Marvin Roth

Hanky und der Mächtige


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nach draußen. Die Bewaffneten waren noch nicht weitergekommen. Drei Männer stemmten sich gegen die Tür, während die übrigen die Umgebung sicherten. Einer der Angreifer schaute auch in Smithys Richtung, aber wohl eher im Allgemeinen als speziell zu dem zertrümmerten Polizeiwagen. Smithy verhielt sich ruhig, um nicht durch eine unbedachte Bewegung auf sich aufmerksam zu machen. Er wusste, dass er die angeforderten Hilfskräfte und die Beamten der Staatspolizei warnen musste.

      Einige Minuten später ergab sich eine Gelegenheit, das zertrümmerte Fahrzeug zu verlassen. Die immer noch gegen die Tür anrennenden Angreifer mussten in Deckung gehen, da aus dem Inneren des Fabrikgebäudes Schüsse abgefeuert wurden. Die Männer warfen sich hinter den geparkten Fahrzeugen - denen des Sheriffsdepartements wie auch den eigenen SUVs

      - in Deckung. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Gebäude, vor allem der Eingangstür. Vorsichtig lehnte sich Smithy gegen die Fahrertür und versuchte sie aufzudrücken. Dieses Vorhaben misslang, da die Tür durch den Aufprall des ersten SUVs zerbeult und verkeilt war. Mühsam drehte er sich auf dem Sitz herum. In seinem Bein tobte der Schmerz, und Schweiß lief ihm in die Augen. Heftig keuchend versuchte er, den brennenden Schmerz zu ignorieren, und schob sich zentimeterweise nach rechts auf die Beifahrerseite. Einige Male glaubte er ohnmächtig zu werden. Er bemerkte nicht, wie er sich vor Anstrengung die Lippen blutig biss. Schließlich saß er auf dem Beifahrersitz und zog am Türgriff. Bereitwillig schwang die Tür auf, und Smithy fiel hinaus. Er konnte den Sturz nur unvollständig abfangen und prallte mit der rechten Gesichtshälfte unsanft auf den grob geschotterten Boden. Nur mit größter Selbstdisziplin unterdrückte er einen Aufschrei. Vorn beim Fabrikgebäude wurde noch immer geschossen. Smithy konnte sich nicht darum kümmern und hoffte, unentdeckt zu bleiben. Er rollte ein Stück zur Seite und stieß mit dem gesunden Bein die Beifahrertür zu. Der Deputy hoffte, dass das Geräusch unbemerkt geblieben war, brachte aber nicht die Kraft auf, sich nach den Gegnern umzuschauen. Auf dem Bauch kroch er langsam um das schrottreife Polizeiauto herum und erreichte nach unendlich mühseligen Minuten das Werkstor. Nach einer Minute Pause, die er sich selbst zugestand, zog er sich an dem Torpfosten hoch und stand etwas unsicher auf seinem gesunden Bein. Er schaute die Straße entlang nach Süden. Von dort mussten die Hilfskräfte kommen.

      Hinter ihm war es in der Zwischenzeit ruhig geworden. Kein Geschrei und keine Gewehr- oder Pistolenschüsse waren mehr zu hören. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Der Gegner war ins Haus eingedrungen, oder der Sheriff hatte sich ergeben, oder sonst was. Smithy wollte nicht darüber nachdenken. Sich am wackligen Zaun festhaltend, arbeitete er sich Schritt für Schritt nach Süden vor.

      Im Fabrikgebäude wurde die Lage für Sheriff Ward und seine Deputys immer gefährlicher. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Angreifer ihre bisher gezeigte Zurückhaltung aufgeben und die versperrte Eingangstür mit Gewalt öffnen würden. Ihn wunderte es ohnehin, dass die Schwarzgekleideten die Tür nicht schon längst gesprengt oder mit den elektrischen Winden, die an den Fahrzeugen angebracht waren, aus den Angeln gerissen hatten. Er musste die Angreifer wenigstens so lange in Schach halten, bis Verstärkung eintraf. Gemeinsam mit seinen Männern schleppte er unter größter Vorsicht und möglichst leise schwere Eisenschränke auf den Treppenabsatz. Die Schränke sollten den Polizisten Schutz vor dem zu erwartenden Beschuss von draußen bieten. Nachdem der Sheriff und seine Leute in Position waren, ließ er das Feuer eröffnen. Er wollte seine Gegner von der Tür vertreiben und sich und seinen Leuten wichtige Zeit verschaffen. Schon bei den ersten Schüssen zogen sich die Angreifer von der Tür zurück und gingen in Deckung.

      Der Gruppenführer des mobilen Eingreiftrupps der Odin Force sprach aufgeregt ins Mikrofon des Funkgeräts in einem der Wagen. Er verzichtete darauf, sein mobiles Funkgerät zu benutzen, da seine Leute jedes Wort hätten mit anhören können.

      »Einsatzteam an Zentrale.«

      Sofort war die kalte Stimme des Operators im Lautsprecher zu hören. Der Gruppenführer regelte die Lautstärke nach unten.

