Stefan G. Rohr

Das geliehene Glück des Samuel Goldman


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aber es geht schon in diese Richtung. In jedem Fall müssen wir schneller sein, als der Mob da draußen. Sie kündigen morgen. Das ist, wie gesagt schon einmal das Erste. Ja, und aus dem Haus müssen Sie auch für eine Zeitlang raus. Diese Adresse ist bekannt und jeder, der einen Computer besitzt, wird Sie in Sekunden recherchiert haben, und sich auf den Weg hierher machen können. NCCB ist nicht das FBI oder die NSA. Neue Identitäten sind nicht in unserem Instrumentenkoffer. Dafür aber haben wir Anwälte, Geld und ein großes Netzwerk. Das wird Sie ausreichend schützen.“

      „Schwebt Ihnen jetzt vor, dass ich Tag für Tag das Hotel wechsele und nie an einem Ort länger als ein paar Stunden aufhalte, so wie Jassir Arafat oder Salman Rushdie?“ Sam hatte durchaus Spaß an seiner Gegenwehr. Der Betrag auf der gepunkteten Linie würde dadurch nicht geringer werden.

      Mary war sich nicht sicher, ob Sam das wirklich so empfand und Bedenken hatte, oder nur pokern würde. Ihr kam aber ein Gedanke, den sie in jedem Fall für förderlich erachtete: „Ich hatte es zwar nicht geplant, aber mir fällt da gerade etwas ein.“ Mary ließ Sams Hände los und beide bemerkten, dass Sie schon einige Minuten in dieser Haltung verharrt hatten. „Ich besitze ein kleines Wochenendhaus am Lake Robinson, nordöstlich von Greenville, ungefähr eine Stunde Autofahrt entfernt. Das Haus liegt sehr abgeschieden direkt am See und hat alles, was man für einen Aufenthalt benötigt. Dort könnte ich Sie zunächst unterbringen … wenn Sie wollen.“ Marys letzter Satz kam zögerlich, ja fast ein wenig schüchtern und passte so gar nicht in ihr bisheriges Auftreten.

      „Und Sie werden dann täglich nach mir sehen? Mich abholen, zurückbringen, Babysitter spielen?“ Sam musste innerlich zugeben, dass es schlechtere Gesellschaft geben würde. „Und ich koche dann jeden Abend für uns, stelle Kerzen auf den Tisch und hacke im Winter Holz für den knisternden Kamin?“ Sam grinste leicht unverschämt.

      „Sie haben das vorbereitete Bad für mich vergessen, mit den Rosenblättern auf dem Wasser und dem Champagner im Kühler.“ Mary lachte offen zurück. Und sie dachte tatsächlich in diesem Moment, dass es schlechtere Ideen gäbe.

      „Und Ihr Partner?“ Sam schaute gespannt auf Mary. „Wird der das tägliche Bad mit Ihnen nicht vermissen?“

      Mary schmunzelte. „Mein Partner heißt NCCB. Mehr ist nicht drin.“ Sie sendete einen fast unmerklichen, kurzen Blick in Sams Richtung. „Zum Ausgleich lasse ich dafür ab und zu mein Kamerateam über mich herfallen.“ Sie sagte das so trocken, Sam hätte es fast glauben können.

      Sam gefiel Marys Schlagfertigkeit außerordentlich. Er hatte aber auch bemerkt, dass ein kleiner trauriger Unterton bei ihr mitspielte. Er tat besser daran, das nicht weiter zu vertiefen. Es entstand eine winzige Pause in der beide schweigend ein paar Blicke tauschten. Sam schaute wieder auf den Vertrag. „Sie meinen also, dass ich nach all dem Gehörten nun besser in der Lage bin, das Honorarfeld mit einer Zahl zu füllen?“ Sam war wieder bei der Sache.

      „Zweihundertfünfzigtausend.“ Mary reichte ihm den Kugelschreiber. „Das ist, was wir in Ihrem Fall bereit sind zu zahlen.“ Immer noch den Schreiber haltend fügte sie hinzu: „Und Sie erhalten noch die üblichen Beteiligungen an den Sie betreffenden Werbeeinnahmen des Senders. Ich bin mir sicher, dass Sie insgesamt schnell auf eine Summe kommen, die Sie lange Jahre absichert. Bitte, tragen Sie das ein und unterzeichnen dann.“

      Und Sam nahm den Kugelschreiber, unterzeichnete und gab den Vertrag zurück an Mary. „Ich hätte es vielleicht auch für die Hälfte gemacht.“ Und er grinste ein wenig frech, denn der Spruch gefiel ihm.

      Mary lächelte mit besonderer Anmut zurück. „Vielleicht hätte ich ja auch das Doppelte akzeptiert.“ Dann steckte sie das Dokument in ihre Laptoptasche und holte über das Handy ihr Team zu sich. Noch an diesem Abend gab Sam ein kurzes Home-Interview, wie es am nächsten Morgen hieß, nicht aber bevor Mary mit ihm an seinem Kleiderschrank war und die passenden Sachen für ihn ausgewählt und ihn hiernach mit etwas Schminke aus ihrem privaten Bestand für die Kamera zurecht gemacht hatte.

      Sam erzählte über sein Erleben des Absturzes und Mary wies ihn immer mal wieder an, eine bestimmte Passage hier, ein Satz dort, zu wiederholen oder zu vertiefen. Sam folgte dem mit Gelassenheit und Ausdauer. Mary erfuhr aber auch weitere Geschichten von Sam, die er erlebt hatte. Ihm war es dabei gar nicht aufgefallen, dass Mary immer größeres Interesse auch an diesen Ereignissen entwickelte und so entging es ihm auch, dass sie sich viele Notizen machte, mitunter ihrem Kameramann kurz zunickte und diesen auch ohne Sams Kenntnis mitzeichnen ließ, und sie brachte geschickt das Gehörte als Hinweise und Appetitanreger für die Ausstrahlung am nächsten Morgen ein. Sie hatte längst begriffen, dieser Sam Goldman hatte nicht etwa nur einmal Glück, auch nicht nur zweimal. Dieser Mann war ein Phänomen, das zeigte sich immer deutlicher. Und genau das sollten auch alle Zuschauer sofort begreifen.

      Er packte in dieser Nacht noch einen Koffer und machte sich für einen unbestimmten Aufenthalt im Sommerhaus von Mary Thompson bereit. Sie war geblieben und wartete mit ihm auf den günstigsten Zeitpunkt, das Haus unbemerkt verlassen zu können und mit ihrem Wagen in Richtung Lake Robinson zu verschwinden. Die Meute schlief derweil und keiner bekam mit, dass Sam Goldman gerade dabei war, ihnen für einige Zeit zu entwischen.

      Kapitel 6

      Mike Fintch saß an seinem Schreibtisch und verfolgte, wie immer nach der Ziehung, in den TV-Sendern die Berichterstattung über SevenDollies. Ein großer Bildschirm hing zu diesem Zwecke an der Wand ihm gegenüber. Wenn etwas kam, machte er sich Notizen und ergänzte seine Marketing-Statistiken für seine Berichte an die Skinners. Sein Gesicht war auch heute nicht besonders strahlend, da ihm die sich eingestellte Tendenz in Bezug auf die Teilnehmerentwicklung mit jedem Tag schwerer im Nacken zu sitzen schien.

      Er schüttete sich gerade aus seiner großen Kanne einen weiteren Becher Kaffee ein, als auf NCCB das vorabendliche Privat-Interview mit Sam Goldman gesendet wurde. Ja, Mike hatte von diesem unglaublichen Glückspilz schon gehört. Im Zusammenhang mit einem Flugzeugabsturz. Und war da nicht auch dieser Goldman verwickelt, als am Vortag eine Bank überfallen wurde? Mike machte den Fernseher lauter und verfolgte mit wachsender Spannung das Interview von dieser Mary Thompson, die auch noch äußerst attraktiv anzusehen war. Seine Aufmerksamkeit wurde zunehmend größer, je mehr er von den Geschichten erfuhr. Die Reporterin verstand es wirklich gut, in der Kürze dieses Beitrages den Umfang der so unglaublich seltsamen Glücksfälle dieses Kerls klar zu machen. Und weitere Berichte, mehr Details sollten exklusiv auf NCCB folgen.

      Als der Beitrag zu Ende war, schaltete Fintch den Fernseher aus und lehnte sich in seinen Bürosessel weit nach hinten. Wie er es sah, schien diesem Goldman – was für ein passender Name – das Glück förmlich an den Hacken zu kleben. Ein Glück, das so unwahrscheinlich klingt, dass es die Grenzen der Unglaubwürdigkeit bereits schon wieder überschritten hat. Solche Geschichten sind Gold wert. So ein Mensch wäre ein perfekter Botschafter für jedes Glück, das man sich erträumt. Mehr noch, er wäre fast ein Garant dafür, dass das Glück eintritt, wenn er einfach nur zugegen ist.

      Nun ja, die Passagiere in dem abgestürzten Flugzeug hatten nichts von seiner Anwesenheit, die hat´s alle erwischt. Aber wer will das schon wissen? Wen interessiert´s, wenn es um die eigenen Chancen geht? Die Toten im Flieger, die Bankräuber, das ist anderen passiert. An das eigene Glück zu glauben, wird dadurch kein Jota geringer. Dieser Goldman hat ganz offensichtlich einen Vertrag mit dem Schicksal, und vielleicht scheißt er sogar Glückskacke. Dann kann er seine Gabe wohlmöglich auch auf andere übertragen. Beim Händeschütteln, oder telepathisch, oder durch Verschenken seiner befurzten Unterhosen. Wie auch immer, wenn dieser Typ mit den richtigen Leuten am richtigen Platz säße, dann wäre er der Mittelpunkt des Glückhabens, mit magnetischer Wirkung auf alle, die morgen Lotteriemillionär sein wollen, und sich deshalb ein SevenDollies-Los kaufen werden. Dazu müsste dieser Goldman für sie lediglich das Glück mit Kusshand in den Äther senden. Und dafür konnte sicher eine motivierende Bezahlung verhandelt werden.

      Mike Fintch gefiel seine Vorstellung außerordentlich. Wie lange der Hype um diesen Goldman auch gehen würde, er könnte, richtig