Gerd Schuster

Der Professor mit dem Katzenfell


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Körper beschert. Die rechte Hälfte des kleinen Pumas war weiß, die linke schwarz. Weil die Farbverteilung mit Ausnahme der Bauchpartie völlig symmetrisch war und die Trennlinie präzise entlang der Wirbelsäulenmitte verlief, sah er wie gemalt aus. Sein Schwanz war schwarz-weiß geringelt. Leos Kopf war kohlrabenschwarz, hatte schneeweiße Schnurrhaare und Ohren sowie riesige dunkelblaue English blue-Augen.

      Leo hatte um seine Schönheit gewusst und gerne ein wenig angegeben und mit Vorliebe für Fotos posiert. Aber sein Aussehen war ihm nicht zu Kopf gestiegen: Obwohl noch im Besitz seiner Hoden, war er, wenn ihn keine Katzenbraut nervös machte, zutraulich und anschmiegsam gewesen, freundlich und friedfertig. Trotz seiner Muskelpakete war er Katzenkämpfen häufig aus dem Weg gegangen, soweit man wusste, oder hatte seine von vornherein hoffnungslos unterlegenen Herausforderer gnädig mit einem zerfetzten Ohr davonkommen lassen. Viel lieber hatte er Hunde vermöbelt – und zu Hasenklees Entsetzen hatte er sich nicht nur mit Dackeln und Terriern angelegt.

      Bis auf die Hunde und ein paar eifersüchtige Kater hatten alle Leo geliebt. Selbst Sammi, die andere Katzen verabscheute und mit Utnapischtim nur den Sachzwängen gehorchend eine Art Burgfrieden geschlossen hatte, war bei einem Besuch von Hasenklee in Begleitung seines Katers Leos Charme erlegen.

      Aber der schwarz-weiße Herzensbrecher war keine Wohnungskatze gewesen, der ein Balkon als Auslauf genügte; abends gegen acht musste er raus in die gefährliche Freiheit des Barmbeker Straßendschungels und seines Jagd- und Liebesreviers im Hamburger Stadtpark. Zwischen eins und halb zwei war er aber immer durch seine beiden Katzentüren gebollert, hatte sich in der Küche auf sein Trockenfutter gestürzt und war anschließend zu Hasenklee ins Bett gekommen.

      Ab und zu hatte er seinem Herrchen von seinen nächtlichen Streifzügen auch ein Geschenk mitgebracht – meist große fette graue oder schwarze Hamburger Kanalratten.

      Gotthard hatte Leo geliebt, dachte Schlichtkohl betrübt, so wie er Sammi liebte. Wenn er sich überlegte, wie ihm zumute wäre, wenn er seine Süße tot vor der Haustür gefunden hätte – der arme Kerl musste sich scheußlich fühlen! Man konnte Katzen wie Menschen lieben – oder sogar noch mehr!

      »Das ist ja entsetzlich«, sagte er. »Der arme Leo! Tut mir unsagbar leid! Kann ich was für dich tun? Soll ich nach meinem Seminar zu dir kommen – so gegen halb eins? Dir geht’s dreckig, oder?«

      »Kann man sagen!«, antwortete Hasenklee. »Danke für das Angebot, aber ich fahre weg. Weit weg. Jetzt sofort. Es muss sein. Habe mich im Institut per E-Mail krank gemeldet.« Er schnupfte ein paar Mal. »Ich rufe dich an, weil ich deine Hilfe brauche. Ich habe seit fünf oder sechs Monaten ein Ferkel, ganz seltene Rasse – ein Mangalitza-Wollschwein. Sie ...« er versuchte zu lachen, aber es klappte nicht, »sie ist knapp ein halbes Jahr alt, ziemlich klein für ihr Alter und heißt Brunhilde. Sie ist stolz auf ihren Namen.«

      Er schnäuzte in ein Taschentuch. »Sie ist blitzgescheit, sehr gelehrig und macht kaum Dreck oder Arbeit, und sie ruiniert auch keine Möbel, wenn man sie nicht alleine in ein Zimmer sperrt, aber sie hasst Autofahren. Ich kann sie ohnehin nicht mitnehmen. Sei so nett und kümmere dich um sie. Am besten holst du sie nach dem Seminar ab – mit der U-Bahn, die verträgt sie nämlich. Ich stelle sie solange in ihrer Kiste in meinem Keller unter – du weißt, wo mein Fahrrad steht. Ich habe dir geschrieben, was du wissen musst.« Er schnupfte wieder. »Sie hat sich mit Leo gut vertragen, ist also mit Katzen vertraut.« Noch ein Schnupfenanfall. »Geht das in Ordnung?«

      »Na klar!« brachte Schlichtkohl heraus. Er wollte noch etwas Nettes über Leo sagen und etwas Zorniges über die Leute, die Hauskatzen vergifteten, und er wollte seinen Freund fragen, wo er hinfahre und wann er zurückkomme; aber Gotthard fiel ihm ins Wort. »Entschuldige, Sebastian, ich muss sofort los. Habe weit zu fahren. Es geht echt um Minuten. Lies den Brief, da steht alles drin!« Er hängte ein.

      Schlichtkohl hielt den tutenden Hörer noch eine Zeit lang ratlos in der Hand. Er verstand zwar, dass Hasenklee nach dem Tod seines geliebten Katers traurig war und die leere Wohnung verlassen wollte, um anderswo über den Schmerz hinwegzukommen; aber wieso diese Hast?

