Reiner W. Netthöfel

Tanja liest


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fragte er mit sonorer, neutraler Stimme und dem dazu passenden Blick. Die Angesprochenen nickten. „Sie scheinen unterschiedlicher Auffassung zu sein, wie man zu einem solchen Auswahltermin erscheint.“ Er sah in fragende Gesichter. „Ihre Kleidung.“, erklärte er mit einem hinweisenden Nicken.

      „Ich habs gerne bequem.“, sagte die Schwedin keck, „Ich trage Jeans, so lange ich denken kann. Außerdem hat das die Filiale in Malmö nicht davon abgehalten, mich einzustellen. Ich glaube, Herr Karlsson war ganz zufrieden mit mir. Auch ohne Kostüm.“, bemerkte sie spitz mit einem Seitenblick auf die Esteban. Wulvsen unterdrückte ein Schmunzeln.

      „Ja, die Schweden sind da ziemlich tolerant. Was ist mit Ihnen, Frau Esteban?“

      Die Mexikanerin schob das Kinn ein wenig vor und informierte sachlich: „Ich musste lange genug sehr … einfache Kleidung tragen. Seit ich es mir leisten kann, kleide ich mich, wie ich finde, elegant.“ Sie macht kein Hehl aus ihrer Slumkindheit, dachte Wulvsen zufrieden.

      „Meinen Sie, Frau Olsson, dass Sie in Jeans auch, sagen wir, Konzernchefs oder Politikern angemessen entgegentreten können?“

      „In Schweden hat das geklappt. Es kommt auf die Person an und nicht auf das Äußere, würde ich sagen.“ Wulvsen schien durch sie hindurchzusehen. Der Spruch hätte auch von ihm kommen können.

      „Sie wissen aber schon, dass dies hier eine andere Kategorie ist als Malmö?“ Olsson wurde rot.

      „Ja, schon, aber …“, wollte sie sich verteidigen, wurde aber von einer ungeduldigen Geste des Mannes unterbrochen.

      „Schon gut. - Können Sie beide mit schwierigen Chefs umgehen?“, fragte er mit steinerner Miene. Rehbein horchte auf. Hatte er etwa eben zugegeben, schwierig zu sein?

      „Ich lasse mich nicht verbiegen, bei aller Loyalität.“, entgegnete die Schwedin schnell.

      „Ich habe lange genug Demut gezeigt; ich will gerade bleiben.“, ergänzte die Mittelamerikanerin. Wenn die beiden Damen hinter seine Fassade hätten blicken können, hätten sie ein zufriedenes Schmunzeln gesehen.

      „Welche Konsequenzen würden Sie ziehen, wenn Ihr Chef zu weit ginge, und wann wäre ein solcher Punkt erreicht?“ Das interessierte Rehbein nun auch.

      „Wenn er ungerecht mir gegenüber wäre und sich nicht dafür entschuldigt. Wenn er zudringlich würde.“, war die schwedische Position.

      „Kann ich bestätigen. Auch ständig schlechte Stimmung könnte ich nicht ertragen.“, fügte die Brillenträgerin hinzu und Rehbein hielt den Atem an.

      „Ein paar freundliche Worte können nicht schaden.“, meldete sich die Skandinavierin. Rehbein resignierte kurz, aber nur bis zu nächsten mexikanischen Einlassung.

      „Wären für mich aber nicht Bedingung.“, schwächte die Esteban nämlich ab und Olsson nickte dazu. Rehbein atmete auf.

      Gut, dass der neue Job keine Spaßveranstaltung würde, scheint den beiden hoffentlich klar zu sein, dachte Wulvsen und ließ es dabei, denn die unterschiedlichen Damen hatten Eindruck auf ihn gemacht, und er wollte ihnen durchaus eine Chance geben. Außerdem sprachen ihre Zeugnisse für sich.

      „Würden Sie Ihren Chef in die Schranken weisen? Auch auf die Gefahr hin, dass Sie das den Job kosten würde?“ Internationales Nicken. Rehbein wirkte zufrieden, Betriebsrat und Gleichstellung wollten jedoch beinahe verzweifeln ob der Wulvsenschen Plaudertaktik.

      „Was erhoffen Sie sich von diesem Job?“

      „Es wäre eine Herausforderung.“, erklang es weichgespült und schwarzäugig.

      „Ja.“, bestätigte die Schwedin.

