Reiner W. Netthöfel

Tanja liest


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weil der Kellner nicht hinsah, nur zu einem Schulterzucken führte und dazu, dass dieser ohne weitere Reaktion am Tische vorbeistrebte.

      „Was war?“, fragte die schlanke Stegner dringlich und leise interessiert.

      „Suppe zu kalt, Bier zu warm.“, meinte der Mann lapidar. Die Stegner nahm Kurs auf den Vierertisch.

      „War etwas nicht in Ordnung?“, fragte sie Hönnes überbetont höflich, der seinen Exchef hilfesuchend daraufhin ansah.

      „Die Suppe ist kalt.“, stellte dieser klar, doch die Stegner sah immer noch Hönnes an, der nun stotterte: „Also, eigentlich, … es ging doch.“ Der Bube sah Wulvsen an und Frau Hönnes in ihre Suppe, die kalte.

      Triumphierend ließ Stegner die Teller abräumen und Wulvsen bestellte ein Frustbier, schließlich wollte er Hönnes den Abend nicht verderben.

      Das nächste Bier bestellte er, als der junge Hönnes nicht gefragt wurde, wie er sein Steak gebraten haben wollte. Da er die Familie noch nach Hause bringen wollte, schwor er sich, den nächsten fauxpas technisch zum Anlass zu nehmen, die Stühle im übertragenen Sinn gerade zu rücken, denn ein weiteres Bier war aus Verkehrsordnungsgründen jetzt nicht mehr drin.

      Das war dank Claudius Timmermann auch nicht mehr notwendig, denn der Oberkellner konnte die Auslieferung der Desserts zur Unzeit, als nämlich noch das Geschirr des Hauptganges auf dem Tisch des Jetztrentners ruhte, im letzten Augenblick stoppen, und bewahrte somit auch Juliane Stegner vor einigen weiteren Peinlichkeiten und einem Canossagang zur Geschäftsführerin, allerdings nicht vor der Erkenntnis, dass teure Anzüge nicht immer auf den ersten Blick so aussehen müssen und nicht vor der Ermahnung Wulvsens, unbedingt keine Festlegungen aufgrund von Äußerlichkeiten zu treffen, die sie mit hochrotem Kopf entgegennahm und sich wünschte, sie stünde auf einer Falltüre, die unter ihr aufgehen möge.

      „Muss etwa ich Ihnen die Grundzüge Ihres Jobs vermitteln?“, fragte Wulvsen streng und unter der Beobachtung seiner blasser werdenden Gäste.

      „Sicher nicht.“, antwortete sie kleinlaut.

      „Dann beherzigen Sie, was ich Ihnen gesagt habe.“ Stegner nickte eifrig, so etwas würde ihr sicher nie wieder passieren, dachte sie nervös und rang die Hände.

      „Bitte …“, stammelte die junge Frau. Wulvsen sah die Dame eine Weile nachdenklich an und machte dann eine wegwerfende Handbewegung.

      „Keine Sorge, ich erzähle nichts weiter.“, beruhigte er sie, was zu kollektivem Aufatmen beim Servicepersonal führte, denn Wulvsen war gerüchteweise durchaus auch hier nicht unbedingt für seine Nachsichtigkeit bekannt. Einzig Timmermann blieb skeptisch, und wenn Stegner Wulvsen gekannt hätte, wäre ihr zwar ihr Lapsus erst gar nicht passiert, sie hätte jedoch auch nicht voreilig aufgeatmet, als sich die Tür hinter den vier scheidenden Gästen geschlossen hatte, denn zwei Minuten später stand Roger Wulvsen höchstselbst wieder vor ihr, nachdem er ebendiese Tür geräuschvoll zugeworfen hatte, und zwar von Innen, und sah sie von oben an. Timmermann war hinter dem Buffet in Deckung gegangen.

      „Jetzt hören Sie mal zu, Sie Laienkellnerin. Wenn ich alleine gewesen wäre, und die drei netten Leute sich nicht noch eben für Sie verwendet hätten, wäre das hier nicht so glimpflich für Sie abgegangen.“ Er suchte mit seinem Blick anderes Personal, und wer sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte, wurde erwischt und konnte von Glück sagen, dass Roger Wulvsens Blicke keine körperlichen Schäden anrichten konnten. „Und das trifft auf den Rest der Belegschaft ebenso zu. Grüßen Sie Hilde von mir.“ Dann machte er auf dem Absatz kehrt und eilte davon.

