Stefan G. Rohr

Das geliehene Glück des Samuel Goldman


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überhaupt: Mary hatte sich einen hübschen Plan zu Recht gelegt, um Sams Aufenthaltsort nicht preiszugeben. Sie tauschte täglich in der Tiefgarage von NCCB ihre Fahrzeuge, hatte Perücken für sich und ihn besorg, und sie begann einen großen Spaß am Verkleiden, und die Konkurrenz – die wider Erwarten einfach nicht aufgeben wollte – an der Nase herum zu führen. Sam musste im Kofferraum aushalten oder Frauenkleider tragen. Letzteres machte Mary besonders große Freude, und mit Akribie schnallte sie ihm eine Busenattrappe an, die sie gekonnt in die richtige Position zu rücken verstand. Entgegen ihren Erwartungen hatte auch Sam Spaß an der Sache und machte ihr – leider jahreszeitlich unbrauchbar – den Vorschlag, dass ihr sich auch ein Weihnachtsmannkostüm gut stehen würde, er könne sich dann ja im Sack verstecken.

      Neben der kindlichen Freude an diesen Spielchen vergaßen beide aber den Ernst der Sache nicht. Mary hatte einen Job zu machen, in dem Sam die Hauptrolle zuteil war. Die Ausstrahlungen ihrer Berichterstattung, über Sams erstaunliche und unbeschreibliche Glücksfälle, verfehlten ihre Wirkung nicht. NCCB war über Nacht einer der meist gesehenen Sender, und Mary war mit einem Schlag eine der bekanntesten Journalistinnen des Landes. Die bekanntesten Talkmaster der großen TV-Anstalten gaben sich ein Stelldichein und buhlten um einen Besuch in ihren Live-Sendungen. Fast stündlich trafen neue Angebote ein, und Mary wurde nach und nach auch die Managerin von Samuel Goldman.

      Sam hatte sich im Feriendomizil von Mary am Lake Robinson eingelebt. Das fiel ihm auch nicht schwer, denn er hatte schon unangenehmere Aufenthaltsorte kennengelernt. Und wenn er dort alleine war, so genoss er die Aussicht, ging im warmen See schwimmen, joggte am Seeufer – natürlich mit Baseballcap und Brille – und duschte im Gästebad des Hauses, in dem selbst die Handtücher nach Mary rochen. Er bereitete ihr zwar nicht das Rosenbad mit Champagner, doch erwischte er sich einige Male dabei, darüber nachzudenken, ob das nicht doch eine gute Idee war.

      Er war gerade dabei, sich mit einer Zeitung auf die Terrasse zu setzen, als Mary, etwas früher als angekündigt, zurückkam. Sie sprang aus dem Fahrzeug und gestikulierte aufgeregt, Sam möge zum Auto kommen.

      „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.“ rief sie, und ihre Vorfreude auf sein erstauntes Gesicht war nicht zu übersehen. Sie öffnete den Kofferraum ihres SUVs und forderte Sam mit hingehaltenen Händen auf, dass er doch einen Blick auf die Ladefläche werfen solle.

      Sam tat wie ihm geheißen, und blickte auf mehrere Waschkörbe voller Post. „Was ist das?“ fragte er und ging näher an den Wagen heran. „Briefe?“

      „So etwas nennen berühmte Leute Fanpost!“ freute sich Mary und beobachtete weiter Sams Reaktion.

      „Fanpost?“ Er blieb arglos. „Das ist dann ja wohl der Beweis dafür, dass Sie ein echter Fernsehstar sind.“

      Mary lachte herzlich und schüttelte den Kopf. „Sie großer, großer dummer Junge!“ rief sie. „Das ist Ihre Post. Von Ihren Fans. Sie sind der Star! Kommen Sie, wir tragen die Körbe ins Haus und dann mache ich uns eine Flasche Wein auf. Wir werden Briefe öffnen und uns einen amüsanten Abend mit Ihren Groupies machen.“

      Sam war verlegen geworden, denn das Wort `Groupies´ machte ihn etwas skeptisch. Es mussten einige tausend Zuschriften sein, allein in diesen Körben. Und Mary sagte dazu, dass dieses lediglich die Ausbeute des Vormittags sei, die Poststelle von NCCB wäre schon kurz danach wieder dabei gewesen, im Supermarkt weitere Körbe zu beschaffen. Allesamt für Sams Post. Und die IT hatte dazu große Probleme mit dem Email-Server des Senders, dessen Speicher unter der Zahl der Eingänge schon am Morgen vollgelaufen war.

      So saßen denn beide auf Marys Terrasse, nippten an einem großen Rotweinglas, öffneten gespannt die Fanpost und sichteten erste Zuschriften. Fanden sie etwas Besonderes, so lasen sie dem anderen laut vor, lachten gemeinsam, tranken wieder einen Schluck und es war ihnen beiden so, als wären sie schon ewig zusammen.

