Stefan G. Rohr

Das geliehene Glück des Samuel Goldman


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der Moment gekommen war, an dem sich der ´Fall Goldman` für sie entscheiden würde. Und sie hatte sich dazu ihre Eröffnung zurechtgelegt, von der sie ausging, dass sie ihn damit überzeugen würde. Ihr war klar, dass das auch anders ausgehen konnte, doch sie war sich sicher, dass ihre Chancen mit jeder Minute steigen, wenn er sie nicht unmittelbar sofort wieder rauswürfe. Und nach seinen ersten Blicken zu urteilen, Mary kannte solche Blicke nur zu gut, standen ihre Chancen nicht gerade schlecht.

      „Sam … ich durfte ja schon Sam sagen …“ mit einem geschickten Augenaufschlag sah Mary auf ihr Gegenüber, „… zunächst will ich Ihnen die Wahrheit sagen, und …“ Mary machte eine kurze Handbewegung in Sams Richtung die bedeuten sollte, dass er sie gleich ausreden lassen müsse. „… Sie darüber aufklären, dass ich nicht von der Versicherungsgesellschaft der SAC-Airline bin. Mein Name ist Mary Thompson und ich bin vom Sender NCCB. Und ja, ich habe Sie bei meinem Anruf belogen, aber bevor Sie mich gleich wieder an die Luft setzten, in einem Punkt habe ich die volle Wahrheit gesagt: Dass es sehr, sehr wichtig für Sie ist, dass wir uns treffen.“ Mary unterbrach sich kurz und schaute auf Sam. Sie wollte seine spontane Reaktion abschätzen und sehen, ob er willens sein würde, ihr weiter zuzuhören. Sam verspürte zwar eine leichte Wut im Bauch, doch irgendwie fand er das Ganze, gerade in dieser Situation an seinem Couchtisch, durchaus geeignet, der attraktiven Lady noch ein wenig zuzuhören. Er blickte ihr, ein wenig lächelnd, ins Gesicht, sagte jedoch kein Wort.

      In Mary stieg die Zuversicht und sie fuhr fort: „Sam, das Mediengeschäft ist ein Haifischbecken. Sie werden es sicher schon selbst bemerkt haben. Diese Meute, die sich da Draußen auf die Lauer nach Ihnen gelegt hat, kennt kein Pardon. Die jagen Sie, reißen Sie in Stücke, und wenn von Ihnen nichts mehr übrig ist, geht´s ab zur nächsten Sensation. Man wird Sie verfolgen, man wird versuchen, Sie in jeder Lebenslage, zu jedem Zeitpunkt zu erwischen und zu stellen. Und es wird ihnen gelingen, egal, was es kosten wird. Alles für ein einziges Foto oder ein Interview, eine Berichterstattung über Sie. Diese Meute dort, die auch jetzt hinter den Büschen auf Sie wartet, Sie morgen früh ebenso empfangen wird, wie es sicher heute schon der Fall war, diese Meute besteht aus Aasgeiern, die sich auf Sie stürzen und Sie bei lebendigem Leibe zerhackt. Was Sie brauchen, ist ein Profi, jemand, der nicht nur die allerbeste Berichterstattung über Sie garantiert, sondern auch einen starken Apparat mitbringt, der Sie abschirmt, schützt, Ihre Rechte verteidigt und nicht zulässt, dass Sie in dem ganzen Wirrwarr massakriert werden. Mein Sender kann das leisten. Ich kann das leisten. Ich bin dieser Profi, den Sie brauchen und wenn wir gemeinsam agieren, Sie sich mit mir und NCCB vereinen, dann wird die Meute keine Chancen mehr sehen und von alleine abziehen. Und das ist das Wichtige für Sie. Das ist es, was ich Ihnen ans Herz legen wollte und mich bei Ihnen mit einer – zugegeben nicht gerade charmanten – kleinen Lüge eingeschlichen habe. Es ist zu Ihrem Wohl und glauben Sie mir.“

      Sam hatte aufmerksam zugehört und dabei sein Gegenüber nicht eine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Mit welch einem Feuer diese Frau gesprochen, mit welch einer Eindringlichkeit sie ihn beschworen hatte, das imponierte ihm schon sehr.

      Er erwiderte mit ruhiger Stimme und sehr gefasst: „Und was heißt das konkret für mich?“

      Marys Herz begann innerlich zu hüpfen. Er schien anbeißen zu wollen. „Sie vereinbaren mit uns das Recht auf Exklusivberichterstattung für alle medialen Veröffentlichungen und Veranstaltungen, wie Events, Talkshows, Reportagen und so weiter. Im Gegenzuge erhalten Sie nicht nur ein, in der Höhe noch zwischen uns zu verhandelndes Honorar, Sie erhalten Rechtsbeistand, Personenschutz und – was übrigens sehr wichtig ist – ein gewisses Management Ihrer medialen Aktionen. Und Sie bewahren sich die volle Kontrolle über alles, was von Ihnen berichtet und gesendet wird. Nichts geht an die Öffentlichkeit, was zu Ihrem Schaden ist, weil wir das gemeinsam entscheiden und es von Profis der Branche gemacht wird. Und ich werde immer dabei sein, Sie bei allem begleiten. Der Deal ist also in erster Linie mit mir, ich vertrete den Sender Ihnen gegenüber. Und ich bin immer dabei.“ Und Mary Thompson fügte ihrem letzten Satz einen Augenaufschlag hinzu, der Sam unwillkürlich einen angenehmen Blitz durch seinen Körper jagte.

