Marvin Roth

Hanky und der Mächtige


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hatte, zog sich scheinbar sorglos schwatzend mit Rita in die Küche zurück, um Kaffee zu kochen und den Tisch zu decken.

      Hanky und Rich setzten sich ins Wohnzimmer. Dort gab Hanky ihm schweigend den Brief.

      Richard drehte den Bericht mit fragendem Blick in den Händen hin und her und schaute Hanky dann besorgt an. »Was ist los?«

      »Bitte, Rich, es ist sehr ernst. Lies den Brief und lass uns später reden.«

      ***

      Der Saal

      Im ganzen Raum blinkten rote Warnlichter an den Apparaturen hinter den Betten der Spender. Dazu hallte ein durchdringendes Piepen aus den Gräten. Keuchen, schrille Schreie und schmerzvolles Stöhnen erfüllten den Saal. Vereinzelt lagen nackte Menschen blutend am Boden, und überreizte Nerven ließen ihre Glieder unkontrolliert zucken.

      In einem Nebenraum hatte sich die automatische Warn- automatik angeschaltet und ein Notsignal zu einer Überwachungszentrale gesendet. Der Operator hatte mehrfach versucht, Kontakt zu den Medizintechnikern des Saals aufzunehmen, ehe er seinen Supervisor auf das Problem aufmerksam machte.

      (Inzwischen ...)

      Bob und Frank waren seit Stunden unterwegs. Vor lauter Jagdfieber hatten sie den Saal und ihre Aufgaben dort völlig vergessen. Zweimal waren sie schon ganz nah daran gewesen, ein Opfer zu fangen, doch immer war etwas dazwischengekommen. Nun lauerten die beiden in der Nähe eines Krankenhauses, sich der Ironie dieser Situation nicht bewusst. Ihren Wagen hatten sie am hinteren Ende des Parkplatzes abgestellt. Hier, weit vom Haupteingang entfernt, hofften sie unbemerkt eine Person überwältigen zu können. Doch nichts rührte sich. Niemand kam auch nur in die Nähe ihres Fahrzeugs.

      »Verdammt, Bob, das wird wieder nichts. Wir stehen hier schon ewig.« Um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, schaute Frank bedeutungsvoll auf seine Uhr und erschrak. »Mist, verdammter Mist«, schimpfte er los. »Das kann doch nicht wahr sein. Du meine Güte!«

      »Was ist denn?«, fragte Bob verständnislos.

      »Hast du mal auf die Uhr geschaut? Weißt du, wie spät es ist? Mann, wir haben schon Nachmittag. Die Spender sind seit gestern nicht mehr versorgt worden.« Eiligst startete er den Wagen und verließ den Parkplatz.

      »Nun reg dich doch nicht so auf, Frank. Was soll denn schon groß passieren?«

      »Was passieren soll?«, echote Frank. »Ja, bist du von allen guten Geistern verlassen? Die Betäubungsmittel reichen nicht ewig, außerdem müssen die Behälter mit dem Serum alle vierundzwanzig Stunden geleert werden, sonst ist das Zeug nicht mehr zu gebrauchen. Da hast du uns in eine verdammte Scheiße geritten, das sag ich dir.«

      »Wieso eigentlich immer ich?«, maulte Bob und sah den Schlag nicht kommen, den Frank ihm verpasste. Mit einem hörbaren Krachen brach seine Nase, und Blut spritzte über sein T-Shirt.

      ***

      In Molly Barns Haus (zur Mittagszeit des gleichen Tages) Nachdem Molly Barns Carmen versorgt hatte, schlief die junge Frau erschöpft ein. Molly schlich sich in die Küche und ergriff den Hörer des an der Wand befestigten Telefons. Sie sammelte sich kurz, um dann die Nummer des örtlichen Sheriffbüros zu wählen. Eine weibliche Stimme meldete sich und erkundigte sich, wie sie helfen könne. Molly fasste sich kurz und bat darum, mit dem Sheriff verbunden zu werden.

      »Sheriff Ward ist sehr beschäftigt«, klang es aus dem Telefon. »Würden Sie mir bitte den Grund Ihres Anrufs mitteilen?«

      Molly war aufgebracht und wollte sich nicht mit einer Telefonistin herumschlagen. Sie kannte den Sheriff schon aus ihren Jugendtagen, und Jeff Ward saß bestimmt mit seinem dicken Hintern hinter dem Schreibtisch und las Zeitung. Für ihre Verhältnisse ungewöhnlich scharf antwortete sie deshalb: »Junge Dame, wenn Sie mir nicht sofort Jeff Ward ans Telefon holen, dann werden Sie morgen im Supermarkt an der Kasse stehen. Haben Sie mich verstanden?«

      Es knackte in der Leitung, und Molly dachte schon, die Telefonistin habe einfach das Gespräch beendet, als sie undeutlich die Stimme des Sheriffs hörte: »Hallo, hier Sheriff Ward. Was kann ich für Sie tun?«

      Ohne auf das kauende Geräusch einzugehen, das durch den Hörer klang, berichtete sie ihm alles, was sich seit dem Morgen ereignet hatte. Dazu gehörte auch die unglaubliche Geschichte, die ihr Carmen stockend und in gebrochenem Englisch erzählt hatte.