      Und: Was hatte Hasenklee mit Leo gemacht? Er würde niemals wegfahren und die Leiche seines Katers zurücklassen! Gotthard würde es sich nicht nehmen lassen, in aller Form von dem toten Gefährten Abschied zu nehmen.

      Er sah Gotthard vor sich: Mittelgroß, schlank und südländisch dunkel, durchtrainiert, charmant und freundlich. Hasenklee war ein begnadeter Tänzer und ein erstklassiger Schauspieler, und warum er statt beim Theater bei der Organischen Chemie gelandet war, verstand keiner seiner Freunde, am wenigstens Schlichtkohl, der Gotthard hin und wieder – meist nach einer Enttäuschung mit Mara – um sein gutes Aussehen, sein Bewegungstalent und seine Eleganz beneidet hatte.

      Er schüttelte den Kopf. Welch ein Morgen! Erst dieser wirre Traum, der ihn so erschüttert hatte, dann Hasenklees Anruf! Hoffentlich ging der Tag nicht so weiter! Er entleerte seine Blase und suchte Sammi.

      Im Schlafzimmer war sie nicht, auch nicht im Wohnzimmer. Plötzlich packte ihn eine wilde Angst, ihr könnte etwas passiert sein, und er hastete ins Gästezimmer. Hier war sie auch nicht. Oder doch? Er knipste das Licht an, kniete sich hin und schaute unters Bett: Utnapischtim lag auf seinem Polster aus Einkaufsbeuteln und funkelte ihn mit zurückgelegten Ohren fluchtbereit an. Die grafitgraue Haube, die den in sein Schädeldach implantierten walnussgroßen »Stecker« bedeckte, sah aus wie eine winzige Chamulka, ein »Judenkäppi«.

      »Entschuldigung, Pischti!«, sagte der Professor. »Kein Grund zur Panik. Ich hab nur Sammi gesucht. Schlaf schön weiter! Es ist alles in bester Ordnung!« Aber der Kater stand auf, Angst in seinen riesengroßen braunen Augen, kroch mit eingezogenen Beinen und sich nach ihm umblickend, zur anderen Seite des Betts, und schoss davon, dass die Teppichbodenfasern durch die Luft stoben.

      Schlichtkohl wünschte, wie so oft, er könne Pischti helfen. Er hatte den großen dünnen, schwarzbraun gefleckten Kater mit den mühlradgroßen Augen aus einem Institut für Epilepsieforschung gestohlen und ihn vor dem sicheren Tod bewahrt. Versuchstiere wurden nach Abschluss der Experimente routinemäßig eingeschläfert.

      Er war bei einem Besuch der Tierlabors und der Versuchstierhaltung eines internationalen Pharmakonzerns, den ihm Gotthard ermöglicht hatte, auf den Kater aufmerksam geworden. Als er von einem Mitarbeiter des Multis, der ihm mit Bedacht nur relativ Unverfängliches zeigte, in den Wohnraum der »Steckerkatzen« geführt worden war, hatte ihn Pischti auf seine Weise begrüßt. Von einer kleinen Plattform an der Spitze eines Kletterbaums hatte er ihm eine Unzahl von Nasenküsschen gegeben.

      In der weiß gekachelten Kammer, die von einem kleinen Radio beschallt wurde (»Damit sie sich an menschliche Stimmen gewöhnen können!« hatte sein Führer gesagt), war ein bunter Schwarm von etwa zwanzig Katzen herumstolziert. Alle hatten gesund und wohlernährt ausgesehen, und einige waren ihm sogar maunzend um die Beine gestrichen. Aber sämtliche Tiere trugen auf der Schädeldecke den eigelbgroßen flachen Hügel aus Zement – oder was immer es war – mit einem oder zwei Steckerschlitzen.

      Durch diese Schlitze schoben Forscher Minielektroden ins Katzenhirn. Sie reizten bestimmte Areale mit elektrischen Impulsen, sodass die Tiere einen epileptischen Anfall erlitten. Auf diese Weise testeten die Wissenschaftler, ob und wie gut Antiepileptika wirkten – Medikamente gegen die Fallsucht.

      Er hatte damals gleich gewusst, dass er den Kater befreien musste. Er hatte vorgegeben, begriffen zu haben, wie unersetzlich die Tierversuche seien und das in einem Artikel zum Ausdruck bringen zu wollen. Für »Recherchen« war er mehrfach in dem Labor aufgetaucht. Er hatte sich die Tastenkombination des Zahlenschlosses gemerkt, das den Katzenraum öffnete. Drei Wochen später hatte er sich unter dem Vorwand, Durchfall zu haben, von seinem Wächter entfernt, den Raum geöffnet, den Kater gepackt, mit Äther betäubt, in eine Reisetasche gesteckt und aus dem Institut getragen, seine blutenden Kratzwunden sorgfältig verbergend.

      Die Laborleitung wusste wahrscheinlich, wer der Dieb war; man hatte aber nichts unternommen. Schlichtkohl nahm an, dass man Aufsehen scheute.

      Pischti gab weiterhin Dutzende von Küsschen, wenn er auf einem erhöhten Ansitz hockte; aber er ließ sich auch nach zwei Jahren noch nicht anfassen. Die Haube