      »Wo zur Hölle haben Sie die ganze Zeit gesteckt? Wir versuchen Sie schon seit einiger Zeit zu erreichen. Wie ist der Stand der Dinge?«

      »Hier Einsatzteam. Wir haben Schwierigkeiten. Einige Polizisten haben Haus zwei besetzt und sich verschanzt. Wie sollen wir vorgehen?«

      »Einen Moment.«

      Fast zwei Minuten hörte der Leiter des Einsatzteams nur monotones Rauschen aus den Lautsprechern. Dann klang die Stimme des Operators erneut aus der Funkanlage.

      »Haus zwei zerstören. Es dürfen keine Spuren zurückbleiben.«

      »Schicken Sie uns Verstärkung?«

      »Nein, auf keinen Fall. Sprengen Sie das Gebäude und verbrennen Sie dann alles. Ende.«

      Damit wurde die Verbindung unterbrochen.

      Der Offizier der Odin Force schaute noch eine Sekunde auf das Funkgerät und rief dann seine Männer im Schutz der Fahrzeuge zusammen.

      Smithy war fast hundert Meter an der Straße entlanggehumpelt, ehe er sich völlig erschöpft an einen Baum lehnte. Er spürte das verwundete Bein nicht mehr, was er als schlechtes Zeichen wertete. Er verspürte eine taube Müdigkeit, und sein Körper forderte eine Pause. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen. Er atmete schwer, und der Schweiß rann ihm brennend in die Augen. Gerade als er sich weiterschleppen wollte, hörte er mehrere Fahrzeuge, die sich näherten. Sich am Baum festhaltend, hob er die Hand und winkte, in der Hoffnung, gesehen zu werden.

      Der Fahrer des ersten Wagens der Staatspolizei sah Smithy und handelte sofort. Er brachte sein Fahrzeug direkt neben dem verwundeten Polizisten quer auf der Fahrbahn zum Stehen und blockierte damit die nachfolgenden Einsatzkräfte. Mit dieser spontanen Aktion rettete er viele Leben. Krankenwagen und Polizeifahrzeuge hielten versetzt hinter ihm. Der Fahrer, ein Sergeant der Staatspolizei, sprang aus dem Wagen und rannte auf Smithy zu, der immer noch am Baum stand. »Was ist mit ihnen geschehen?«

      Smithy brauchte einige Sekunden, um sich zu sammeln, und der Sergeant wollte seine Frage schon wiederholen, als er antwortete: »Was mit mir ist«, kam es krächzend aus seinem Mund, »das ist nicht wichtig. Da drinnen sind Bewaffnete. Ich glaube, das sind Soldaten. Sie versuchen, in die Fabrik einzudringen. Sind schwer bewaffnet. Der Sheriff hält noch die Stellung, glaub ich. Schnell, Sie müssen sich beeilen und sehr vorsichtig sein. Die Burschen sehen sehr gefährlich aus.«

      Smithy wollte noch weiterreden, aber plötzliche Schwäche ließ ihn taumeln. Herbeigeeilte Sanitäter griffen dem verletzten

      Polizisten unter die Arme und legten ihn vorsichtig auf eine mitgebrachte Trage.

      Die Männer der Staatspolizei sammelten sich und besprachen schnell das weitere Vorgehen. Dann rannten sie geduckt zum Fabrikgelände und verteilten sich.

      Die Männer der Odin Force hatten sich zwischen den Wagen auf den Boden gesetzt und bereiteten ihre Sprengladungen vor. Jeweils zwei Mann sollten über das Dach des angrenzenden Gebäudes in die alte Fabrik vordringen, um dort ihre Sprengpakete zu platzieren. Nur der Gruppenführer des mobilen Eingreiftrupps sicherte mit dem Schnellfeuergewehr die Umgebung. Gerade als ein Staatspolizist über den halb verfallenen Zaun des Fabrikgeländes stieg, sah der Gruppenführer in seine Richtung. Leise zischte er: »Achtung! Wir haben Besuch!«

      Sofort unterbrachen die Odin-Männer ihre Arbeit an den Sprengpaketen und griffen nach den Waffen.

      ***

      New York (früher Nachmittag)

      Hanky hatte mit Pauls Hilfe das Funkgespräch zwischen dem Odin-Force-Lager und dem mobilen Eingreiftrupp mitgehört. Was um Himmels willen ging da vor? Immer noch hallte der furchtbare Befehl in ihm nach, den er und Paul mitgehört hatten: »Sprengen Sie das Gebäude und verbrennen Sie dann alles.«

      Um was für ein Gebäude handelte es sich da, und warum sollte es zerstört werden? Hanky dachte fieberhaft nach und sagte dann zu Paul: »Bitte bleib beim Kommandanten. Ich muss mich kurz ausklinken und bin gleich zurück.«

      Noch ehe Paul etwas erwidern konnte, war Hanky fort. Er schlug die Augen auf, schwang sich aus dem Bett und rannte zu Walt ins Büro. Auf seinem Weg durchs Wohnzimmer sah er Richard und seine