Reiner W. Netthöfel

Tanja liest


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durchmaß, ohne einen Blick auf die Anwesenden zu werfen, das Vorzimmer und stürmte davon. Rehbein atmete erleichtert aus.

      „Die sollten sich warm anziehen.“, murmelte sie.

      Als der Konzernlenker 23 kampflos erobert hatte, staunten die Asiaten nicht schlecht. Statt eines distinguierten Herren stand ihnen grußlos ein Kampfstier gegenüber, der zudem noch unangemessen gekleidet war. Sie begannen, den Gerüchten Glauben zu schenken, und hatten damit mindestens die erste Runde schon verloren. Sie hätten sich damit trösten können, dass zu diesem Zeitpunkt hierin kein Mensch auf der Welt hätte punkten können, außer vielleicht ein kleines Mädchen, aber dies wussten sie nicht. Der anwesende Abteilungsleiter berichtete später hinter vorgehaltener Hand, dass die Gäste kaum zu Wort gekommen seien und der Alte ihnen seine Bedingungen quasi diktiert hätte. Seinen Enkeln würde er allerdings eine andere Geschichte erzählen, die seine Rolle, die real gar keine gewesen war, in ein gutes Licht stellte.

      „Na, wie war es?“, fragte Rehbein den Abteilungsleiter, der ziemlich geschafft im Vorzimmer erschienen war.

      „Ich habe so etwas noch nicht erlebt, und das sage ich, obwohl ich es jede Woche sagen könnte. So eine Energie! Er hat sie ausgezogen, ohne dass sie das gemerkt haben, Rehbein. Ich bin nur froh, dass ich nicht in ihrer Haut gesteckt habe. Mannomann. Immerhin war der Vizewirtschaftsminister dabei. Diplomatie ist garantiert nicht seine Stärke.“

      „Täuschen Sie sich nicht, wenn es drauf ankommt, kann er auch anders.“, behauptete Rehbein selbstsicher.

      „Das scheint aber selten zu passieren. Ich habe ihn jedenfalls bisher nicht anders als als Dampframme erlebt.“ Tonia und Ella konnten ein Kichern gerade noch vermeiden.

      Als der Abteilungsleiter gegangen war, fragte Ella zweifelnd: „Kann er wirklich diplomatisch sein?“ Rehbein lachte.

      „Ich habe es zwar noch nicht erlebt, aber ich denke schon, das heißt, ich hoffe es eher. Dem Unternehmen hat seine Art allerdings noch nicht geschadet.“

      Der Erfolg der asiatischen Begegnung führte nun dazu, dass Wulvsen nicht wieder in sein Zimmer strebte, sondern, außerordentlich und für ihn selbst eigentlich auch nicht erklärlich, den normalen Lift in die Eingangshalle nahm, um eine potenzielle Fahrerin vor dem Gebäude zu treffen und sie von der Zwecklosigkeit ihrer Bewerbung zu überzeugen, was zu schaffen er sich nach dem eben beendeten Geschäftsgespräch als Leichtigkeit vorstellte. Innerlich unter Druck, schoss er aus dem Aufzug an ängstlich vor dem grimmigen Mann zurückweichenden Wartenden, einer Wachfrau, einer Rezeptionistin, die sich sicherheitshalber am Empfangstresen festhielt und dem glatzköpfigen Pförtner, der mit einem Blick auf ein Foto seines Chefs, das er vorsichtshalber, damit er ihn im Zweifelsfalle erkenne, auf seinem Tisch liegen hatte, erkannte, um wen es sich bei dem Eiligen handelte und der sofort den Kalendertag rot einkreiste, weil er heute nach fünf Jahren zum ersten Mal seinen obersten Vorgesetzten gesehen hatte, vorbei und auf die elektrische Drehtür zu, die ihm eindeutig zu langsam lief. Und dann stand er draußen und wusste selbst nicht genau, warum. Ein Grund fiel ihm allerdings spontan ein. Direkt vor der Tür stand nämlich ausnahmsweise sein Mercedes, und wurde von einer großgewachsenen, blonden Frau mit, wie er herausfand, stahlblauen Augen, umrundet. Er hielt inne, ließ sich Zeit, beobachtete die Frau eine Weile und musste zu seiner eigenen Überraschung feststellen, dass sein Ärger zum großen Teil verraucht war, was er der äußeren Erscheinung der Frau wenigstens zum Teil, aber nur widerwillig zuschreiben wollte.

      Mit weichen Knien schlenderte Svenja betont langsam über den leeren Vorplatz auf das verglaste Hochhaus zu, der Konzernzentrale von Wulvsen. Noch hätte sie Zeit umzukehren, aber das war nicht ihre Art. Überhaupt nicht. Vor dem Eingang stand eine schwarze R-Klasse in Langversion. Sie hatte sich immer schon gewünscht, ein solches Auto zu fahren und umrundete es interessiert. DO-RW-2, lautete das Kennzeichen. Plötzlich stand ein unscheinbarer Mann im Hemd vor ihr, und fragte, ob sie das Auto kaufen wolle.

