Christine Boy

Sichelland


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überhaupt niemanden umbringen, wenn es nicht sein muss.“

      „'Ne merkwürdige Einstellung. Auf der einen Seite machste alle verrückt, damit dich jemand in den Süden bringt zur Shaj, damit du zusammen mit ihr kämpfen kannst. Und dann sagste, du willst nur töten, wenn's sein muss. Warum biste dann nich' gleich in Cycalas geblieben?“

      Sara sah ein, dass Yos überhaupt nicht begriffen hatte, worum es ihr ging.

      „Ich gehe nicht in den Süden, um an ihrer Seite zu kämpfen. Es gibt andere Dinge, die ich für sie tun kann. Glaube ich. Oder ich hoffe es zumindest. Ich kann das jetzt nicht erklären.“

      „Naja, musste auch nich', hab' ja schon gemerkt, dass du in dem Punkt empfindlich bist. Aber komisch isses trotzdem. Und komm' ja nich' irgendwann zu mir, von wegen du hättest nich' gewusst, was dich erwartet. Die Sichelkrieger sind nich' so wie du. Da, wo die auftauchen, gibt’s Tote. Und davon jede Menge. Wirst viel Tod sehen, wenn du ihnen folgst. Wird dir nich' immer gefallen.“

      „Das weiß ich.“

      „Hab' gehört, dass die Hantua wieder in der alten Festung sind, stimmt das? Da wo diese Fürstin mal gewohnt hat.“

      „Ja, das ist richtig.“

      „Dachte immer, das wäre nur noch 'ne Ruine. Wer will denn da schon noch hin? Obwohl ich's ja schon 'mal gern sehen würde. Is' ja doch sowas wie ein denkwürdiger Ort oder wie man so sagt.“

      „Ich fand ihn nicht so besonders interessant.“

      Yos war überrascht.

      „Ach, du warst schon mal da? Ah, stimmt, ich hab da mal was gehört, die Shaj wäre kürzlich im Verlassenen Land gewesen. Hat aber wohl 'n paar Probleme gegeben. Und da warst du dabei?“

      „Ja, aber bitte Yos, frag mich nicht weiter danach. Es ist richtig, die Erinnerung daran ist nicht besonders schön.“

      „Aber kommste nich' da vorbei? Wenn du von den Ruinen bis nach Osten rüber willst?“

      „Das wird sich zeigen. Es gibt viele Wege. Zuerst muss ich ja einmal herausfinden, wo Lennys und die Cas dann überhaupt sind.“

      „Hast dir ja ganz schön was vorgenommen. Wenn nich' mal die Säbelmeister wissen, wo genau die Shaj grade steckt, wie willst'n du das dann rauskriegen? Kannst ja auch nur nach dem gehen, was man so erzählt.“

      „Und was erzählt man?“

      „Das weisste doch längst. Die einen meinen halt, dass sie wirklich zu der alten Burg will. Wegen irgendsoeinem Verräter. Glaub' ich ja nich' dran, ehrlich gesagt. Aber viele denken auch, sie gehen direkt zu Log. Und auf'm Weg dahin nehmen sie alles mit, was ihnen vor die Sichel kommt, wenn du verstehst, was ich meine. Aber Log is' ja auch nich' dumm, der kriegt das mit. Wäre ja schön blöd, wenn er in seiner Stadt bleibt. Dazu is' er zu feige. Der sucht sich bestimmt irgendwo anders ein Versteck.“

      „Meinst du wirklich? Was denkst du, Yos, wo könnte er hingehen?“

      „Na, das müsste ich dich fragen. Kenn' mich doch nich' aus im Süden. Woher soll ich wissen, wo er hin kann?“

      Doch auch Sara konnte nur mit den Achseln zucken. In Manatar kannte sie gerade einmal den Mongegrund und die Vorstellung, Log würde sich vielleicht in Fangmor oder Westmonge im Wirtshaus verbergen, war einfach lächerlich. Auf die Idee, dass Log überhaupt fliehen könnte, war sie noch gar nicht gekommen. Aber Yos hatte natürlich recht. Sobald der König des Südreichs erfuhr, dass die obersten Krieger des Nordens Jagd auf ihn machten, würde er nicht die Dummheit begehen und in Log-Stadt auf sie warten. Vielleicht hatte er auch die Cycala dorthin gelockt, um sie dann anzugreifen, aber das musste noch lange nicht heißen, dass er selbst in seinem Palast blieb. Selbst wenn seine Soldaten dort noch in großer Zahl den Palast umringten, um ihn zu beschützen, so musste ihm doch klar sein, dass er an einem anderen, geheimen Ort sicherer war. Vielleicht in Ontur? Oder gar auf der Chaz-Insel? Oder er würde Manatar ganz und gar verlassen und im Mittelland nach einem Versteck suchen. Sofort schoss Sara das Bild des Nebeltempels durch den Kopf und sie musste ein wenig lächeln. Log als Flüchtling in Beemas Gemächern. Der Oberin würde dies sicher gefallen.

