Christine Boy

Sichelland


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      Sie würdigte den verwilderten Mann keines Blickes mehr. Dieser aber begriff nun, dass sein Leben dem Ende zuging und versuchte verzweifelt, das Unausweichliche doch noch abzuwenden.

      „Ich weiß vieles! Was willst du hören? Etwas über Log? Oder über Goriol? Oder über... über... Ich weiß, du willst wissen, wo sich diese Zrundir-Monster verstecken! Ich sage dir alles!“

      Ohne sich umzudrehen fragte Lennys:

      „Wann wird Log sein Heer aus Manatara abziehen und ins Mittelland schicken?“

      Der Gefangene war verwirrt.

      „Das... woher soll ich das wissen?“

      „Es ist das einzige, was mich interessiert.“ In diesem Satz lag soviel kalte Endgültigkeit, dass der Mittelländer nicht mehr fähig war, etwas darauf zu erwidern.

      Das Reh, das Haz-Gor und Zom letztendlich doch noch erlegen konnten, war für die Cas eine willkommene Abwechslung gegenüber der kargen Proviantreste, an die sie sich bis jetzt hatten halten müssen. Auch die Tatsache, dass die Leiche des mittelländischen Gefangenen noch fast in Sichtweite von ihnen im Unterholz lag, schien ihren Appetit eher noch zu steigern. Zom hatte nicht lange gezögert und nach Lennys letzten Worten zu dem Mann sofort seinen Dolch gezückt. Er hatte kein Interesse daran gehabt, ihn lange zu quälen und ihm daher einen raschen und fast schon gnädigen Tod beschert.

      „Wenn wir wirklich alle Mittelländer umbringen, die unseren Weg kreuzen, sollten wir uns einen Schmied aus Cycalas kommen lassen, der zwischendurch unsere Sicheln schleift.“ grinste Faragyl zwischen zwei Bissen.

      „Der soll aber dann über den Westbogen gehen.“ empfahl Sham-Yu. „Diese Sümpfe würde ich niemandem mehr zumuten.“

      „Schluss damit.“ fuhr Lennys sie scharf an. „Ihr vergesst, wer ihr seid und was eure Aufgabe ist. Wir befinden uns hier nicht auf einem Festumzug. Sobald ihr alle gegessen habt, reiten wir weiter, die Pause war lang genug. Unser nächstes Lager werden wir erst am Mondsee aufschlagen, wenn ihr also müde seid, seht zu, dass wir so schnell wie möglich dorthin kommen.“

      „Halten die Pferde noch so lange durch?“ fragte Rahor zweifelnd. „Seit dem Ostbogen sind sie kaum zur Ruhe gekommen.“

      „Die Mondpferde haben mehr Durchhaltevermögen als ihr, wie mir scheint. Ich frage mich wirklich, wie ihr es zu einem so hohen Rang gebracht habt!“

      Keiner der Cas wagte, etwas darauf zu erwidern. Hastig schlangen sie ihr Mahl hinunter, sammelten ihre Sachen zusammen und verstauten die Reste des Rehbratens. Kurz nachdem die Sonne ihren höchsten Punkt überschritten hatte, waren sie schon wieder auf dem Weg.

      „Hast du immer so ein Glück?“

      Yos schüttelte immer wieder ungläubig den Kopf. Der befürchtete Sturm war ausgeblieben, stattdessen strahlte über ihnen ein blauer Himmel und eine stetige Brise schickte sie zügig gen Süden. Kaum, dass der Tag angebrochen war, hatte der Fährer eine erste Voraussage gewagt und erwägt, dass eine Fahrt über das offene Meer gelingen könne. Sollte aber doch einer der häufigen Winterstürme urplötzlich über sie hereinbrechen, so wären sie verloren. Ob ein einziger Tag, den sie durch den direkten Weg vielleicht gewinnen könnten, dieses hohe Risiko rechtfertigen würde, hatte er gefragt.

      Sara war sich der Verantwortung ihrer Entscheidung bewusst. Es ging nicht nur um ihr Leben, sondern auch um das des jungen Mannes, der zweifellos die sichere Alternative entlang des Sichelbogens bevorzugte. Aber ein ganzer Tag – wertvolle Zeit. Viel zu wertvoll, um sie nicht zu nutzen. Und sie hatte sich entschieden. Für die Gefahr und gegen die Küste.

      Die Natur stärkte ihnen den Rücken. Noch. Sie hatten schon fast die Hälfte der gefährlichen Passage hinter sich gebracht. In der kommenden Nacht würden sie wieder sicherere Gefilde erreichen und Land vor sich haben, wo sie, sollte sich über ihnen doch noch ein Unwetter zusammenbrauen, Schutz suchen konnten. Jetzt galt es diese Stunden noch heil zu überstehen und die Zeichen dafür standen mehr als gut.

