Reiner W. Netthöfel

Tanja liest


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ist eine von vielen Bewerbungen.“, sagte sie leise und gepresst. Wulvsen spürte, dass dies vielleicht ein ungewöhnliches Bewerbungsgespräch werden könnte, denn dafür hatte er einen Sinn: für ungewöhnliche Situationen. Er setzte also die Unterhaltung fort.

      „Wen haben Sie zuvor gefahren?“ Er hatte zwar keine Zeit gehabt, sich die Unterlagen genau anzusehen und schalt sich innerlich für das Versäumnis, aber er könnte das Bewerbungsgespräch ja schon einmal mit einer Anamnese beginnen.

      „Einen Minister.“, lautete die überraschende Antwort. Er sah sie erstaunt an.

      „Dann waren Sie im öffentlichen Dienst. So einen Job gibt man nicht leichthin auf.“ Ihr Blondschopf sackte nach vorne.

      „Ich habe ihn nicht leichthin aufgegeben, aber darüber möchte ich nicht reden. Jedenfalls nicht mit Ihnen.“ Sein Interesse war geweckt, sein Ärger schon längst verflogen und ihre Reaktionen fand er mutig. Sie waren also mittendrin im Bewerbungsgespräch, und das in einer Tiefgarage. Wulvsen hätte sich am liebsten dafür gelobt.

      „Na, dann kommen Sie mal mit.“, sagte er, stieg aus und holte den persönlichen Lift. Ihr wollte etwas mulmig werden, weil sie die ganze Situation sehr ungewöhnlich, wenn nicht geheimnisvoll fand. Schweigend fuhren sie in der engen Kabine nach oben, wobei sie bemüht war, ihn nicht anzusehen, was sich angesichts der verspiegelten Wände als nicht ganz einfach erwies und betraten dann sein Büro.

      Frisch gewaschen. Sie riecht wie frisch gewaschen, dachte er.

      „Ziemlich groß für einen Fahrdienstleiter.“, bemerkte die Blonde spöttisch und begutachtete das geschmackvoll, aber unpersönlich eingerichtete Riesenzimmer und dessen beeindruckende Aussicht auf die Stadt. Wulvsen setzte sich und deutete auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch. Er schob ein paar Papierknäuel zur Seite, schlug ihre Akte auf und studierte sie gründlich, aber ohne eine sichtbare Reaktion, die allerdings die Ariel, die ihn sorgenvoll beobachtete, weil sie in ihm mittlerweile durchaus so etwas wie einen Entscheidungsträger vermutete, denn ihr Lebenslauf war ja nicht gerade alltäglich, erwartete.

      Svenja Ariel, geboren am … in … als Sven Ariel, Mutter Hausfrau … Sieh mal einer an, dachte er und sein Respekt vor der Dame wuchs.

      Svenja hatte das Gefühl, als vergingen Stunden, während sein Blick über die Zeilen huschte. Sie wartete darauf, dass er die Stirn in Falten zog, dass seine Mundwinkel nach unten sackten, dass er vielleicht spöttisch lächelte, eine eindeutige oder zweideutige Bemerkung machte, all dies hatte sie schließlich schon oft erlebt; aber da war nichts. Absolut nichts.

      Doch der Alte hatte schon reagiert, jedoch eben unsichtbar, was eine der vielen Voraussetzungen dafür war, in der Wirtschaftswelt Erfolg zu haben, und er war überrascht, aber positiv überrascht. Jemand, der einen solchen Schritt vollzogen hatte wie die junge Frau vor ihm, hatte Respekt verdient, also würde er jetzt auch mal was für gesellschaftlich randständige Personen tun, ähnlich wie Jürgen, aber erzählen würde er dem nichts davon. Jedenfalls nicht gleich, sondern vielleicht bei passender Gelegenheit.

      „Aha.“, sagte er nach drei Minuten emotionslos, klappte die Mappe zu und sah die Blondine anders an. Die wiederum konnte mit diesem Blick nichts anfangen und fragte mit gar nicht so fester Stimme und trockenem Mund:

      „Was ist? Kommt bald ein Entscheidungsträger?“ Ein Lächeln schien um seine Mundwinkel zu spielen.

      „Sie haben also das Geschlecht gewechselt.“, stellte er mehr fest, als dass er fragte. Statt rot zu werden, reckte die Automobilistin das Kinn kampfbereit vor. Auf diese Frage war sie vorbereitet, schließlich hatten alle danach gefragt, bei denen sie sich vorgestellt hatte. Allerdings war noch niemand auf die Idee gekommen, diese Sentenz nicht als Frage, dafür aber so selbstverständlich und neutral als Feststellung zu formulieren, wie man ‚Die Sonne scheint‘, oder ‚Es wird dunkel‘ sagt.