      Fünf Minuten später bremsten die Streifenwagen des Sheriffs vor Molly Barns Haus.

      ***

      (Inzwischen ...)

      Der Supervisor reagierte prompt und verständigte umgehend die Leitstelle der Odin Force. Kommandant Rudgar Kruger schickte sofort drei mobile Eingreiftrupps los, die in schwarzen SUVs davonbrausten. Gefahr war im Verzug, und der Kommandant wusste genau, was geschehen würde, sollten seine Leute erneut versagen. Mit zusammengebissenen Zähnen und zu Schlitzen verengten Augen suchte er nach einer Möglichkeit, seine eigene Haut zu retten. Zu viel hatte er riskiert, zu tief steckte er in der ganzen Angelegenheit, zu mächtig war die Organisation, um einfach davonzurennen und auszusteigen. An wen hätte er sich schon wenden können? Die Gruppe Phönix war weltweit vertreten und hatte ihre Männer an maßgeblichen Stellen positioniert. Nein, es gab keine Flucht, er musste erfolgreich sein und es bleiben. Er musste seinen Job erledigen, koste es, was es wolle. Mit einer eckigen Bewegung drehte sich Kruger um und ging zurück zur Funkzentrale.

      ***

      Die Fabrik (früher Nachmittag)

      Der rostige Kastenwagen mit der Aufschrift Schrotthandel Mac Mullen kam schlingernd vor dem Haupteingang des alten Fabrikgebäudes zum Stehen. Die Türen flogen auf, Bob und Frank sprangen hastig aus dem Fahrzeug, rannten zum Eingang, entriegelten die Tür und eilten die Treppen empor. Schon im Treppenhaus hörten sie die Alarmanlage schrillen. Bestürzt schauten sie einander an, während eine hektische Stimme aus dem Funkgerät Antwort forderte. Bob ergriff das Mikro und meldete sich keuchend: »Hier Station sechzehn. Alles unter Kontrolle.«

      »Was soll das heißen, alles unter Kontrolle?«, antwortete der Operator in der Zentrale und winkte hastig den Supervisor herbei. »Wir haben hier schon seit einer Stunde einen Alarm auf den Monitoren. Seit dieser Zeit versuchen wir, Sie zu erreichen!«

      »Wir waren beschäftigt. Sie wissen, wie das ist, wenn man mehr als einen Spender hat, dessen Werte kritisch sind«, antwortete Bob und war sicher, eine gute Ausrede gefunden zu haben.

      »Nein, ich weiß nicht, wie das ist«, antwortete der Operator kühl. »Die Regularien in einem Notfall sind im Handbuch ausdrücklich ausgewiesen. Daran haben Sie sich zu halten. Auf jeden Fall haben wir ein Team losgeschickt, um zu sehen, was bei euch schiefläuft.«

      Bob erschrak fast zu Tode. »Nein, das ist nicht nötig. Wir können alles regeln, Hilfe ist nicht nötig, wir schaffen das schon. Aber danke für das Angebot. Sie können beruhigt das Team zurückbeordern.«

      »Unsere Leute werden auf jeden Fall einmal nachschauen. Sie müssten in wenigen Minuten bei Ihnen eintreffen«, klang es aus dem Lautsprecher der Funkanlage.

      Bob sprang auf, stieß dabei den Stuhl um und rannte zum benachbarten Saal. Als er die Tür öffnete, wurde ihm fast schlecht vor Angst.

      Zur gleichen Zeit bremsten vier Einsatzfahrzeuge des Sheriffs vor dem Fabrikgebäude. Ein fünfter Wagen stellte sich quer vor die Einfahrt des Geländes und blockierte damit jeglichen Zugang. Die Beamten sprangen aus den Wagen und griffen zu ihren Waffen. Der Sheriff trat vor die Eingangstür. Erleichtert stellte er fest, dass die Tür unverschlossen war. Leise drehte er den Griff und betrat den Eingangsbereich. Aus einem der oberen Stockwerke waren aufgeregte Stimmen zu hören. Eilig winkte Sheriff Ward seinen Leuten, und gemeinsam betraten die Männer das Treppenhaus. Vorsichtig, nach allen Seiten sichernd, stiegen sie die Stufen hinauf, doch niemand stellte sich ihnen in den Weg. Im zweiten Stock blieben sie vor einer Tür stehen, hinter der Stimmen und andere Geräusche zu hören waren. Jeweils rechts und links der Tür postierte sich ein

      Beamter, die Waffe im Anschlag, ehe der Sheriff die Tür mit einem Ruck aufriss. Sofort brach ein Sturm aus verzweifelten