      „Ich hatte noch nicht viele Gelegenheiten, mich auf mein Glück zu verlassen.“ gab Sara zu.

      „Na, dann hast es zumindest noch nich' aufgebraucht.“ lachte Yos. Er war ausgesprochen guter Laune. Nicht nur, weil sie so zügig vorankamen und das Wetter auf ihrer Seite stand, sondern auch, weil er zunehmend Gefallen an dieser Reise fand. Sie war sein ganz persönliches Abenteuer und wenn er irgendwann ins Sichelland zurückkehrte, konnte er bei Freunden und auch bei seinem Onkel damit sicher jede Menge Respekt verdienen. Seine Zweifel und sein Ärger verschwanden zusehends, zumindest, solange er nicht mit Widrigkeiten zu kämpfen hatte.

      „Es ist schade, dass ich die Silberberge nicht richtig sehen konnte.“ meinte Sara dann. „Ich habe schon viel von ihnen gehört.“

      „Na, eigentlich haste da nich' viel verpasst. Sind halt Berge. Das, was an ihnen so besonders ist, siehste ja nich' von außen.“

      „Stimmt es, dass sie von Sichelkriegern bewacht werden?“

      „Die Minen, ja. Also nich' nur von Sichelkriegern, auch von Säbelwächtern und so. Im Moment vielleicht nich' mal das, wir brauchen die guten Kämpfer ja alle im Süden. Aber trotzdem kommt keiner in die Stollen, der nich' rein darf.“

      „Habt ihr keine Angst, dass das Silber dort eines Tages ausgeht?“

      Wieder lachte Yos.

      „Neee, also wir werden das nich' erleben. So viel brauchen wir ja auch wieder nich' und du kannst dir die Mengen gar nich' vorstellen, die noch in den Bergen liegen.“

      „Und trotzdem ist es so wertvoll? Obwohl genug da ist?“

      „Ja klar. Is ja auch nich' so leicht, da 'ranzukommen. Is' schon 'ne schwere Arbeit. Und die Silberschmiede, die daraus den Schmuck und so machen, gibt’s auch nich' überall. Sind nich' viele, die das beherrschen. Haste mal solche Stücke gesehen? Ich mein' jetzt nich' Kerzenhalter und Sicheln und so. Sondern die richtig wertvollen Sachen.“

      Sara überlegte. Dann fiel ihr etwas ein.

      „Ich habe einmal einen Anhänger gesehen. Er zeigte Ash-Zaharr.“

      „Ah, die geflügelte Schlange. Jaa, sowas mein' ich. Hast es bei der Shaj gesehn, nehm' ich an? Ich weiss schon, die Ac-Sarrs hatten sowas schon immer. Gibt auch andere, aber man sagt immer, ihre wären die schönsten und wertvollsten.“

      „Es ist wohl eine sehr reiche… Familie?“

      „Na, das kannste laut sagen. Und alt. Die gibt’s schon von Anfang an. Und die haben wohl auch mehr Silberkram als alle anderen. Viel Ritualzeug. Das sind so Batí von der obersten Riege. Hängen an den alten Kulten und so. Deshalb haben die Leute ja auch immer ein bisschen Angst vor ihnen. Ich glaub, von manchen Sachen hat man sogar im Süden schon gehört. Is' schon komisch, da wissen die Mittelländer und so fast nichts von unserem Land, aber den Blutkult der Batí kennen dann doch die meisten. Naja, haben wohl im Krieg einiges gesehen.“

      „Viele glauben aber auch, dass das nur ein Märchen ist. Oder das Gegenteil. Nämlich, dass alle so sind.“

      „Weißte, uns isses egal, was man im Süden denkt. Nichts für ungut. Bist ja sowieso 'ne Ausnahme. Aber für uns macht's halt keinen Unterschied, was man woanders glaubt.“ Plötzlich wurde er ernst. „Sag mal... Du weißt aber schon, was sie da unten jetzt machen, oder? Ich mein', die Cas und die Shaj und auch die anderen Sichelländer.“

      „Ja, ich denke schon.“

      „Und das stört dich nich'? Ich mein', is' ja deine Heimat irgendwo. Haste da keine Freunde oder so?“

      „Nein.“

      „Aber, wenn ich's richtig verstanden hab', dann willste uns doch helfen, oder? Obwohl dabei Leute aus deinem Land draufgehen?“

      „Es geht mir nicht um den Kampf, Yos. Ich werde euch helfen, notfalls auch mit dem Säbel, wenn es darum geht, eure Feinde zu besiegen. Aber ich werde keine Unschuldigen töten.“

      „Na,