      „In welcher Hinsicht?“

      „Menschlich erst einmal. Herr Wulvsen soll … sehr individuell sein. Andererseits möchte ich lernen, wie so eine Zentrale funktioniert, wie ein solcher Konzern gesteuert wird, und das ganz ohne Leitungsgremien.“, erklärte Olsson.

      „Ich möchte viele wichtige Menschen treffen und aus diesen Begegnungen lernen. Dazu gehört auch Herr Wulvsen, der schließlich diesen Riesenkonzern ganz alleine lenkt.“, ergänzte Esteban. Die nächste Frage ließ Rehbein aufhorchen.

      „Könnten Sie beide sich vorstellen, zusammenzuarbeiten?“ Die Kandidatinnen sahen sich überrascht an, dann sahen sie zum Alten.

      „Ich hasse Zickenkrieg.“, meinte die Gelockte und ließ offen, wie sie das meinte.

      „Konflikte lassen sich lösen.“, erscholl es aus dem lateinamerikanischen Mund, dem schönen.

      Der Alte sah die beiden Kandidatinnen ausdruckslos an, doch zwischendurch erschien ihm für eine Nanosekunde ein anderes Gesicht, und zwar so, dass er es bewusst gar nicht richtig wahrnahm, und das war das lächelnde Gesicht eines gelockten Mädchens.

      Wulvsen unterdrückte geübt ein Lächeln, nahm Rehbeins Zettel, drehte ihn um und schrieb

      beide

      darauf. Dann erhob er sich und ging durch die Nebentür grußlos hinaus.

      Die restliche Kommission hatte sich in den Nebenraum zurückgezogen, wo die Gleichstellungsbeauftragte zunächst einmal die Folgen eines Wutausbruchs beseitigte und Rehbein einen Pullover an sich nahm, so dass die Kandidatinnen nun allein auf die Urteilsverkündung warteten.

      „Weißt du, wer das war?“, fragte die Mexikanerin in ihrem durch spanischen Akzent weichgespülten Deutsch und verbarg zunächst einen Gedanken vor der nunmehr einzig verbliebenen vermeintlichen Konkurrentin.

      „Keine Ahnung, aber merkwürdig war das schon.“, erwiderte die Schwedin hart und hatte der Mittelamerikanerin damit gar nichts zu verbergen. „Der sah aus wie ein ganz normaler mittlerer Angestellter.“

      „Seine Schuhe waren teuer; maßgefertigt.“ Ella sah Tonia an.

      „Das hast du gesehen? Kannst du das beurteilen?“

      „Als er hinausging. - Mein Vater hat mal Schuhe gemacht.“

      „Aha. Als er draußen an uns vorbeigegangen ist, hat er uns jedenfalls sehr genau angesehen.“

      „Das wiederum habe ich nicht bemerkt.“

      Sie schwiegen eine Weile, wie auch im Nachbarraum nach einer kurzen Anweisung Rehbeins geschwiegen wurde. Die Entscheidung war gefallen, das Verfahren war korrekt abgelaufen, es war nichts mehr zu diskutieren, obwohl Wulvsens Entscheidung für die Verdoppelung seiner Vorzimmerbesatzung überraschend gekommen war.

      „Meinst du, er könnte es gewesen sein?“, fragte Tonia.

      „Wer?“

      „Der Typ eben.“

      „Wer soll das gewesen sein?“, verlangte die Schwedin Klarheit.

      „Der Alte.“

      „Welcher Alte?“ Hatte Ella kurze Zeit den Eindruck gehabt, mit der Mexikanerin vielleicht klarkommen zu können, kamen ihr jetzt Zweifel. Tonia erging es allerdings nicht anders.

      „Na, Wulvsen.“, erklärte Tonia und verdrehte die Augen. Ella warf sich zurück in ihre Stuhllehne.

      „Das war ein Mann ohne Jackett, mit offenem Hemd und nicht vernünftig gebundener Krawatte. Absolut mittelmäßig. Gerade du solltest einschätzen können, dass einer der wichtigsten Wirtschaftslenker nicht so daherkommt.“

      „Was heißt ‚gerade ich‘?“, begehrte Tonia auf. Ella machte eine Geste.

      „Na ja, du achtest doch sonst so auf das Äußere.“

      „Ich habe sein Hemd und seine Krawatte gesehen.“, meinte sie und erklärte damit für Ella nichts.

      „Was