Gerd Schuster

Der Professor mit dem Katzenfell


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einbog, war der blitzblanke Polizei-Mercedes, der sich auf der Straße vor Hasenklees Haus breitmachte. Obwohl die Dienstfahrzeuge der Ordnungshüter in ihren neuen Farben silber und blau nicht wie Polizeiautos aussahen – was um Himmels willen war am bewährten Grün der »grünen Minna« falsch gewesen, sodass man es aufgegeben hatte? – und somit verwechselbar geworden waren, war der Benz nicht zu übersehen: Als einziges Auto war er nicht auf dem Randstreifen der Straße geparkt, sondern stand auf deren schmaler Fahrbahn.

      Der Professor war vom Bahnhof Hoheluftbrücke die acht Stationen bis nach Barmbek gefahren und dann zu Fuß gegangen, der Einfachheit halber die Fuhlsbütteler Straße herunter.

      So war er noch nie zu Gotthard gefahren, denn er hasste es, an überfüllten städtischen Rennpisten Autoabgase zu inhalieren, die stinkenden Fürze der Verbrennungsmotoren anderer Leute. Meistens nahm er die S-Bahn bis Alte Wöhr, von wo man nur fünf oder sechs Minuten gehen musste, oder er machte einen Spaziergang quer durch die grüne Lunge der Hansestadt. Von seiner Wohnung bis zu Gotthards Haus waren es – Luftlinie – ungefähr drei Kilometer. Wenn man nicht gerade auf vögelnde Schwule stieß oder sich in Drachenschnüren verhedderte, war es eine sehr angenehme Lustwandelei.

      Aber der Marsch entlang der Fuhlsbütteler Straße, der sich länger hinzog, als er nach dem Studium des Stadtplans erwartet hatte, gab ihm Gelegenheit zum Nachdenken. Trotz der Giftgasinhalation.

      Er war aus dem Sekretariat gestürmt, das Kichern der Hundt im Ohr, nachdem er die Schlagzeile der Morgenpost gelesen hatte – nicht, weil er an den Tod Hasenklees glaubte, sondern weil ihm die niederträchtige Falschheit der Vorzimmerziege körperliches Unwohlsein verursachte. Immer noch hallte ihre tückische Frage: »So eine schreckliche Tragödie! Kannten Sie den armen Kerl nicht persönlich, Herr Professor?« in seinem Schädel nach.

      Natürlich war Hasenklee nicht tot. Er hatte um Viertel nach sechs mit ihm telefoniert, und die Ausgabe der Morgenpost, mit der Frau Hundt ihn zu schockieren versucht hatte, war zu diesem Zeitpunkt längst gedruckt gewesen. Aber was zum Teufel war passiert? Was hatte das alles zu bedeuten?

      Die beiden Insassen des vor Hasenklees Haus geparkten Polizei-Mercedes, ein dicklicher Beamter und eine Beamtin mit schwarzem Zopf, standen vor der Treppe, auf der Leo gestorben war. Die Polizistin telefonierte mit ihrem Handy. Schlichtkohl setzte sein Briefträgergesicht auf, ging auf den Ordnungshüter zu und sagte in breitem Hamburgisch: »Jörn Carstensen vom Tierheim Säbener Straße. Ich soll hier ein ausgesetztes Haustier abholen. Dem armen Geschöpf ist doch nicht etwa was passiert, ich meine, weil Sie hier postiert sind?«

      Er versuchte, das missionarische Sendungsbewusstsein an den Tag zu legen, das er bei Tierschützern beobachtet hatte. »Das Elend der Tiere ist riesengroß!« eiferte er. »Wissen Sie, wie viele Hunde und Katzen die Deutschen aussetzen, Jahr für Jahr? Hunderttausende, sag ich Ihnen! Es ist eine Tragödie! Jeder Fall ist ein Vertrauensbruch schlimmster Art, ein Betrug am Tier, eine Grausamkeit ersten Ranges! Hunderttausende Tiere werden fortgejagt, verlieren ihre geliebten Bezugspersonen und erleiden ...«

      »Jajaja, ist ja gut!« Der Polizist verzog das Gesicht und hob die rechte Hand, als wolle er sich gegen die Wortflut schützen. »Ihrem Viech ist nichts zugestoßen, soviel ich weiß. Wir haben hier einen Einbruch mit Vandalismus, keine Tierquälerei!« »Bei Schönemann?«, fragte Schlichtkohl, entsetzte Vorahnung schauspielernd. »Neinnein, bei Hasenklee!« beruhigte ihn der Beamte. Er drehte sich um und ging zu seinem Benz. »Wir warten auf die Spurensicherung!«, brummte er dabei. »Nun holen Sie Ihr betrogenes Haustier schon!«

      Schlichtkohl drängte die Versuchung zurück, den Ordnungshüter zu fragen, ob er die Morgenpost gelesen habe, erklomm die Treppe, durchquerte den Korridor und stieg in den dritten Stock. Die Tür von Hasenklees Wohnung war nur angelehnt. Niemand hielt Wache. Überall war Chaos. Schubladen waren herausgerissen und ausgeleert, Schranktüren standen offen, das Sofa war aufgeschlitzt und die wertvollen Bücher aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert, die Gotthard so schätzte, waren aufgeblättert, ausgeschüttelt und auf den Boden geworfen worden. Die meisten lagen mit zerknüllten Seiten auf dem Gesicht. Sogar der Kühlschrank und der kleine Froster waren ausgeräumt worden, und die aufgetauten Lebensmittel trieften in einer rosafarbenen Plastikwanne vor sich hin.

      Die Bilder aus der Gemäldesammlung seines Freundes, fast alles Originale, lagen auf dem Wohnzimmerparkett. Bei den meisten war die Rückseite aufgerissen.

      Der PC im Arbeitszimmer, das man wegen der sich auftürmenden Bücherhalden kaum betreten konnte, war eingeschaltet, und seine CD-Schublade ausgefahren. Sämtliche Datenträger fehlten, sogar die Zip-Disketten und die alten Floppies in ihren Plastikboxen. Ihr Stammplatz, eine Plastikbox mit bräunlich-transparentem Kippdeckel, die im Bücherregal am Schreibtisch stand, war leer.

      Schlichtkohl kam ein Gedanke. Als er bei seinem letzten Besuch ein wenig über die vergleichsweise winzige Kapazität der Discs und Disketten gemosert hatte, hatte ihn Gotthard am Arm genommen und ins Bad geführt. Er hatte eine dunkelblaue Blechdose vom obersten Regalbrett genommen, die so groß war wie ein Päckchen Zigaretten, nur ein wenig breiter, den Deckel aufspringen lassen und ihm das Kästchen vor die Nase gehalten. Drin hatten dicht an dicht Heftpflasterstreifen gesteckt. »Die leuchten im Dunkeln,« hatte Hasenklee gelacht, «Kitschpflaster aus den USA!« und den Inhalt der Dose auf seine Hand geschüttelt.

      Neben den »Band-Aids« war ein schmaler, etwa kleinfingerlanger Gegenstand aus Metall ans Licht gekommen, der wie ein Minifeuerzeug aussah. »USB-Stick mit zwei Gigabyte!«, hatte sein Freund erklärt, »ersetzt rund 1400 Floppies!« Er hebe den Stick immer in der Pflasterdose auf. »Erstens sind verschiedene vertrauliche Dateien da vor meiner Putzfrau sicher, und zweitens verliere ich das winzige Ding nur, wenn es keinen festen Platz hat, der weit weg vom Schreibtisch ist!«

      Der Professor ging ins Bad, das direkt neben dem Arbeitszimmer lag. Hier war wenig zerwühlt. Offenbar hatten die Vandalen das, was sie suchten, nicht in Rasierschaumtuben und Flacons mit Männerparfüm und Aftershave vermutet. Auf dem obersten Brett standen nebeneinander drei Pflasterdosen, aber nur eine war dunkelblau und enthielt bunte »Glow in the dark«-Pflaster, laut Aufschrift ¾ Inch mal drei Inch groß. Schlichtkohl stellte sie auf den Kopf und fühlte einen kleinen Gegenstand aus kühlem Metall in der Handfläche – den Stick!

      Na also! Er steckte den Datenspeicher ein, verließ die Wohnung und stieg die sieben Treppen in den Keller hinab. Die Tür zu Hasenklees feuchtem kleinem Betonverlies war nicht verschlossen, und als er sie aufstieß, schlug ihm der Geruch von Schweinepisse entgegen. Schlichtkohl schaltete das Licht an und wartete, bis die altersschwache Neonröhre zu blitzen aufhörte und Licht spendete. Vor einem mit Sportschuhen, Inline-Skates, Tennisschlägern, Taucherflossen und Gummistiefeln vollgestopften Regal standen an der linken Wand ein großer Transportkäfig aus hellblauem Kunststoff, in den ein mittlerer Hund gepasst hätte, und ein riesiger IKEA-Plastikbeutel. Daneben lag ein zerknüllter 20-Kilo-Papiersack neben einem kleinen Berg graubraunen Futtergranulats.

      Der Professor schaute in die Tüte aus dem Möbelhaus: In ihr steckte das größte Katzenklo, das er je gesehen hatte. Es besaß keine Abdeckung, mit besonders hohen Seitenwänden. Neben ihm lagen eine Bürste und ein Knäuel von Riemen, wohl ein Geschirr für Ausflüge mit dem Rüsseltier. Ein Brief von Gotthard war nirgends zu sehen.

      Er schaufelte mit dem Deckel eines Schuhkartons einige Kilo des Granulats in den Futtersack zurück, verschloss ihn notdürftig und trug ihn zusammen mit dem IKEA-Beutel ins Freie. Als er, bepackt wie er war, mit dem Ellenbogen die Haustür von innen aufstieß, katapultierte er sie beinahe ins Gesicht einer attraktiven Brünetten, die in dem gleichen Moment das Haus betreten wollte.

      Die Dame war in dem Alter zwischen 30 und 40, das man unmöglich exakt bestimmen kann, und erschien dem Hochschullehrer wie eine Traumfee. Sie trug ein apartes weinrotes Kostüm, das vielversprechende Busenwölbungen und mindestens ebenso wohlgeformte Beine sehen ließ. Ihre Füße steckten in mondänen Schuhen in einem dunkleren Weinrot mit Bleistiftabsätzen und waffenscheinpflichtigen Spitzen. Zudem war sie von einer betörenden Parfümwolke umgeben. Sie bedachte den Gelehrten mit einem Augenaufschlag, für den Meskiaggascher sicherlich fünfhundert Rinder gegeben hätte.

      »Oh, äh, Ent-Entschul-schuldigung!« entfuhr