      „Wollen Sie ihn kaufen?“, fragte er, mit untypisch in die Hosentaschen gesteckten Händen provokativ. Die Frau, sie mochte Anfang dreißig sein, was aber auch täuschen konnte bei ihrem eher maskulinen Typ, sah ihn mit gerader, schmaler Nase, hohen Wangenknochen, gebräunter Haut und etwas schmallippig, also umwerfend schön, an und schüttelte den Kopf.

      „Nicht meine Preisklasse.“, meinte sie mit dunkler Stimme und musterte den Grauhaarigen mit der unkonventionellen Kleidung abschätzig.

      „Sind Sie der Leiter des Fuhrparks?“, wollte sie dann noch wissen. „Ich habe nämlich jetzt ein Vorstellungsgespräch.“ So ein Zufall, dachte sich Roger, das ist also die Möchtegernfahrerin, die Initiativbewerberin. Aus irgendeinem Grunde schickte er die Frau nicht direkt nach Hause, wie er das noch vor ein paar Wochen gemacht hätte, sondern entschloss sich, sie ein wenig näher kennenzulernen, später könnte man ja weitersehen, denn sie hatte sich ausdrücklich als Cheffahrerin beworben, und da er in diesem Zusammenhang davon ausgehen musste, dass alle Welt wusste, wer bei Wulvsen der Chef war, musste ihr entweder etwas entgangen sein, oder sie liebte das Risiko.

      „In gewisser Weise bin ich der Leiter, ja.“, entgegnete er kryptisch, aber nicht unfreundlich. Die breitschultrige Blondine, die ihr Haar hochgesteckt hatte, in schwarzem Hosenanzug und weißer Bluse daherkam, legte ihren Kopf schräg, was der vermeintliche Fahrdienstleiter nun wieder ganz apart fand.

      „Ich bin mit einem Herrn Dornhege verabredet.“ Rogers Miene, die gerade noch den Eindruck erwecken konnte, als wolle sie ein sehr frühes Morgengrauen darstellen, verfinsterte sich.

      „Der ist nicht mehr hier beschäftigt.“, wurde sie brummend informiert; spätestens nach dieser Aktion hätte er seine Kündigung verdient gehabt, dachte Wulvsen.

      „Vertreten Sie ihn?“, wollte nun die Blonde Näheres erfahren.

      „In welcher Funktion?“, fragte der Alte lauernd und eine Antwort vermeidend zurück, und die Blonde mit der umwerfenden Figur zuckte die Schultern.

      „Na ja, ich hatte einen Termin mit dem Personalchef.“, schlug sie eine Möglichkeit vor, erhielt aber keine als befriedigend anzusehende Antwort.

      „Fahren wir erstmal das Auto in die Garage.“, gab der Alte stattdessen das weitere Vorgehen vor und kramte den Schlüssel aus seiner Hosentasche. „Sie fahren. – Wie heißen Sie überhaupt?“ Ariel hatte mittlerweile in Erwägung gezogen, dass dieser etwas spezielle Herr möglicherweise mit ihrer Bewerbung zu tun haben könnte; vielleicht war er in der Personalabteilung beschäftigt und mit einem besonderen Auftrag hier.

      „Haben Sie die Unterlagen nicht gelesen?“, konterte sie deshalb versuchsweise, was seine linke Augenbraue sich lupfen ließ.

      „Nicht ganz.“, gab er zu, wusste aber in diesem Augenblick nicht genau, ob er gerade dies vielleicht besser hätte tun sollen, denn die Frau begann aus bestimmten Gründen, ihn zu interessieren. Ariel bemerkte zufrieden, dass sie mit ihren Annahmen offenbar nicht ganz falsch gelegen hatte, und entschloss sich, ihren Namen preiszugeben.

      „Ich heiße Svenja Ariel.“

      „Interessanter Name.“, murmelte er. Sie stiegen ein. Bevor sie den Wagen anließ, fragte sie: „Darf ich auch Ihren Namen erfahren?“ Er starrte geradeaus.

      „Nein.“ Sie zeigte keine Reaktion, was ihm imponierte und er die Richtung. Allerdings fühlte sie sich nicht ganz wohl dabei, mit einem Unbekannten in einem fremden Auto zu sitzen, aber die Ungewöhnlichkeiten, das konnte sie aber nicht wissen, hatten gerade erst begonnen.

      Ariel ließ den Wagen an und lauschte eine Sekunde den Geräuschen des Motors, die freilich kaum zu hören waren. Kurz schloss sie die Augen, bevor sie losfuhr. Wulvsen war dies nicht verborgen geblieben und ihm gefiel das, offenbarte es doch eine gewisse Leidenschaft für die Technik, die der Wagen bot.

      Als sie in dem fast leeren Teil der Tiefgarage geparkt hatten, in dem nur noch ein Duplikat ihres Wagens stand, fragte er ohne Hinterlist, aber mit Interesse, und weil diese Frage ihm gerade in den Sinn gekommen war: „Warum haben