Reiner W. Netthöfel

Tanja liest


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zuckte die Schultern, als die drei scheinbaren Entscheider wieder hereinkamen, sich aber nicht setzten.

      „Wir werden es mit Ihnen beiden probieren.“, verkündete Rehbein, „Und das ist wörtlich zu nehmen. Die Probezeit beträgt sechs Monate. Ihr Inventar wird umgehend nach Deutschland gebracht. Ihnen wird empfohlen, hier in der Nähe Wohnung zu nehmen. Die Firma hilft. Ich bringe Sie jetzt in die Personalabteilung, wo alles weitere erledigt wird, wenn Sie einverstanden sind. Dann kommen Sie zu mir und wir beginnen mit der Einarbeitung. Noch Fragen?“

      Die beiden Kandidatinnen lächelten nach einer Schocksekunde erst verschämt, und dann erleichtert und glücklich.

      „Wann werden wir Herrn Wulvsen kennenlernen?“, fragte Ella und sah Rehbein direkt an, die allerdings den Blick mild erwiderte und orakelte:

      „Das entscheidet Herr Dr. Wulvsen.“

      „Ich habe gelesen, dass wir jederzeit gekündigt werden können.“, reklamierte Tonia. Rehbein lächelte nachsichtig.

      „Ja, das ist richtig. Solch eine Klausel haben wir alle in unseren Verträgen, aber Sie müssen ihn gründlich lesen: für eine Kündigung muss es nämlich handfeste Gründe geben.“

      „Wie lange sind Sie schon dabei?“

      „Fast dreißig Jahre.“, warf Rehbein in den Raum. „Allerdings leitet Herr Dr. Wulvsen die Firma erst seit ungefähr zwölf Jahren, und entsprechend wurden von ihm die Arbeitsverhältnisse … angepasst.“

      „Aber das ist doch unanständig!“, rief Olsson dazwischen. Rehbein sah sie geduldig an.

      „So sind die Regeln. Die Bezahlung ist ja auch unanständig.“, konterte sie lächelnd und hatte natürlich recht. Wulvsen wusste, was er seinen Leuten mit sich zumutete, und das versuchte er mit einigem Erfolg zu vergelten. Allerdings konnte nicht die Rede davon sein, dass er die Menschen kaufte, dafür waren sie zu sorgfältig ausgewählt. Nun ja, manchmal eben, wie das Beispiel Dornhege zeigte, nicht sorgfältig genug.

      Rehbein führte die jungen Frauen zur Personalabteilung und suchte dann das verwaiste Vorzimmer auf. Sie klopfte an die Cheftür und trat ein. Wulvsen lehnte sich zurück, sah sie mit dem Anflug eines Siegerlächelns an und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. ‚Na, wie habe ich das gemacht?‘, sollte das wohl heißen. Elke Rehbein lächelte ebenfalls und nickte ihm zu.

      „Gute Entscheidung.“, meinte sie.

      „Denke ich auch.“, lobte sich ihr Chef.

      „Wollen Sie sie gleich sehen?“

      „Nein, das wird sich schon noch ergeben. Ist Dornhege mit seinem Spezi schon weg?“

      „Er packt seine Sachen.“

      „Gut, sehr gut.“, nickte er, doch Rehbein hatte offenbar noch etwas auf dem Herzen. „Was noch, Rehbein?“, fragte er deshalb, und zwar einigermaßen freundlich. Seine Sekretärin sah ihn mutig an.

      „War das eine spontane Entscheidung, beide zu nehmen?“ Wulvsen setzte sich gerade hin und legte seine Hände auf den Schreibtisch. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden.

      „Was heißt schon spontan? Vor ein paar Tagen hatte ich diese Idee ...“ Er überlegte und sah Rehbein dabei genau an, doch die hielt seinem Blick stand. Und dann ließ er seine scheidende Sekretärin einen kleinen Einblick in seine zukünftige Strategie nehmen, ohne zu viel preiszugeben, doch das wäre ohnehin nicht gegangen, denn was er Schritt für Schritt vollziehen würde, entsprang gar keinem konkreten und detailreichen Plan, sondern geschah, wie das manchmal bei ihm vorkam, völlig intuitiv vor dem Hintergrund einer vagen Idee, aber diesmal spielte nicht nur sein Bauchgefühl eine Rolle, sondern auch sein Unterbewusstsein, das bestimmte Ahnungen hatte, und noch etwas anderes, das sollte ihm später klarwerden. „Die Damen werden mehr sein müssen als Sekretärinnen, so denke ich mir das zumindest. Die Firma ist zu groß geworden, als dass ich mit einem Sekretariat herkömmlicher Art auskäme.“ Jetzt grinste er wieder. „Aber sagen Sie ihnen nichts; sonst werden sie noch übermütig.“ Rehbein nickte, weil sie glaubte, etwas verstanden zu haben und sah zu Boden.

