Christine Boy

Sichelland


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es weitergehen soll! Weiter an der Küste entlang oder direkt nach Süden? Ich sags dir, aufs offene Meer raus – das is' gefährlich! Weiss nich, ob die Barke das schafft! Aber es spart Zeit! Ich würd's nich machen, aber fragen muss ich dich ja!“

      „Wieviel länger dauert es denn, wenn wir den sicheren Weg nehmen?“

      „Mindestens einen Tag! Wenn's Wetter so bleiben würde, könnte man's vielleicht riskieren. Aber wenn ein Sturm kommt...“

      Ein Tag. Zuviel, um den Vorteil zu ignorieren. Die Entscheidung war schwierig.

      „Wenn's hell is, kann ich vielleicht mehr sagen. Wegen dem Wetter!“ rief Yos jetzt.

      Sara nickte. „Tu, was du für richtig hältst! Ich will so schnell wie möglich in den Süden. Aber vor allem will ich lebend dort ankommen!“

      „Bis Sonnenaufgang bleib' ich in der Nähe der Küste! Is' sicherer! Ich mach' das schon! Kannst noch schlafen, hier würd' ich dich nich' mal fahren lassen, wenn's hell wäre!“

      Doch das Tosen und Heulen und das jetzt viel stärkere Schaukeln des Bootes machten es Sara schwer, wieder zur Ruhe zu kommen. Immer, wenn sie gerade wieder in den Schlaf hinüberglitt, riss eine besonders hohe Welle oder eine starke Böe sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Ihre Erschöpfung siegte erst im Morgengrauen.

      Horem strahlte, als er die Anhöhe wieder herabstieg. Es war die erste größere Erhebung seit vielen Stunden und somit eine Gelegenheit, die Gegend weiter zu überblicken als bisher. Inzwischen war es vollständig hell geworden, der Nebel aber war geblieben.

      „Der Drei-Morgen-Wald!“ rief er seinen Gefährten zu, die ihn gerade einholten. „Man kann ihn bereits sehen! Es ist nicht mehr weit!“

      „Wie weit genau?“ fragte Lennys.

      „Ein paar Stunden. Noch vor dem Mittag sind wir raus aus diesen widerlichen Sümpfen!“

      „Ich kann es kaum erwarten.“ Auch Rahor setzte nun wieder eine freundlichere Miene auf. „Gab es sonst noch etwas Interessantes zu sehen?“

      „Keine Hantua, wenn du das meinst.“

      „Und sonst?“

      „Nebel. Und noch mehr Nebel. Scheint aber am Wald besser zu werden.“

      „Sehr aufregend.“ meinte Lennys trocken. „Nebel also. Da wären wir ohne dich sicher ganz überrascht gewesen.“

      Erstaunt drehte sich Rahor zu Lennys um. So viel Humor bewies sie ausgesprochen selten. Gerade in den letzten Stunden war er sicher gewesen, ihre Laune bewege sich stetig einem absoluten Tiefpunkte entgegen. Mit diesem Empfinden war er auch nicht allein, denn sämtliche Cas vermieden überflüssige Wortwechsel und unnötige Verzögerungen, um nicht Ziel eines plötzlich hervorbrechenden Wutanfalls ihrer Herrin zu werden.

      Und nun das.

      „Ich hab Hunger!“ bemerkte Haz-Gor, ebenfalls ermutigt durch Lennys' letzte Bemerkung. „Altes Brot und getrockneter Fisch – ich brauch endlich was Vernünftiges zwischen den Zähnen!“

      „Vielleicht hätten wir Afnan mitnehmen sollen.“ Zom setzte einen träumerischen Gesichtsausdruck auf. „Der hätte uns einen leckeren Sumpfwurmeintopf kochen können.“

      Die Cas lachten.

      „Oder Stechmückensuppe!“

      „Krötenbraten!“

      „Schlangeneier!“

      Mit einem Mal schienen alle wie ausgewechselt und alberten durcheinander. Lennys sah sich den plötzlichen Ausbruch nicht lange an.

      „Genug jetzt! Sobald wir am Waldrand sind, werden Haz-Gor und Zom sich um etwas Essbares kümmern. Das Jagen habt ihr ja wohl nicht verlernt?“ Ohne ein weiteres Wort stieß sie dem Hengst die Fersen in die Flanken. Sie kamen jetzt erheblich schneller voran, seit die Tümpel und Schlammlöcher immer weiter von ihrem Weg zurückwichen. Dennoch mussten sie noch immer mit zahlreichen Tücken kämpfen. Nicht lange, nachdem sie die Anhöhe hinter sich gelassen hatten, entkam Horem beim Untersuchen einiger abgebrochener Schilfhalme nur knapp den Zähnen einer Wasserschlange, die er aufgeschreckt hatte. Und gleich darauf mussten sie einen weiten Bogen um einen See herum schlagen, aus dem stinkende Blasen aufstiegen und an dessen Ufer der Boden wieder viel zu sumpfig wurde, um gefahrlos entlangreiten zu können.