      „Hören Sie“, sagte Mary, „hier habe ich einen Leckerbissen für Sie.“ Während sie auf den Brief schaute, reichte Mary Sam ein Foto herüber. „Es schreibt Ihnen Ronja.“ Mary schaute kurz zu Sam herüber. „Also RONJA! … Sie schreibt: Lieber Sam, lange habe ich auf den richtigen Mann gewartet und mich für ihn bewahrt. Nun habe ich Dich gesehen und ich weiß, Du bist es …“

      Sam unterbrach Mary mit sichtlich rotem Gesicht. „Das ist doch ein Witz, oder?“

      Mary las unbeirrt weiter: „ ….lalala … Du bist es. Dir werden jetzt sicherlich viele Frauen schreiben, doch sei gewiss, es wird Dich keine so lieben, wie ich.“ Mary machte eine kurze Pause. „Und jetzt kommt´s dicke: …" Ich sehe gut aus, ein Foto habe ich Dir beigefügt, bin neunundzwanzig Jahre alt und glaube fest an Gott, den Herrn, der alles auf unserer Welt bestimmt. Er hat Dich mir gesendet und ich bin bereit, mich für Dich hinzugeben …“

      „Schluss jetzt!“ befahl Sam aber Mary meinte, er solle sich doch mal das Foto ansehen. Er zögerte, dann aber wagte er einen Blick.

      „Du lieber Gott!“ platzte es aus ihm heraus. „Die muss ja mindestens zweihundert Kilo wiegen …“

      „Im Sommer spendet sie Schatten, im Winter Wärme.“ Mary grinste frech. „Was will ein Mann mehr?“ Sie schaute Sam an und zwinkerte ihm mit einem Auge zu.

      Sam hatte auch einen Brief in Händen, den er mehr als merkwürdig empfand. „Jetzt lese ich mal einen vor.“ sagte er fast ein wenig trotzig, und Mary wendete sich ihm zu, so dass Sam ihr schönes Gesicht im Licht des nahenden Sonnenunterganges sehen konnte. Und es entzückte ihn sehr.

      Er begann vorzulesen: „Mr. Goldman, Sie schulden mir etwas. Ihretwegen habe ich meinen Job verloren. Ich war auch bei der Public beschäftigt, als Security, und durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle und deren falscher Deutung verdächtigt man mich, ein Komplize der Bankräuber zu sein, die Ihre Bank und Sie überfallen haben. Mir wird nicht geglaubt und man hat mich, obwohl es keine Beweise gibt, einfach gefeuert. Sie haben so viel Glück und jetzt werden Sie damit auch noch berühmt. Ich bitte Sie deshalb, da mein Schicksal mit dem Ihren verbunden zu sein scheint, um ein Treffen. Sie werden mir doch sicher etwas für mich machen können, damit ich mein Unglück hinter mir lassen kann.“ Sam machte eine längere Gedankenpause. Dann fügte er hinzu: „Und er gibt seine Telefonnummer an, damit ich ihn anrufe.“ Erneut hielt Sam inne. „Gibt´s denn sowas?“

      Mary goss noch etwas Rotwein in die Gläser. Dann antwortete sie gefasst und bestimmt: „Ich habe es Ihnen ja gesagt. Da laufen eine Menge Verrückte umher, die glauben, dass Sie sie retten können. Sie erinnern sich?“ Sie schaute Sam ernst an. „Die meinen tatsächlich, was sie schreiben. Die sind verzweifelt oder einfach nur irre. Aber manche von denen würden wohl auch nicht davor zurückschrecken, Ihnen auf die Pelle zu rücken.“

      Sam wollte das nicht weiter dramatisieren. „Dann wäre es ja eine prima Idee, wenn wir kleine Plastikpuppen von mir verkaufen und behaupten, dass ich jeder einzelnen die Hand aufgelegt habe.“

      Mary hatte wieder Spaß. „Ja, so eine dieser Figuren, mit Saugnapf zum Festkleben auf dem Armaturenbrett.“

      „Genau“, führte Sam den Gedanken fort, „Wer war schon der Heilige Bonifatius! Samuel Goldman, Schutzpatron der Bettnässer und Rächer aller unschuldig verurteilten Laternenpinkler. Mit Wackelkopf, versteht sich.“

      Beide lachten herzlich und die Sonne verschwand gerade hinter dem See und hüllte das Panorama in blutrotes Licht. Mary und Sam betrachteten das Schauspiel und es umgab sie eine wunderbare Wärme, die sie beide so vorher noch nie empfunden hatten.

      Mary brach die Stille. „Wollen wir noch weiterlesen?“

      „Nein.“ antwortete Sam kurz. „Wir sollten diesen Abend und diese Aussicht auskosten.“

      „Ja“, Mary war nachdenklich. „Auskosten, für wahr.“

      Und ihre Blicke trafen sich. Und Sam genoss diese Situation. Wie er überhaupt das alles in diesen letzten Tagen genossen hatte. Wie war er doch nur in den Jahren zuvor bescheiden und ohne jeden Funken gesunder Eitelkeit. Ohne wirklichen Anspruch, zufrieden