nahm die Brille runter. Das war vielleicht besser. „Rico kommt jeden Moment vom Dienst. … Frau Herfurth.“ „Sie haben immer Besuch. Bei mir kommt keiner.“ Das war doch trotzdem kein Grund. Ich versuchte es nach allen Regeln der Kunst. Die Frau begriff es nicht.
Die machte nicht mal Anstalten, zu gehen, wie mein Mann kam. Wir hatten nur vier Stühle. Vielleicht hätte ich mich auch gern gesetzt. Rico zog sich nicht mal sein weißes Hemd aus. Er hatte einfach nur Hunger. „Was willst du denn haben? Mittag oder Kuchen?“ „Was gab es denn?“ „Hähnchen.“ Das Leuchten in seinen Augen sagte alles. Und er schaufelte auch rein, als hätte er drei Tage lang nichts gekriegt. Nachdem er fertig war, meinte sie: „Dann will ich mal hochgehen.“ Wie sie zur Tür raus war, sprach Jana ganz entsetzt zu Rico: „Dass du bei dem Anblick essen konntest.“ „Ich hatte Hunger.“ „Na trotzdem.“
Danach machten die beiden los. Wir gingen alle mit runter. Ich wollte eh Gassi. Auf einmal kam Tusnelda. Sie müsste mal an die Luft. Ob sie Timmy mitnehmen könnte. „Von mir aus.“ Der Kleine ging auch anstandslos mit. Dann hatte er Druck auf der Düse. Während wir alle noch bisschen schnatterten, sah ich den beiden kurz hinterher. Na. Die hatte doch Schlagseite. Ich tippte Rico an. „Guck mal. … Soll ich nicht besser?“ „So kommt sie wenigstens wieder heim.“ Da hatte er Recht. Unser Junge kannte ja den Weg.
Sie waren ewig weg. Zumindest in meinen Augen. Ich hatte schon einen Puls. Plötzlich hörte ich was im Hausflur. Ich riss die Wohnungstür auf. Da kam mir auch schon Timmy entgegen. „Sag mal. Dein Ding ist doch ganz verdreht.“ Damit meinte ich sein Geschirr. Wie hatte er denn damit laufen können? Das lange Teil auf dem Rücken und das kurze am Bauch. „Mein armer Junge.“ Das musste den doch gedrückt haben. Tusnelda hatte bisschen Probleme mit der Treppe. Wie sie es endlich bis zu uns in den ersten Stock geschafft hatte, nuschelte sie: „Is … aus `m … Ge … schirr ge…rutschschscht.“ Sie wären nämlich noch an der Tankstelle gewesen, erfuhr ich nach gefühlten zehn Minuten. Die musste doch spinnen. „Der rutscht nicht so einfach raus.“ „Doooch. Da waaar … so en … Rad … fahrer.“ Das war das Einzige, was er nicht abkonnte. „Und was habe ich Ihnen gesagt? Dass Sie die Leine kurznehmen sollen, wenn so was ist und dass Sie ihn aber vor sich lassen. Wenn Sie ihn hinter sich nehmen, kann er den Kopf rausziehen. … Ach.“ Die kapierte doch eh nichts mehr. „Schönen Abend.“ Und dann machte ich die Tür von drinnen zu.
Die nächsten zwei Tage ward sie nicht gesehen. Entweder hatte sie wieder ihre Saufphase oder einen Depri. „Und nun?“, fragte ich Rico. „Wir werden schon klarkommen. Zur Not habe ich noch Ela.“ Dort ging Timmy gerne hin. Und von der wusste ich auch, dass sie sich rührend um ihn kümmerte. Die wäre auch zum Tierarzt gefahren, wenn er irgendwas gehabt hätte. Aber in den Nachtschichten fuhr unser Kind eh lieber mit Vati mit. Und der wiederum freute sich, dass er noch einen Aufpasser mit dabei hatte. Timmy schlug hundert pro an. Und der hatte ein Organ, dass man dachte, es sei ein Riesenhund.
Anderntags ging ich auf Reise. Rico hätte mich auch gefahren. Aber das wollte ich ihm nicht antun. Das wären vier Stunden gewesen. Mit der Rückfahrt. Und das war Zeit, die er nicht hatte. Aber ich fuhr eh gern Zug. Da sah ich raus und träumte vor mich hin. Ich schaltete also völlig ab.
In den zweieinhalb Wochen dachte ich nicht einmal an unser Haus und Tusnelda. Ich genoss einfach nur die Ruhe. Kein Großstadtlärm, keine Beutelstände. Zudem war schönes Wetter, wo ich draußen sitzen konnte. Bei meiner Freundin musste ich mich nicht totmachen. Es sollte einfach nur jemand da sein, wenn sie im Urlaub waren.
Aber alles hatte nun mal ein Ende. Kaum war ich wieder daheim, klingelte Tusnelda. Hatten wir eine Wanze? Sie wollte wissen, wie es so gewesen wäre. Natürlich bat ich sie auf eine Zigarette herein. Anschließend erklärte ich ihr, dass ich jetzt aber gern meine Taschen ausgepackt hätte. Wie ich das erledigt hatte, lief ich zu Lidl. Im Kühlschrank sah es etwas traurig aus. Und wenn traf ich dort? Meine liebe Obermieterin. Nun musste ich mit der auch noch zurücklaufen.