      „Im Kopf war ich immer schon eine Frau.“, entgegnete sie unangemessen abwehrbereit und sah ihr Gegenüber mit funkelnden Augen an. Angesichts ihrer Erfahrungen war sie bereit zu kämpfen, auch wenn sie damit rechnen musste, dass es für sie nichts mehr zu gewinnen gäbe. Jetzt nicht mehr. Ihr Gegenüber sah sie schweigend an.

      „Haben Sie deshalb den sicheren Job aufgegeben?“, fragte er unbewegt. Sein grauer Blick bohrte sich förmlich in ihre blauen Augen.

      „Ich konnte es nicht mehr ertragen.“, gab sie zu, obwohl sie gar nicht so weit gehen wollte, aber dieser Mann, der sich bisher noch nicht einmal vorgestellt hatte, schien einen eigenartigen Einfluss auf sie auszuüben. Er schien ihr ein wenig von ihrer Selbstbestimmung genommen zu haben. Sie konnte jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass genau das zu seinen unternehmerischen Fähigkeiten zählte, die ihn an die Weltspitze gespült hatten.

      „Was nicht ertragen?“ Er gewann diese rhetorische Schlacht, als sie den Blick senkte. Ihr war es jetzt völlig egal, wer er war, was seine Funktion in diesem Imperium wäre.

      „Die Tuscheleien, die Anspielungen, die Blicke, nicht nur von den Kollegen und Kolleginnen, auch von den Vorgesetzten.“, presste sie hervor.

      „Von Wulvsen erwarten Sie mehr Toleranz?“, fragte er die schmalhüftige Schönheit.

      „Wulvsen ist nicht stromlinienförmig, hörte ich.“, antwortete sie keck.

      „Von wem?“, fragte er schnell nach.

      „Li … - geht Sie nichts an.“ Nach dieser Bemerkung hatte sie diesen Termin bereits abgehakt, denn die war einfach unhöflich gewesen, hatte die Rechnung aber ohne den Frager gemacht. Der dachte nämlich kurz nach und drückte dann einen Knopf auf seiner Kommunikationseinheit.

      „Rehbein? Bringen Sie mal einen Blanko-Arbeitsvertrag rein. - Bitte.“ Rehbein im Vorzimmer schüttelte den Kopf. Das war wieder was Neues.

      „Sie haben eine Sekretärin?“, fragte die Blonde erstaunt.

      „Ich habe eine Sekretärin.“, bestätigte er knapp und seine sich verengenden Augen konnten vieles, unter anderem den Anflug eines Lächelns, bedeuten.

      Rehbein erschrak regelrecht, als sie eine große, hübsche Blondine vor seinem Schreibtisch sitzen sah. Aber immerhin schien er sich beruhigt zu haben. Sie grüßte kurz und legte die Blätter vor Wulvsen auf den Tisch, der gerade mal wieder dabei war, zusammengeknülltes Papier zu entsorgen.

      „Das ist Frau Ariel, die neue Fahrerin.“, klärte er Rehbein leichthin auf und sah die Sekretärin verschmitzt an. Auf diese Information reagierten die anwesenden Frauen in gleicher Weise: sie rissen Augen und Mund auf.

      „Ja, dann.“, murmelte Rehbein und schlich aus dem Zimmer. Irritiert und fast wütend, weil sie meinte, ein Spiel würde mit ihr gespielt, fragte nun Svenja:

      „Seit wann kann ein Fahrdienstleiter Einstellungen vornehmen? Zumal, wenn es um den Cheffahrer geht?“ Wulvsen antwortete nicht, sondern unterschrieb schweigend den Vertrag, ergänzte eine Zahl für den Monatsverdienst und ein paar Zeilen und reichte ihn der Neuen. „Rehbein wird Ihnen alles weitere erläutern. Es wird kein Zuckerschlecken, hoffentlich haben Sie es sich überlegt; im Grunde genommen müssen Sie rund um die Uhr zur Verfügung stehen können. Jedenfalls, wenn kein vollwertiger Ersatzfahrer vorhanden ist, und das ist er im Augenblick nicht.“ Zögerlich nahm sie die Blätter.

      „Das wird schon gehen.“, murmelte sie und stand auf. Als sie die Hand auf die Türklinke gelegt hatte, rief er ihr nach:

      „Ich will heute früh nach Hause. In zwei Stunden unten.“ Sie wandte sich kurz um, schüttelte den Kopf und verließ den Raum. Was hätte sie damit zu tun, dass der Fahrdienstleiter früh nach Hause wollte? Als sie nun im Vorzimmer stand, kam ihr eine Ahnung, denn sie hatte noch keinen Fahrdienstleiter kennengelernt, der ein Vorzimmer mit drei Sekretärinnen besaß. Allerdings hatte sie noch Hoffnung.

      „Ist das hier die Fahrdienstleitung?“, fragte sie nach einem kurzen Hallo. Sie sah in freundlich lächelnde Gesichter. Die grauhaarige Frau von eben antwortete