      Am späten Abend setzte er die angesäuselten und verstörten Hönnes‘ an deren Reihenhaus ab und fuhr mit seinem Chefauto nach Hause. In den nächsten Tagen würde sich der neue Fahrer vorstellen, den Dornhege noch eingeladen hatte. Man würde sehen. Er konnte sich immer noch ärgern, dass er nicht daran gedacht hatte, rechtzeitig auszuschreiben, denn von Leuten gefahren zu werden, die die ganze Zeit devot schwiegen, oder übervorsichtig fuhren, wie die Ersatzfahrer, fand er anstrengend. Vielleicht würde er doch noch ausschreiben müssen. Initiativbewerbungen konnte man nämlich meist abhaken, denn die Leute wussten ja gar nicht, was von ihnen erwartet würde. Er müsste unbedingt noch einen Blick in die Bewerbungsunterlagen werfen.

      Das elektrische Tor schwang auf, bevor er sein Grundstück erreichte, dann passierte er die Natursteinmauer und fuhr die geschotterte Zufahrt zu seiner alten Villa hinauf.

      Er betrat das leere Haus, machte Licht und sah, dass die Putzfrau ganze Arbeit geleistet hatte.

      Sie hatte sogar die Anzüge, die die Reinigung gebracht hatte, an die Garderobe gehängt.

      Seine Schritte hallten durch die Eingangshalle, von irgendwo her war das Ticken einer Uhr zu hören. Noch auf der Treppe entfernte er die Krawatte von seinem Hals und knöpfte die Weste auf. Im Obergeschoss hallte nichts mehr, dafür sorgte der dicke Teppichboden. Bevor der Alte sein Schlafzimmer betrat, sah er den langen Flur entlang, von dem ein paar Zimmer abgingen, die er als Gästezimmer hatte herrichten lassen, die aber äußerst selten Gäste beherbergten, schließlich könnte er sich nicht auch noch um Hausgäste kümmern, und Hauspersonal kam ihm, außer einer Reinemachfrau, nicht ins Haus.

      Beim Einschlafen dachte er noch kurz darüber nach, dass ihm eigentlich auch eine große Eigentumswohnung in der Stadt reichen würde, verwarf den Gedanken aber gleich wieder, denn er mochte seinen großen Garten und die ländliche Umgebung, und wo sollten Kinder in der Stadt schon spielen. Dieser letzte Gedanke erreichte Roger Wulvsen aber schon im Reich der Träume, so dass er sich am nächsten Morgen nicht mehr an ihn erinnern konnte.

      Wulvsen erhob sich lächelnd, als sein Freund von dem Oberkellner an seinen Tisch geleitet wurde.

      „Jürgen, schön, dass du mir beim Essen Gesellschaft leisten willst.“ Die Männer gaben sich die Hände und Link orderte ein Getränk.

      „Schönen Dank für die Einladung, Roger. Ich bin nicht ganz uneigennützig hier.“

      „Ja klar.“, lachte Wulvsen. „Du hast Hunger und gleich gibt’s vorzügliches Essen.“ Link schüttelte lächelnd den Kopf.

      „Neinnein, darum geht es nicht. Jedenfalls nicht nur. Wir sind jetzt soweit.“ Roger schaute etwas dumm.

      „Wer ist wieweit?“ Jürgen lachte.

      „Das weißt du doch, schließlich war das mit der Dienstleistungsfirma deine Idee. Unsere Reinigungsfirma steht, und die Damen könnten loslegen.“ Roger nickte.

      „Gut, dann schicke mir die Unterlagen. Direkt an mich.“ Link hob die Augenbrauen.

      „Persönlich?“

      „Persönlich. Die Sache soll doch ein Erfolg werden, und außerdem habe ich momentan keinen Personalchef.“ Link sah seinen Freund eigenartig an.

      „Es gibt nur ein Problem.“, gab Jürgen zu bedenken.

      „Probleme sind dazu da, dass man sie löst, das weißt du doch.“, lachte Wulvsen. „Worin besteht das Problem?“

      „Die Damen müssen von ihrer Arbeit leben können, manche haben eine Familie zu ernähren, haben Kinder …“ Roger unterbrach seinen Freund durch eine Geste mit der Hand.

      „Das ist kein Problem, wenn sie anstandslos ihre Leistung erbringen.“ Link nickte. So kannte er seinen Freund: immer zupacken, nie etwas liegenlassen, fördern und fordern. Dennoch war etwas neu.

      „Du weißt doch schon seit Jahren, dass ich solche sozialen Projekte durchführe. Bisher hast du dich zwar dafür interessiert, aber wirklich etwas dazu beitragen wolltest du nicht. Wieso hast du es dir anders überlegt?“ Roger sah ihn an und schien dann ernsthaft zu überlegen.

      „Du hast recht. Und du untertreibst, Jürgen.“, nickte er nachdenklich. „Ich fand das bisher manchmal sogar übertrieben. Zu kuschelig, verstehst du?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß