericht des FBI-Agenten vor. Paul war erschüttert und konnte kaum glauben, was er da hörte. Er sicherte Hanky noch einmal seine volle Unterstützung zu.

      »Danke, Paul«, sagte Hanky halblaut. Die telepathische Verbindung zu halten