Thomas Hölscher

Der Pferdestricker


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blieb der große Kerl bei eingeschaltetem Standlicht noch in seinem Wagen sitzen; erst als sich aus den dichten Sträuchern schon fast an der Ausfahrt des Rastplatzes eine schmächtige Figur löste und langsam auf den dunkelblauen Golf zukam, schaltete der Mann noch einmal das volle Licht seines Wagens ein, so dass die schmächtige Figur im grellen Scheinwerferlicht ganz offensichtlich geblendet wurde und zum Schutz der Augen den linken Arm vor sein Gesicht hielt. Der Mann im dunkelblauen Golf schaltete das Licht seines Wagens nun vollständig aus und öffnete langsam die Fahrertür.

      Erst nun wurde deutlich, wie groß der Mann aus dem dunkelblauen Golf tatsächlich war; er musste an die zwei Meter messen. Und noch deutlicher wurde die Größe seines Körpers im Vergleich zu der schmächtigen und sich unsicher, fast linkisch bewegenden Figur des anderen Mannes, der nicht einmal die Hälfte an Masse und Gewicht auf die Waage bringen konnte.

      Der große Kerl trat auf wie jemand, der sich seiner Sache auf jeden Fall sicher sein konnte, als habe er die andere Figur schon längst als ihm hilflos unterlegenen Menschen in seinem Kopf abgespeichert und könne allem, was auch geschehen sollte, mit großer Gelassenheit entgegensehen. Als sich die beiden Männer gegenüberstanden, konnte nicht viel mehr Zeit vergangenen sein, als die Äußerung des Satzes: Bringen wir es hinter uns! benötigt, bis der große Kerl die rechte Tür seines dunkelblauen Golf öffnete, sich langsam in den Beifahrersitz fallen ließ und seine langen Beine das einzige waren, das außerhalb des Autos von ihm noch zu sehen war.

      Es fing nun an zu regnen, und das musste für den großen Kerl einfach ärgerlich sein; seine langen Beine wurden nass.

      Ansonsten schien er sich seiner selbst völlig sicher, und dass er nun nervös nach rechts und links schaute, das hatte ganz andere Gründe. Er hatte schließlich nicht gewollt, was nun folgen musste; da es aber anscheinend unvermeidlich war, wollte er es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Nur Zeugen wollte er dafür keine haben. Er würde alles tun, um zu vermeiden, dass jemand mitbekam, was er nun tun würde. Er hatte sogar vor seiner Ankunft in Erfahrung gebracht, dass es hier auch keinerlei Videoüberwachung gab. Noch einmal sah er sich um. Auf dem dunklen Rastplatz war nichts und niemand zu sehen, und nur ab und zu fuhr auf der Autobahn hinter ihm ein Auto mit zumeist hoher Geschwindigkeit in nördliche Richtung.

      Er ließ die Tunte auf dem mittlerweile nassen Asphalt zwischen seinen Oberschenkeln auf die Knie gehen und öffnete mit der linken Hand den Reißverschluss seiner Jeans. Dann fasste er mit der rechten Hand den Kopf des anderen Mannes und zog ihn zu sich hin, gerade so als möge er den, der da im immer stärker werdenden Regen vor ihm auf dem Asphalt kniete.

      Er mochte ihn aber nicht, er hasste ihn sogar und schloss schließlich die Augen, weil er nicht sehen wollte, wie der andere mit der Zunge unter seine Eichel ging, sie mit seinen Lippen umschloss und sein Schwanz in der feuchten Wärme hart werden sollte, als gehöre er nicht zu dem Körper eines Menschen, der voller Hass steckte, sondern führe ein Eigenleben.

      Der riesige Kerl kannte das Spielchen ganz offensichtlich: Mit beiden Händen fasste er schließlich den Kopf, in dessen Mund er steckte, und presste ihn noch fester gegen seinen Körper und zwischen seine Oberschenkel und schob seinen mittlerweile prallen Kolben rücksichtslos tiefer in die würgende Öffnung, weil er hinter sich bringen wollte, was von ihm verlangt wurde, und das nur möglich war, wenn man über das, was man da machte, einfach nicht mehr nachdachte. Wenn man das vergessen, den Kopf abschalten konnte, der immer sagen wollte, was man tat und was man eben nicht tat, dann war da nur noch der Schwanz, der geleckt werden wollte, ganz egal in wessen Mund er steckte. Und von einem bestimmten Punkt an war es dann ohnehin ganz gleichgültig, ob der in einer feuchten Fotze, einem Mund oder sonst was steckte. Man wollte und von einem bestimmten Punkt an musste man es nur noch hinter sich bringen, und als der riesige Kerl daran dachte, völlig nackt auf dem bloßen Rücken des kleinen Pferdes durch ein von nichts und niemandem bewohntes Gebiet zu reiten, explodierte sein Schwanz endgültig in den Mund vor ihm.

      Und mit dem Orgasmus war dann wie immer augenblicklich doch so etwas wie das schlechte Gewissen auch bei ihm wieder zur Stelle: Das hätte nicht passieren dürfen, das war selbstverständlich nur Mittel zu irgendeinem wichtigen Zweck, und vor allem durfte davon niemand etwas erfahren.

      Man musste kein religiöser Mensch sein, um so zu denken und sich gleichzeitig über sich selber zu ärgern. Das war eben passiert, sagte man sich dann, es hatte niemandem geschadet, ganz im Gegenteil, irgendwie hatte es doch Spaß gemacht. Wozu also diese Selbstvorwürfe?

      Nur dass es niemand erfahren durfte, das blieb immer. Das war in seine Festplatte eingebrannt, seit seinem ersten sexuellen Erlebnis mit einem anderen Menschen überhaupt.

      Der große Kerl war das, was man als stockhetero bezeichnen konnte, und dass sein erster sexueller Kontakt mit einem anderen Menschen mit einem Mann passiert war, das durfte niemand wissen. Dabei war ihm auch immer wieder klar, dass eigentlich gar nichts passiert war, sondern dass er es damals darauf angelegt hatte. Es hatten ihn auch noch nie irgendwelche Zahlen beruhigen können, die eindeutig belegten, dass bei vielen Jungen der erste sexuelle Kontakt mit einem anderen Jungen stattfindet. Von ihm durfte das niemand wissen. Und von Beginn an hätte er auch sagen können, weshalb nicht, was genau seine Situation von den Hunderttausenden oder gar Millionen aus irgendwelchen Statistiken unterschied: Dieser Lehnert hatte damals nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ihn abgöttisch liebte, und damit hatte alles, was sie hätten tun können, bis auf diese eine Ausnahme aber eben nicht getan hatten, immer schon eine ganz andere Qualität gehabt als irgendwelche Spielchen anderer Pubertierender, die sich gegenseitig in den Schritt fassten oder zusammen onanierten oder sonst was veranstalteten.

      Mittlerweile glaubte der riesige Kerl, alleine die Erwähnung des Namens Lehnert könne bei ihm einen augenblicklichen Brechreiz hervorrufen: Von diesem Kerl hatte er sich vor über zehn Jahren bedienen lassen, dass ihm fast die Ohren abgefallen waren. Und damit war dieser Kerl heute und für alle Zeit eben ein schwules Schwein, so wie alle Schwulen Schweine waren. Natürlich sagte man so etwas nicht, weil man ja tolerant sein musste, aber er selber hatte damals doch noch nicht einmal geahnt, dass man seinen Schwanz sogar in einen Mund stecken konnte.

      Daran dachte der große Kerl auch, als er sah, wie die Tunte vor ihm sich langsam auf dem nassen Asphalt aufrichtete und er selber aus dem Wagen stieg und die Beifahrertür ins Schloss fallen ließ. Eine Zeit lang schienen die beiden Männer einander ziemlich unschlüssig gegenüber zu stehen, die Tunte ging zu einem Gebüsch, kramte dort irgendetwas hervor und überreichte es dem Kerl, der es sofort öffnete. Für einen eventuellen Beobachter der Szene lief das Geschehen dann urplötzlich völlig aus dem Ruder.

      Dass hier irgendetwas völlig aus dem Ruder gelaufen war, das war auch der erste Eindruck der Beamten der Mordkommission Wesel, die nur knapp eine dreiviertel Stunde später am Ort des Geschehens waren und versuchten, zu rekonstruieren, was eigentlich auf diesem Rastplatz an der Autobahn 3 genau passiert war. Äußerst hilfreich waren ihnen dabei zwei jungen Frauen aus Polen, die aufgrund des beobachteten Geschehens allerdings unter Schock standen, so dass sich ihre Vernehmung recht schwierig gestaltete.

      Die beiden jungen Frauen waren Lehrerinnen für Deutsch an einem polnischen Gymnasium, so dass sich das Herbeiziehen eines Dolmetschers eigentlich erübrigt hätte, aufgrund der Verfassung der beiden Frauen aber wenig später als doch hilfreich angesehen wurde. Die jungen Frauen hatten in Tübingen an einem Fortbildungsseminar teilgenommen und hatten sich an diesem Tag vorgenommen, einen Tag des Seminars zu schwänzen, um sich einen lang gehegten Wunsch erfüllen zu können. Mit ihrem schon recht betagten Pkw waren die beiden morgens von Tübingen aufgebrochen, um nach Amsterdam zu fahren, dort einen Tag zu verbringen und am nächsten Tag zurückzukehren. Irgendwie hatten sie die Entfernung unterschätzt oder die Leistungsfähigkeit ihres Wagens überschätzt, zudem hatten sie irgendwo rings um Frankfurt in einem endlosen Stau gestanden. Auf jeden Fall war ihnen kurz nach dem Oberhausener Kreuz klar geworden, dass sie es an diesem Tag nicht bis Amsterdam schaffen würden und sie sich einen geeigneten Platz zum Übernachten im Wagen suchen mussten. Zunächst hatten sie die Raststätte Hünxe angesteuert, aber schnell war ihnen dieser übervolle und stark frequentierte Ort als wenig geeignet erschienen. Zwei in einem Pkw schlafende Frauen mussten auf dem riesigen und hell erleuchteten Parkplatz dort einfach auffallen, und sie wussten nicht einmal, ob es in Deutschland überhaupt erlaubt war,