      „Danke.“, sagte sie leise.

      „Wofür?“, fragte der Alte erstaunt.

      „Dass Sie mit der Umstrukturierung gewartet haben, bis ich in Pension gehe.“, flüsterte sie, meinte aber durchaus noch mehr. Wulvsen schüttelte leis den Kopf, stand auf und stellte sich vor Rehbein. Gut, dann wäre der Zeitpunkt für klärende Worte eben jetzt gekommen. Er fasste sie an den Oberarmen und sah sie ernst an.

      „Ich habe nicht gewartet. Wenn ich diese Idee eher gehabt hätte, und ich hätte sie viel eher haben müssen, wären Sie auf jeden Fall mit dabei gewesen, glauben Sie mir. Und zwar nicht als Sekretärin, ich weiß schließlich, was Sie können. Ich wollte Sie mit diesem Schritt zu diesem Zeitpunkt nicht brüskieren. Sie glauben gar nicht, wie wertvoll Sie für mich waren all die Jahre. Nein, es war reiner Zufall, dass ich vor ein paar Tagen auf diesen Gedanken gekommen bin.“

      Rehbein glaubte ihrem Chef, denn wenn er eines nicht täte, dann wäre das, nicht die Wahrheit zu sagen, das wusste sie besser als kaum ein anderer, und dass er sie schätzte, hatte er mehr als einmal deutlich gemacht. Sie würde alles dafür tun, dass die beiden netten Frauen die nächsten Wochen durchhielten.

      „So, da sind wir.“ Das internationale Duo stand etwas unschlüssig in dem riesigen Vorzimmer und sah sich interessiert um. Beeindruckend fanden sie das Panoramafenster, das die Außenwand des Raumes darstellte und einen weiten Blick über die Stadt bot. Rehbein blickte mit ihren hellblauen, wachen Augen auf, lächelte flüchtig und dann setzten sie sich zu dritt an einen kleinen Besprechungstisch. Rehbein zögerte etwas, denn sie war ein wenig ratlos, weil mit der geplanten Modifizierung des Vorzimmers sicherlich auch eine Veränderung der von dort zu erledigenden Aufgaben einhergehen würde. Genaueres wusste sie aber natürlich nicht, denn schließlich hatte Wulvsen keine weiteren Erläuterungen von sich gegeben. Vielleicht wusste er selbst noch nichts Genaues, das traute Rehbein ihrem Chef durchaus zu. Wulvsen hatte in der Vergangenheit schon des Öfteren etwas angestoßen, ohne ein ganz konkretes Ziel vor Augen gehabt zu haben, hatte in den in Gang gesetzten Prozess steuernd eingegriffen, und irgendwann hatte es ein Ergebnis gegeben, das nie enttäuschend gewesen war. Wenn er also erst vor ein paar Tagen diese Idee gehabt hatte, würde er die Dinge sich vielleicht einfach entwickeln lassen, vermutete Rehbein. Sie räusperte sich.

      „Morgen wird hier ein zweiter Schreibtisch stehen, den Sie sich erstmal teilen müssen, bis ich weg bin, das wird aber gehen. In den nächsten Tagen können Sie zu Hause alles abwickeln, die Firma hilft Ihnen dabei. Das Geschäft kennen Sie ja, Sie haben ja bisher auch schon Ähnliches gemacht, nur eben etwas weniger wichtig, ein paar Nummern kleiner. Hier wird es für Sie im Wesentlichen darauf ankommen, ihm den Rücken freizuhalten, seine Zeit zu managen, Entscheidungen vorzubereiten …“

      „Machen das nicht die Fachabteilungen?“, unterbrach sie Olsson.

      „Sie werden bald schon merken, dass die Fachabteilungen nur zuarbeiten, Sie müssen diese Zuarbeit für ihn vorbereiten und aufbereiten; es gibt da so ein Berichtssystem, das er erfunden hat, ich werde es Ihnen erklären; die Entscheidungen fällt Herr Doktor Wulvsen. Und zwar ausschließlich alleine. Sie werden das bald merken. Sie werden auch bald merken, dass das hier alles etwas anders ist als Sie es gewohnt sind. Natürlich gibt es die normalen Sekretariatsaufgaben, wie Sie sie kennen, die werden aber im wesentlichen von einem weiteren Büro wahrgenommen, das Ihnen zuarbeiten wird. Wichtig ist die Koordinierung der Termine, und das hängt in gewisser Weise auch mit seiner Disposition zusammen, also, wie er gerade drauf ist, wie man heute sagt. Sie müssen da sehr flexibel sein und gut aufpassen.“, erklärte Rehbein geheimnisvoll.

      „Wie sollen wir feststellen, wie er drauf ist?“

      „Oh, seinen Gemütszustand kann man sehr schnell feststellen, zumindest hier, im fast persönlich-privaten Bereich. Bei offiziellen