      „Und das alles nur dafür, mich zu schützen?“ Sam hatte nicht vor, Mary Thompson das Gefühl zu geben, sie hätte mit ihren aufopfernd klingenden Fürsorgeargumenten und ihrem Wimpernklimpern bereits überzeugt. „Sie machen das natürlich alles nur, weil ich ein so netter Kerl bin.“

      „Sam“, konterte Mary erst, „NCCB ist ein kommerzieller Sender. Ich bin eine Berufsjournalsitin, wir leben von guten Stories. Und Ihre Story ist sensationell. Das wissen aber nicht nur wir. Wie gesagt, da draußen sind an die hundert Leute, die für einen Happen von Ihnen ihre Großmutter erschlagen würden. Und noch einige Tausend von Solchen stehen parat, sich auf den Weg zu Ihnen zu machen. Ja, ich will mit Ihnen erfolgreich sein, auch weil ich Geld damit verdiene. Es ist mein Job, verdammt. Aber man kann diesen so, oder so machen. In Ihrem Sinne, zu Ihrem Vorteil, oder eben nicht. Denen da, in Ihrem Vorgarten, ist das nämlich scheißegal. Und vielleicht machen Sie sich die Mühe, und schauen aus dem Fenster. Sie werden dort ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte entdecken, die Sie in Ihrem Häuschen hier absichern. Die sorgen schon einmal dafür, dass Ruhe ist und Sie niemand belästigt, Ihre Türglocke nicht alle zehn Sekunden bimmelt, Sie die Rollos an den Fenstern oben lassen können und Ihr Hausmüll nicht fortlaufend durchwühlt wird. Und wenn Sie sich jetzt fragen, woher zum Teufel die Securities auf einmal kommen, dann darf ich Ihnen mitteilen, dass ich dafür gesorgt habe, und NCCB den Spaß bezahlt.“

      Mary begann zu schweigen und sah Sam an. Auch er schwieg und erwiderte ihren Blick für eine ganze Weile. Ihm gefiel durchaus ihr Engagement und er konnte sich vorstellen, dass diese junge Frau, die so heißblütig reden konnte, tatsächlich erfüllen würde, was sie versprach. Und was sie sagte, entbehrte auch nicht der Logik, war durchaus realistisch. Er hatte ja schon längst selbst erkannt, dass sich dieser ganze Medienhype um ihn nicht morgen einfach wieder in Luft auflösen würde, die überall lauernden Reporter nicht freiwillig von ihm ablassen und nach Hause fahren sollten. Aussitzen, bis das alles in Vergessenheit geraten wäre, war sicher keine wirkliche Option. Warum sollte er sich also nicht mit einem Sender, mit einer fähigen Journalistin, zusammentun? Alles wäre gebündelt, kontrolliert und er könnte dann ja immer und zu jeder Zeit wieder aussteigen, wenn´s ihm zu bunt wird oder die junge Dame vor ihm hier jetzt nicht die Wahrheit gesagt hat.

      Sam begann langsam zu nicken und Mary erkannte, dass sie gewonnen hat. Sam brach das Schweigen: „Wie geht´s weiter?“

      „Sie schenken uns erst einmal noch einen Whiskey ein, ich besorge eine Pizza für uns und lasse mir von meinen Assistenten meine Laptop-Tasche bringen – ok?“ Mary strahlte Sam an und bemerkte, dass er es für einen kleinen Moment ebenso tat. Mary stand kurz auf, griff ihr Handy und rief McDorman an, der nur wenige hundert Meter mit dem TV-Team im Kamerawagen wartete. Sie gab ihm leise einige kurze Anweisungen und beendete das Telefonat. Doch bevor sie sich wieder zu Sam setzte, schrieb Mary noch eine Kurznachricht auf ihrem Handy. Die Nachricht erreicht Paul Wayne nach einem Bruchteil einer Sekunde. Sie hatte sich den derzeit dicksten Fisch an Mediensensationen geangelt – und dafür hatte sie nicht einmal einen Tag gebraucht.

      Mary war allerdings mit ihrem Tagwerk für sich selbst noch nicht ganz zufrieden. Es gab zum einen noch viel mit Sam zu besprechen, und fast alles davon konnte auch nicht bis morgen warten. Zum anderen musste Sie schnellstmöglich etwas für den Sender haben. Am besten gleich für die frühen Morgen-News. Mit dieser gewonnenen Zeit konnte sie dann in den nächsten Tagen tiefer und tiefer in die Goldman-Sache einsteigen und den Wunderjungen auf dem ersten Platz halten. Was zu tun war, wusste Mary Thompson genau.

      Sie trank einen Schluck Bourbon und lehnte sich – man hätte glauben können: erschöpft – nach hinten in die bequeme Couch. Sie blickte offen in das Gesicht von Sam. Ja, ein gutaussehender Bursche, das hatte sie ja schon zuvor bemerkt. Und wenn er lächelt, seine Grübchen zeigt, dann …

      „Sam, wir haben jetzt noch viel zu tun.“ sagte sie ernst und betont, denn sie wollte sich nicht weiter ablenken lassen. „In wenigen Minuten wird mein Assistent herkommen. Ich hoffe, dass er die Pizza mitbringt. Wir werden dann den Vertrag kurz durchgehen und dann ein erstes Kurzinterview aufnehmen. Mein Kamerateam steht ein paar Straßen weiter auf Stand-by