      Doch dann endlich veränderte sich ihre Umgebung immer schneller. Schlamm wandelte sich zu fester Erde, Schilf und Schlingpflanzen machten buschiger Vegetation Platz und statt dem Sirren der Stechmücken und dem nie ganz verebbenden Jaulen, das den Singenden Sümpfen ihren Namen gab, dominierte bald wieder der Gesang von Vögeln.

      „Singende Sümpfe.“ schnaubte Faragyl. „So ein Blödsinn. Stinkende Hölle sollten sie es nennen. Das war ja nicht zum Aushalten!“

      Im Schutze mehrerer alter Kiefern gönnten sie sich jetzt eine Pause. Haz-Gor und Zom erfüllten ihre Pflicht und hatten sich gleich aufgemacht, um den Wald nach Nahrung zu durchstreifen, während sich die anderen um Feuerholz, frisches Wasser und die Versorgung der Pferde kümmerten.

      „Hier ist der Winter wohl wirklich vorbei.“ Rahor zupfte am Zweig einer Birke. „Wird schon grün. Meine Güte, da wäre in Cycalas noch nicht daran zu denken.“

      „Und trotzdem jammern die hier immer.“ Balman bot ihm einen Schluck aus der letzten Sijakflasche an, die er noch im Vorrat gefunden hatte. „Wenn bei denen im Herbst die ersten Blätter fallen, schreien sie schon nach dem Frühling und beschweren sich über die Kälte.“

      „Na, was kann man auch erwarten von... Ach, sieh mal einer an.“ Grinsend wies Rahor auf drei Gestalten, die direkt auf sie zukamen.

      Haz-Gor und Zom wussten wohl nicht so ganz, was sie von ihrem Jagdglück halten sollten. Zwischen sich führten sie einen reichlich zornigen Mittelländer, der trotz der Fesseln, die seine Handgelenke umschlossen, alles daran setzte, dieser Gefangennahme zu entfliehen. Zoms harter Griff und Haz-Gors scharfe Worte beeindruckten ihn nur wenig.

      Der Mann war etwa in Sham-Yus Alter, jedoch viel kleiner und schwächlicher als der junge Cas. Er trug abgewetzte Kleidung und wirkte alles in allem wie jemand, der sein Heim gegen die Wildnis eingetauscht hatte.

      „Lasst mich los, ihr sichelländischen Bastarde!“ fluchte er. „Was fällt euch ein? Haut ab, dahin, wo ihr hergekommen seid.“

      Rahor lachte und auch die anderen Cas waren inzwischen aufmerksam geworden.

      „Also ehrlich, Haz, da hättest du besser einen Hirsch gejagt. An dem da ist doch nichts dran, davon werden wir nicht satt!“

      Mit einem Mal wurde der Gefangenen bleich.

      „Ist jetzt nicht euer Ernst, oder? Wollt mich nur einschüchtern!“

      Haz-Gor hätte nur allzu gern etwas darauf erwidert, doch gerade in diesem Moment kam Lennys von der Quelle zurück, die sich nicht weit entfernt befand.

      Ohne großes Interesse musterte sie den Mittelländer. „Warum bringst du so etwas hierher?“ fragte sie Haz-Gor.

      „So etwas?“ Sofort keifte der Mann wieder los. „Was glaubst, wen du vor dir hast, elende...“

      Das Wort blieb ihm förmlich im Halse stecken als Zom ihn hart am Kragen packte. „Was glaubst du, wenn du vor dir hast, du Ungeziefer?“

      „Das reicht.“ Lennys Blick wechselte zwischen Haz-Gor und Zom. „Was soll das also?“

      „Er hat uns gesehen, als wir einem Reh auf der Spur waren. Hat sofort losgewettert, dass er das irgendwelchen Wachen melden will. Ist natürlich Unsinn, das nächste Dorf ist viel zu weit entfernt. Aber laufen lassen wollten wir ihn dann doch nicht.“

      „Meine Güte, warum habt ihr ihm nicht einfach die Kehle durchgeschnitten? Was soll ich mit ihm?“

      Inzwischen gab der Gefangene keinen Laut mehr von sich. Allmählich wurde ihm der Ernst seiner Lage