Eigentlich hatte sie schon fast alles erfahren. Sie musste abends trotzdem noch mal klingeln. Meine Fresse, nein. „Was haben Sie denn?“ Ehe sie mal auf dem Punkt kam. Sie hätte sich mit um Timmy gekümmert, während ich nicht dagewesen wäre. Das hieß dann, dass sie Geld brauchte. Na ja. Es war wieder Monatssende. Und ehe ich mir was nachsagen ließ. Ich gab ihr dreißig Euro. „Will ich nicht wieder. Ist fürs Kümmern. … Würden Sie Timmy morgen nehmen? Wir wollen mal in die Sauna. Rico hat Geburtstag.“ „Na sicher. Ihr Mann braucht auch mal eine Auszeit. Der arbeitet ja nur.“ „Danke.“ „Wann kommt er hoch?“ „So gegen zehn.“ „In Ordnung.“
Wie ich Timmy gegen sechs abholte, war sie relativ normal. Sie erzählte mir, was sie für eine große Runde gedreht hätten. Und dass er mittags mit in ihrem Bett geschlafen hätte. „Hat sich ganz schön breit gemacht. Ich hatte kaum Platz.“ „Was nehmen Sie denn den auch mit rein.“ „Na ja. … So hatte ich wenigstens mal was zum Kuscheln. Habe ihm auch schön den Bauch gegrault.“ „Ist mir klar, dass ihm das gefällt.“
Am nächsten Tag bettelte sie wieder nach Geld. „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie in zwei Tagen dreißig Euro verkloppt haben?“ „Zweimal Frühstück. Mittag. Und Abendbrot.“ „Sie essen schon mal gar nichts. Das erzählen Sie mir ja immer. Und Sally …“ „Sidney war doch da.“ „Und der ist nur Toastbrot und Salami. Und mittags Fischstäbchen. Was anderes habe ich doch noch nie von Ihnen gehört. Gut. Reissuppe oder Möhrensuppe ohne Fleisch. Und jetzt wollen Sie mir einreden, dass das Geld alle ist.“ „Meine Kinder brauchen doch aber was zu Essen.“ Geld hatte ich echt keins mehr im Portemonnaie. Davon abgesehen, hätte sie es eh für was anderes ausgegeben. Kartoffelsalat hatte ich genug gemacht. „Eier haben Sie?“ „Ja.“ Und Linsen waren auch noch übrig von gestern. „Hier.“ „Danke.“
Eine Stunde später musste sie mir erzählen, dass Sally happy gewesen wäre über die Linsen. Klar. Weil bei mir auch Fleisch drin war. „Frau Herfurth. Zwei Scheiben Bauchspeck kosten eins neunundfünfzig. Und so, wie Sie mir immer erzählen, isst Ihre Tochter nicht viel. Also brauchen Sie bloß eine. Und was kostet die dann?“ Sie guckte wie so ein Toastbrot. „Oder Sie machen alles und frieren was ein.“ „Wo denn?“ „Also Frau Herfurth.“ „Die drei Körbe unten sind aber voll.“ „Ich denke, Sie haben nichts zu Essen.“ Sie lenkte gleich vom Thema ab. „Sally war jedenfalls happy, wo sie gehört hat, dass Sie die Linsen gekocht haben.“ Das sollte der Frau doch eigentlich zu denken geben.
Ich bot ihr einen Platz an und stopfte uns eine Zigarette. Nebenbei fragte ich sie, ob denn mein Stopfer noch leben würde. „Ja.“ „Der war nur geborgt.“ „Ich weiß.“ „Bei TEDi gibt es welche für zwei Euro. Da können Sie sich doch wohl mal einen holen.“ „Wollte ich ja schon laufend. Vergesse ich bloß immer.“ „Mal auf den Zettel schreiben.“ „Mache ich dann auch gleich.“ „Frau Herfurth. Um noch mal aufs Essen zurückzukommen. Es kann doch nicht so schwer sein. Sie haben doch ein Kochbuch.“ Ihre Gusche ging. Ich musste sie unterbrechen. „Frau Herfurth. Es gibt so viele einfache Gerichte. Und die kosten nicht viel Geld. Fangen Sie endlich an, sich einen Essensplan zu machen. Und nach dem machen Sie Ihren Einkaufszettel. … Sie sind doch noch alte Garde. Wie war es denn zu Ostzeiten? Die Frau hat hundert Mark in der Woche gehabt. Und damit musste sie auskommen. Wenn sie gut gewesen ist, konnte sie sich noch eine Strumpfhose für vierzehn fünfzig kaufen oder zum Friseur gehen.“ „Da war aber auch das Fleisch nicht so teuer.“ „Erzählen Sie doch nicht solchen Kack. Dafür hat die Butter zwei Mark vierzig gekostet. Und was kam der Kaffee?“ „Trinke ich ja gar nicht. Weil ich keine Maschine habe.“ Also die schaffte mich auch noch mal. „Ist doch nun egal. Dann trinken Sie eben keinen. Auf alle Fälle können Sie heutzutage viel preiswerter einkaufen. Und gerade Sie. Sie haben doch alle Zeit der Welt. Sie können früh zu Lidl gehen. Da gibt es Brot zum halben Preis. Frieren Sie es sich portionsweise ein.“ „Ich habe jetzt andere Sorgen.“ „Und was?“ Sie hätte ein Schreiben von Kabel Deutschland gekriegt und vom Anwalt zwecks Vollstreckung. „Sie haben wohl nicht bezahlt?“ „Wenn ich es nicht nutzen kann.“ „Das hat doch damit nichts zu tun. Wenn Sie einen Handyvertrag haben und nicht anrufen, ist es doch auch Ihr Problem.“ „Ihr Mann wollte mir ja das Gerät anschließen.“ Also jetzt war es gut. „Das hat er nie gesagt und würde das