      „Was grinst du denn so?“ fragte Yos misstrauisch.

      „Ach, es ist nichts. Ich musste nur gerade an meinen alten Tempel denken.“

      „Haste Heimweh?“

      „Nein, sicher nicht. Ich will nie wieder dahin zurück. Und die Priesterinnen dort sind sicher auch froh, dass sie mich los sind.“

      „Na, die würden ganz schön gucken, wenn sie wüssten, was aus dir geworden is'.“

      Da fiel Sara ein, dass es doch jemanden aus dem Tempel gab, den sie vermisste.

      „Yos, hast du schon einmal von Gromuit gehört?“

      „Gromuit? Hm, wart mal, lass mich überlegen. Irgendwie kommt mir das bekannt vor. Der kam doch aus Askaryan, oder?“

      „Ja, ich glaube. Er war ein Säbelwächter.“

      „Kann sein. Wie kommste denn auf den?“

      „Ich kenne ihn. In Cycalas dachten viele, er wäre im Krieg gefallen, aber das stimmt nicht. Aber ich habe erst später erfahren, dass er ein Sichelländer ist.“

      „Dann lebt er im Süden oder was?“

      „Ja, im Mittelland.“

      „Na, dann frag ihn doch.“

      „Was soll ich ihn fragen?“

      „Na, wie du die Cas und die Shaj finden kannst. Wenn er ein früherer Säbelwächter is', kann's ja gut sein, dass er 'was mitkriegt.“

      Sofort hellte Saras Miene sich auf.

      „Du hast recht, ich könnte es versuchen. Es wird zwar nicht leicht, an ihn heranzukommen, aber vielleicht ist das die beste Möglichkeit, die ich habe. Allerdings... er lebt weit im Osten. Ich müsste quer durch das gesamte Mittelland reisen. Das kostet Zeit.“

      „Na, auch nich' mehr, als wenn du einfach drauflos suchst.“

      Zweiundzwanzig.

      Es war keine besonders große Herausforderung gewesen, aber die Größe der Gruppe war ungewöhnlich. Wieder einmal.

      Der Drei-Morgen-Wald schien voll mit Hantua zu sein, erst kurz davor waren sie auf einen kleinen Verband von vier Soldaten gestoßen, gleich darauf noch einmal auf einen einzelnen Nachzügler. Und jetzt das. Zweiundzwanzig.

      Sie hatten keine Schwierigkeiten gehabt, den Gegnern Herr zu werden. Ein paar der Zrundir-Kämpfer waren keine missgestalteten Kreaturen gewesen, sondern muskelbepackte Männer, die wohl aus Iandals direktem Gefolge stammten und früher im Lande Orio gedient hatten. Es erschwerte den Kampf nicht nennenswert, denn obwohl sie intelligenter waren als die verbündeten Hantua, so waren sie doch weniger kräftig und ausdauernd. Nur ihr Blut schmeckte süßer und wirkte stärker. Lennys überraschte dies nicht, denn es waren genau jene Männer gewesen, die zwölf Jahre zuvor in derselben Schlacht gekämpft hatten wie sie selbst – hinter den Festungsmauern von Orio, dem verfluchten Ort, an dem die Fürstin durch ihre Hand vernichtet worden war.

      Die Tatsache, dass sie bereits zweimal innerhalb kürzester Zeit auf Hantuagruppen gestoßen waren, die an Größe alles bislang Gewohnte übertrafen, war nur wenig beunruhigend. Im Kriege kamen solche kurzzeitigen Zusammenschlüsse durchaus vor. Es war auch anzunehmen, dass in diesen Fällen ein früherer orionischer Gefolgsmann die Führung solcher Gruppen übernahm und so dafür sorgte, dass die plumpen Krieger sich nicht allzu schnell selbst an die Gurgel gingen.

      Dass dieses Aufeinandertreffen eine weitere Verzögerung mit sich brachte, störte niemanden, am allerwenigsten Lenyca Ac-Sarr. Neben dem Ziel, möglichst schnell Log-Stadt zu erreichen, war es ja vor allen Dingen ihr Ansinnen, recht viele Hantua in den Tod zu schicken. Die großen Schlachten überließen sie den Säbelmeistern und den cycalanischen Heeren, was aber nicht bedeutete, dass sie sich aus jeglicher weiteren Kampfhandlung heraushielten.